Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 14.01.2007 / 09:20 / 0 / Seite ausdrucken

Der Staat als Beute

Es gibt gute Gründe, das deutsche System der Parteienfinanzierung zu kritisieren. Die Parteien hätten sich den Staat zur Beute gemacht, schrieb vor einigen Jahren der Speyerer Jurist Hans Herbert von Arnim und konnte diese These seitdem in zahlreichen Publikationen mit immer neuen skandalösen Beispielen belegen. Das Grundproblem besteht darin, dass Politiker letztlich über ihre eigene Versorgung und über die staatliche Ausstattung ihrer Parteien zu entscheiden haben.

Wer nun aber glaubt, alle Probleme der Parteienfinanzierung ließen sich sofort lösen, indem sich der Staat einfach aus der Finanzierung des Parteienbetriebs zurückzieht, dem sei ein Blick nach Großbritannien empfohlen. Die Gefahr besteht nämlich, dass damit lediglich ein Ärgernis durch ein anderes Ärgernis ersetzt wird.

In Großbritannien gibt es keine öffentliche Parteienfinanzierung wie in Deutschland. Statt dessen sind die Parteien auf die Unterstützung durch ihre Mitglieder, Spenden und Erbschaften angewiesen. Dass dies nicht unproblematisch ist, verdeutlicht der Skandal um den angeblichen Verkauf öffentlicher Ehrentitel und Mitgliedschaften im House of Lords. Scotland Yard ermittelt seit nunmehr fast einem Jahr, ob es in der Vergangenheit möglich gewesen ist, durch gezielte Zuwendungen an einzelne Parteien etwa einen “Sir” oder einen “Lord” zu kaufen. Auch wenn der Nachweis im Einzelfall dabei schwer zu erbringen ist, dass es konkrete Absprachen zwischen Spendern und Parteien gegeben hat, so gibt es doch zumindest klare Anhaltspunkte für das Bestehen einer solchen Praxis. Eine Auswertung aller Spenden an Tony Blairs Labour Party über mindestens 50.000 Pfund ergab, dass 58,54 Prozent der Spender eine staatliche Auszeichnung erhielten - aber nur 0,035 Prozent aller Nicht-Spender. Mit anderen Worten: es war 1.657 mal wahrscheinlicher, eine Auszeichnung zu erhalten, wenn man zuvor an Labour gespendet hatte. Noch deutlicher war die Relation bei der Vergabe der Mitgliedschaften im House of Lords: als Nicht-Spender betrug die Chance, einen der begehrten Sitze zu erhalten, gerade einmal 0,0014 Prozent. Für Spender hingegen lagen sie bei immerhin 9,76 Prozent - 6.969 mal so hoch.

Anhand der Spendenstatistik ließen sich sogar die Preise der Ehrentitel ermitteln, und bezeichnenderweise stieg die durchschnittliche Spendenhöhe mit dem Prestige des Titels an: Ein gewöhnlicher Officer of the British Empire (OBE) war für 552.500 Pfund zu haben. Der angesehenere CBE (Commander of the British Empire) kostete schon 675.833 Pfund. Noch besser klingt ein “Sir”, aber dafür sollten auch 747,683 Pfund in die Parteikasse fließen. An der Spitze der Liste stand natürlich der Lord-Titel. Er ist mit einer Spende von durchschnittlich 1.065.000 Pfund verbunden gewesen (schließt man den Labour-Politiker Lord Sainsbury in diese Berechnung ein, dann waren es sogar 2,65 Millionen Pfund).

Nun mag man den Verkauf eines “Sir” vielleicht noch für unbedenklich halten, schließlich dient dieser Titel vor allem der Befriedigung persönlicher Eitelkeiten in der Gipfelregion der Maslowschen Bedürfnispyramide. Aber Mitgliedschaften in der zweiten Kammer des Parlaments zu verkaufen, fällt da schon in eine andere Kategorie. Eben darum ist dies auch gesetzlich verboten, weshalb Scotland Yard schließlich ermittelt. Dabei gab es auch bereits erste Festnahmen, zum Beispiel jene von Lord Levy, Tony Blairs oberstem Geldeintreiber, der inzwischen wieder auf Kaution entlassen wurde. Außerdem wurde Blair selbst vor wenigen Wochen zu der Angelegenheit von der Polizei befragt - das erste Mal überhaupt, dass ein amtierender britischer Premierminister von Strafverfolgungsbehörden vernommen wurde.

Blairs Einlassungen waren wenig überzeugend. So gab er zu, dass er einige Mitgliedschaften im House of Lords ausschließlich für besondere Verdienste um seine Partei vergeben hatte. Unter britischen Verfassungsexperten ist aber umstritten, ob es solche “party peerages” überhaupt geben darf.

Über die “Cash for Honours”-Affäre ist Tony Blairs Partei in eine finanzielle Schieflage geraten. Doch heute wurde bekannt, dass Blair eine Lösung für die maroden Labour-Finanzen gefunden hat. Allerdings dürfte diese kaum weniger skandalös sein als die “Cash for Honours”-Affäre selbst. Lakshmi Mittal, mit einem Vermögen von 14 Milliarden Pfund der reichste Mann in Großbritannien, hat Tony Blair und Lord Levy eine Spende von 2 Millionen Pfund in Aussicht gestellt. Gleich mehrere Details sind daran allerdings pikant. So sollte die Spende eigentlich bis zum Mai vertraulich bleiben und erst danach veröffentlicht werden. Im Mai stellt nämlich die Wahlkommission ihren regelmäßigen Parteispendenbericht vor, in dem Mittal noch nicht auftauchen sollte.

Interessant dürfte auch sein, dass Mr Mittal gerade in Kasachstan über eine Geschäftsbeteiligung an einem Ölfeld verhandelt. Und wer ist wohl der Sondergesandte der britischen Regierung für Kasachstan? Richtig: Lord Levy, dem Mr Mittal gerade die Parteispende an Labour versprochen hat. In Tony Blairs Partei ist man derweil besorgt, dass das Bekanntwerden der Spende zum jetzigen Zeitpunkt dazu führen könnte, dass sich Mr Mittal den Fall noch einmal überlegt. Grundsätzlich gibt es jedoch keinerlei Bedenken, eine Spende von ihm anzunehmen. Ein Labour-Sprecher sagte der Sunday Times: “Mr Mittal has been a committed supporter of the party for many years, and any financial gift from one of the world’s most successful businessmen is very welcome.”

Wenn man sich die Merkwürdigkeiten der britischen Parteienfinanzierung mit ihrer Praxis hoher Parteispenden ansieht, denen im Zweifelsfall stets eine Gegenleistung gegenüberstehen dürfte (in welcher Form auch immer), dann kann einem die deutsche Parteienfinanzierung direkt sympathisch werden ... was allerdings kein Argument dagegen sein soll, auch deutschen Politikern und Parteien bei ihren Finanztransaktionen deutlich stärker auf die Finger zu schauen.

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