Annette Heinisch / 23.01.2017 / 18:59 / 5 / Seite ausdrucken

Denn sie wissen nicht, was sie tun

Von Annette Heinisch.

Genau diesen Eindruck haben viele, wenn sie auf das politische Führungspersonal schauen. Das Unwohlsein wächst, denn wir scheinen mit zunehmenden Tempo auf den Abgrund zuzurasen und ängstlich fragen wir uns: Sieht unser Fahrer wirklich aus wie James Dean?Ist es nur ein dummes Gefühl oder ist da etwas dran? Nimmt man sich einmal die Forschung zu diesem Thema vor, so gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist: Ja, mit unserem Gefühl stimmt alles. Die schlechte ist: Hilfe ist fern, denn wir können es auch nicht besser. 

Sehr amüsant hat 1985 der gebürtige Österreicher Paul Watzlawick, Philosoph und Psyhotherapeut, u. a. an der Stanford University lehrend und Forschungsbeauftragter am Mental Research Institut in Palo Alto, in seiner "Anleitung zum Unglücklichsein" die charakteristischen Fehler beschrieben, die Menschen generell bei Problemlösungen machen.

Prof. Dietrich Dörner, (em.) Professor für Psychologie an der Universität Bamberg, veröffentlichte 1989 seine Forschungsergebnisse unter dem Titel  "Logik des Misslingens – Strategisches Denken in komplexen Situationen". Als Quintessenz kann man die Sätze des Buchrückens zitieren: "In komplexen und dynamischen Handlungssituationen macht unser Gehirn Fehler: Wir beschäftigen uns mit dem ärgerlichen Knoten und sehen nicht das Netz. Wir berücksichtigen nicht, dass man in einem System nicht eine Größe allein modifizieren kann, ohne damit gleichzeitig alle anderen zu beeinflussen".

Der GAU war kein technisches Versagen

Dörner hat unterschiedliche Experimente mit computersimulierten Realitäten durchgeführt, um die Hintergründe von Planungs -, Entscheidungs – und Urteilsprozessen sichtbar zu machen. Die Ergebnisse sind ebenso eindeutig wie aufschlussreich: In Situationen, bei denen es auf ständig wechselnde Mustererkennung und schnelle, adäquate Anpassung des eigenen Verhaltens an die veränderte Lage ankommt, machen wir typische Fehler. Unsere Bemühungen, die Komplexität zu reduzieren, leiten uns ebenso fehl wie unsere Anstrengungen, in unsicheren Situationen einen Schein von Sicherheit zu generieren. 

Zur Veranschaulichung wählte er drei Beispiele, davon ein reales: Die Tschernobyl – Katastrophe. Dieser größte anzunehmende Unfall war kein technisches Versagen, er wurde von Menschen herbei geführt, wobei es weder böse Absicht noch menschliches Versagen in dem Sinn war, dass jemand geschlafen oder ein Signal nicht gehört hatte. Wie Dörner schreibt:" Alles, was geschah, haben die Operateure bewusst gemacht und offenbar aus der vollen Überzeugung heraus, richtig zu handeln."

Die zwei anderen von ihm zur Illustration gewählten Beispiele sind die mittlerweile legendären Tanaland und Lohhausen Experimente. Sie zeigen konkret im Kontext politischen Handelns die Begrenztheit unserer kognitiven Fähigkeiten – die fatale Folgen hat! Tanaland war der Sahel – Zone nachempfunden, Lohhausen einer Kleinstadt. Die Versuchspersonen waren zur Vereinfachung mit quasi – diktatorischen Fähigkeiten ausgestattet und sollten innerhalb einer Zeitperiode (10 Jahre im Zeitraffer) die Geschicke des Landes/der Kommune lenken. Die Ergebnisse waren katastrophal, besonders in Tanaland, wo nach dem zunächst sprunghaften Anstieg der Lebensqualität fatale Hungersnöte und andere Katastrophen ausbrachen. Am Ende stand Tanaland schlechter da als zuvor, die Bevölkerung war dezimiert. Stellt man die Ergebnisse graphisch dar, so ähneln sie dem steilen Anstieg einer Aktien oder eines Index mit anschließendem Crash.

Politik kann nicht jeder

In diesen Simulationen und weiteren Experimenten zeigte sich, dass die Versuchspersonen selbst naheliegende Folgen und Nebenwirkungen ihres Handelns übersahen. Wenn sie meinten, einmal eine gute Methode gefunden zu haben, so wandten sie diese auf alles andere an, ohne sorgfältige Analyse. Sie hinterfragten ihre Vorgehensweise zumeist auch nicht, der (Anfangs-)erfolg schien ihnen recht zu geben. Völlig außerhalb ihrer Vorstellung lagen exponentielle Entwicklungen. 

Wie bei Watzlawick waren es stets dieselbe Art Fehler, die wir bei Entscheidungsfindungen  machen. Dabei ist es prinzipiell gleichgültig, ob es sich um den Umgang mit komplexen Maschinen/Anlagen handelt oder um den Umgang mit komplexen wirtschaftlichen/politischen Systemen.

Damit wird eines klar: Die unserer politischem Ordnung zu Grunde liegende Annahme, Politik "könne" jeder, er benötige dafür nur die nötigen Informationen und ein gewisses Maß an Allgemeinbildung, ist widerlegt.

Besonders evident wurde das bei einem Versuch, in welchem ein Physiker und ein Diplom – Volkswirt dem simulierten Stamm der Moros Entwicklungshilfe angedeihen lassen sollten. Beide Herren waren in führenden Positionen in der Wirtschaft tätig und fühlten sich in keiner Weise von der Aufgabe überfordert. Im Gegenteil, sie mokierten sich vor dem Experiment über die häufig anzutreffende Unfähigkeit anderer und waren sehr engagiert dabei, den Moros effektiv zu helfen. Sie scheiterten kläglich!

Was bringt mehr Unheil in die Welt?

Selbst wenn unser Bildungssystem also bestmöglich funktioniert (was als Annahme ein höchst gewagte These wäre), wäre dies nicht hilfreich. Nicht einmal dann, wenn Kern des Berufsbilds der Umgang mit äußerst komplexen Systemen ist, wie bei diesen beiden Versuchspersonen, hilft diese Bildung bei der Bewältigung politischer Probleme. Leider fehlt völlig die Kenntnis der eigenen Inkompetenz.

Dörner schreibt in seinem Vorwort dazu: "Meines Erachtens ist die Frage offen, ob "gute Absichten & Dummheit" oder "schlechte Absichten & Intelligenz" mehr Unheil in die Welt gebracht haben. Denn Leute mit guten Absichten haben gewöhnlich nur geringe Hemmungen, die Realisierung ihrer Ziele in Angriff zu nehmen. Auf diese Weise wird Unvermögen, welches sonst verborgen bliebe, gefährlich, und am Ende steht dann der erstaunt – verzweifelte Ausruf: "Das haben wir nicht gewollt"".

Ist es nicht oft gerade das Bewusstsein der "guten Absichten", welches noch die fragwürdigsten Mittel heiligt? Den Leuten mit den "guten Absichten" fehlt auf jeden Fall das schlechte Gewissen, welches ihre Mitmenschen mit den schlechten Absichten vielleicht doch manchmal ein wenig am Handeln hindert. Es ist oft gesagt, aber selten gehört worden, dass der abstrakte Wunsch, allen Menschen das Paradies zu bereiten, der beste Weg zur Erzeugung einer konkreten Hölle ist. Das hängt mit den "guten Absichten", die auch ohne jede Kompetenz zum Handeln antreiben, eng zusammen."
Dörner untersuchte experimentell auch, ob die Gruppe, also die "Weisheit der Vielen", positiven Einfluss auf die Qualität der Entscheidungen hat. Dem war allerdings nicht so, vielmehr ergaben sich negative Gruppendynamiken, z. B. das sogenannten Gruppendenken, welche die Gruppe am Erfolg hinderten.

Die Logik des Misslingens

An diesem Punkt dürfte spätestens klar sein, dass die politische Führung ganz ernsthaft nicht weiß, was sie tut. Die traurige Realität der Beauftragung von privaten Beratungsunternehmen, um auf simple Fragen Antworten und Handlungsanweisungen zu bekommen, macht die Hilflosigkeit der Regierenden evident. Es ist aber keine Verschwörung oder böse Absicht, es ist ganz schlicht die Logik des Misslingens. Das Gesetz der Logik "ex falso quod libet" (Aus Falschem folgt Beliebiges) ist gnadenlos gültig. 

So lange wir also meinen, kluge Entscheidungsfindung sei uns Menschen in die Wiege gelegt und die auf dem Erlernen von Buchwissen beruhende schulische Allgemeinbildung würde uns hinreichende Handlungskompetenz vermitteln, werden wir kein besseres Führungspersonal erhalten. Dies gilt nicht nur in der Politik, man sollte diese aber angesichts der oben gezeigten Experimente als "Königsdisziplin" ansehen.

Wie sich bei den Versuchen zeigte, sind die nötigen Fähigkeiten erlernbar. Dabei hilft das Vermitteln von theoretischem Wissen nichts, es stärkt lediglich die Verbalintelligenz (man kann "schlau schwätzen") und verstärkt somit sogar den irrigen Eindruck von eigenen Fähigkeiten. Ausgehend von o. g. grundlegenden Ergebnissen wurde in den letzten Jahrzehnten weiter geforscht, so zeigte sich, dass Führung besser funktioniert, wenn dem "Macher" ein "Denker" zur Seite gestellt wird.  Die Erkenntnisse werden in vielen Bereichen umgesetzt, nicht nur bei der Schnittstelle Mensch/Maschine (z. B. Pilotenausbildung) sondern auch in Bereichen, bei denen schnelle Entscheidungen in komplexen und intransparenten Situationen gefragt sind (z. B. Bundeswehr, Polizei, Katastrophenstäbe). Hier geht es weiter.

 

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Geert Aufderhaydn / 24.01.2017

Es ist wie bei einem Betrieb: die erste Generation baut ihn auf, die zweite verwaltet ihn, die dritte versaut alles. Business as usual.

Cornelius Angermann / 24.01.2017

Die Logik des Misslingens ist hervorragend beschrieben in dem gleichnamigen Buch von Dietrich Dörner, erschienen im rororo-Verlag 1994. Wie Ihre Ausführungen zeigen, ist vorsichtiger Konservativismus wichtiger als das von Linksgrünen propagierte, als “Modernisierung” euphemistisch verbrämte Herumschrauben an Bewährtem. Die Energiewende ist ein solcher Fall von vielen. Unsere Politiker ignorieren völlig, wie gering unser deutscher Anteil an der atmosphärischen Belastung durch CO² ist, lt. statista 2016 nur 2,23%! Dazu kommt noch, dass nur ca. 3% des gesamten CO²-Ausstoßes weltweit menschengemacht sind (Quelle: Focus ). Welchen Wert hatte es also, unsere Energieversorgung so zu verteuern und zu destabilisieren? Selbst wenn wir unsere CO²-Emission halbieren würden, wäre der Effekt für die Erde nur marginal, die Folgen für unsere Wirtschaft und unseren Lebensstandard jedoch immens! Man braucht kein politisches Genie zu sein, um auf der Basis dieser Fakten den Blödsinn der Energiewende sein zu lassen! Einfach Quid quid agis, respicere finis plus ein wenig gesundem Menschenverstand, das reicht schon für Vieles! Das Problem in der realen Politik sind jedoch fast immer verborgene Randbedingungen, die man vor dem dummen Wahlvolk verbergen will, wie z.B. dass man bestimmten Leuten wieder dicke Gewinne zukommen lassen will oder muss, die das vernünftige politische Agieren kontrakarieren!

M. Hans Mayer / 24.01.2017

Vielen Dank für diesen Beitrag! Ergänzen sollte man aber, dass es seit Jahren fundierte, in der Praxis sehr erfolgreiche Ansätze gibt, mit komplexen Systemen umzugehen: Erwähnt seien insbesondere die Arbeiten von Frederic Vester (Die Kunst des vernetzten Denkens), Stafford Beer (Managementkybernetik) oder Fredmund Malik (Management komplexer Systeme). Man kann das lernen, wie Segeln oder Skifahren. Unseren Managern in Staat und Wirtschaft kann man nur wünschen, sie mögen ein wenig Demut und Lernbereitschaft zeigen.

Karl-Bertold Rose / 24.01.2017

Seit dem Sommer 2015 faellt mir dazu nur ein Gedicht von Christian Morgenstern ein. Ein Hecht, vom heiligen Anton bekehrt, beschloss samt Frau und Sohn, am vegetarischen Gedanken, moralisch sich empor zu ranken. Er frass seit jenem nur dies: Seegras, Seerose und Seegriess. Doch Griess, Gras, Rose floss oh Grauss entsetzlich hinten wieder aus. Der ganze Teich ward angesteckt, zehntausend Fische sind verreckt. Doch Sankt Anton gerufen eilig, sprach nichts als heilig, heilig, heilig. Morgenstern schrieb dieses Gedicht vor ueber einhundert Jahren.

Anna Kasperska / 24.01.2017

Ein super Essay, so philosophisch, so plausibel, so einleuchtend. Man ahnt es, dass er so treffend ist, dass einem angst und bange wird ! Das Ergebnis unserer theoretischen Bildung ist also lediglich, dass wir, im besten Fall, eloquent “schlau schwatzen” könnten… Das glaube ich auf Anhieb und sofort. Ihr Essay rüttelt einen auf, ist aber großartig, obgleich ungemein ernüchternd. Die beschriebenen Phänomene des Unvermögens, des effizienten menschlichen Handelns mit gutem Ausgang, entgehen sicherlich vielen Menschen nicht… Diese sind doch täglich in vielen Bereichen wahrzunehmen, allerdings wohl eher nicht so bewusst. Bis jetzt….

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