Rainer Bonhorst / 05.03.2022 / 06:00 / Foto: Pixabay / 135 / Seite ausdrucken

Dem grünen Pazifismus eine Verschnaufpause

Der Krieg in der Ukraine hat gleich mehrere deutsche Illusionen beerdigt.

Seit ich von ferne den Krieg in der Ukraine beobachte, muss ich an meine frühen Jahre denken. An die Zeit, als ich freudlos zur Bundeswehr eingezogen wurde. Das war lästig, aber nicht besonders dramatisch. Sieht man von der Grundausbildung ab, hatte ich einen gemütlichen Schreibstuben-Job. Wenn ich als Gefreiter in Uniform von der Kaserne zu den Offizieren und Generälen des Korps-Gebäudes spazierte, kam ich mir eher vor wie ein Briefträger, die damals ja auch Uniform trugen. Der Gedanke, ein ernsthafter Soldat zu sein, der möglicherweise in ein Gefecht abkommandiert würde, war nahezu exotisch.

Auch wir Soldaten lebten damals unter dem atomaren Schutz der gesicherten gegenseitigen Vernichtung. Dieser Schutzschirm war scheußlich und zynisch, aber er schien stabil zu sein. Wir hatten uns friedlich im Kalten Krieg eingerichtet. Echter Krieg – das war anderswo. Wie unsicher die gesicherte gegenseitige Vernichtung zuweilen war, erfuhren wir erst später. Es war ein Menschheitsglück, dass ein ungehorsamer Sowjet-Offizier namens Stanislaw Petrow nicht zum atomaren Gegenschlag ausgeholt hat, obwohl ihm (fälschlich) ein atomarer Angriff aus Amerika gemeldet wurde.

Sicher, die Kuba-Krise war ein Schreck in der Idylle. Aber er verging. Der Herr im Kreml wollte nur mal testen, ob der neue Mann in Washington ein Weichei war. War er nicht. Wir sind noch mal davongekommen. Und dann, eines Tages, wurde unser Idyll zur kaum glaublichen Wirklichkeit. Das Ende des Kalten Krieges. Gorbatschow ließ, wie Reagan es erbeten hatte, die Mauer einreißen. Kohl der Große managte die Wiedervereinigung. Die Staaten des bisher von Moskau dominierten Ostblocks waren frei und rückten nach Westen. Frieden auf Erden. Das Ende der Geschichte. Oder?

Joschka Fischer schickt deutsche Soldaten in den Krieg

Dass sich nicht nur der Ostblock, sondern auch Jugoslawien auflösen würde – wer hätte das in diesen Stunden des heimeligen Glücks gedacht? Und zwar nicht friedlich wie der Fall der Mauer, sondern mit Blutvergießen. Jugoslawien-Krieg. Und zum ersten Mal hatten die Grünen das Künstlerpech, unter Bauchschmerzen ihrem Pazifismus eine Verschnaufpause verordnen zu müssen. Joschka Fischer war der erste deutsche Außenminister, der im Schlagschatten der USA deutsche Soldaten in einen echten Krieg schickte. Ausgerechnet.

Irgendwann war das überstanden und man kehrte zurück zur Tagesordnung, hungerte die Bundeswehr aus und konzentrierte sich auf wichtigere Themen wie das Gendern und die Rettung des Juchtenkäfers. Aus dem Krieg in Europa hatte man, ob konservativ, sozialdemokratisch, liberal oder grün, nichts gelernt. Genauer: Man wollte nichts daraus lernen. Man wollte im deutschen Illusionsparadies verharren. Dabei hatte man gerade eine Lektion erhalten: Krieg in Europa ist möglich. Das große Friedenswerk der Europäischen Union ist doch nur ein halbes Friedenswerk. Man hat es zwar schnell in Richtung Osten vergrößert. Damit fast ein ganzes Friedenswerk daraus wurde. Aber eben nur fast.

Da waren ja noch Russland, Weißrussland und diese Grauzone namens Ukraine. Was tun, ohne etwas tun zu müssen? Schmieren wir halt dem großen russischen Bären ordentlich Honig ums Maul. Wer sich streichelt und gute Geschäfte miteinander macht, der wird ja wohl nicht schießen. Der wird ja wohl nicht austesten wollen, ob der neue amerikanische Präsident und die europäischen Chefs Weicheier sind.

Tja, und dann hat er es doch getan. Washington und Europa haben zwar nicht als Weicheier, sondern hart reagiert. Aber das Blut floss bereits. Und bei uns in Berlin hat wieder einmal eine Grüne als Außenministerin das Pech, ihren liebreizenden Plan einer ökologischen Außenpolitik vergessen zu müssen. Und ein deutscher SPD-Kanzler muss, nicht wie seinerzeit Gerhard Schröder, Krieg führen, wohl aber im Eiltempo das deutsche Idyll verlassen und eine kriegerische Welt mit offenen Augen wahrnehmen.

Der Schock der Realität

Das ist der Schock der Realität, der früher oder später jedem Traumtänzer droht. Mein ganz persönlicher Realitätsschock packte mich, nachdem ich meine Bundeswehr-Briefträger-Zeit absolviert hatte. Als Reporter wurde ich von meinem Chefredakteur mal kurz nach Vietnam geschickt. Nicht als Kriegsberichterstatter, sondern um einen Transport verwundeter Kinder nach Deutschland journalistisch zu begleiten. In der Wartehalle des Flughafens von Saigon lagerte eine Truppe amerikanischer GIs und wartete auf den Abtransport in den Dschungel. Die Soldaten blickten stoisch ins Nichts und wussten nicht, ob sie heil aus diesem Krieg zurückkommen würden. Und mir lief es eiskalt den Rücken hinunter: Das waren lauter junge Kerle ungefähr in meinem Alter. Das Glück oder Unglück der geografischen Geburt: Da könnte auch ich liegen und auf den Dschungelkrieg warten.

Seitdem habe ich das deutsche Idyll nicht mehr so ungetrübt genießen können und erkennen müssen: Soldaten, nicht mal deutsche, können sich nicht auf Dauer der Illusion hingeben, sie seien eine Art Briefträger. Die freiwillige Restbundeswehr von heute hat das in vielen Auslandseinsätzen längst gelernt. Deutsche Politiker aber hielten weiter an der Illusion fest, wir lebten in einer Welt voller netter Briefträger. Die Menschen in der Ukraine und anderswo haben sich einer solchen Illusion nie hingegeben können.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Hans-Peter Dollhopf / 05.03.2022

¡Yo soy un hombre sincero! Der Mensch entscheidet seine Selbstbestimmtheit mit der Gewalt seiner Bewaffnung! Die Ukraine steht und fällt mit der Verfügung über Bewaffnung gegen einen mit ausgefuchster Waffentechnik strotzenden Imperialisten! “These mist covered mountains Are a home now for me”? Wir, der vormals freie Westen, verfügt über gleichwertige und bessere Waffen. Le Chant des Partisans? Nicht schon wieder. Sondern Schulterschluss mit dem Volk, das frei sein will von Despoten.

giesemann gerhard / 05.03.2022

Aber Herr Jochen ... . Thyssen habe ich mir auch ein paar ins Depot gelegt - sind aber abgesoffen. U-Boote halt.

Frank Danton / 05.03.2022

Baerbock hat also Pech, im pazifistischen Unglück, in einem Krieg zu landen? Als die deutschen Wähler letztes Jahr diese subalterne Mischpoke aus Ideologen und Kommunisten an die Regierung wählten, war mir sofort klar das dies einen Krieg nach sich zieht. Ich bin zwar davon ausgegangen das Erdogan in Berlin einzieht, weil seine Soldaten ja schon hier sind, habe mir aber auch alle anderen Optionen vorstellen können. Die Grün Roten beherrschen weder Diplomatie noch Emphatie.

G. Zülken / 05.03.2022

Als ich bei der Bundeswehr war, in den 70ern, war das Land noch in Ordnung. Wir wurden darauf gedrillt, der Feind steht im Osten und zwar hinter dem Eisernen Vorhang. Wir haben das so übernommen und beim Nato-Alarm ( Übung ) so gegen imaginäre Gegner aus dem anderen Teil Deutschlands, unsere Waffen in Stellung gebracht. Als die Übungen vorbei waren, waren wir froh, dass nur Pappkameraden im Schlachtfeld auftauchten und wir nicht auf Landsleute aus dem anderen Teil Deutschlands schießen mussten. Leider hat die Politik in Westdeutschland nicht bedacht, dass nach der Wende, nicht nur der alten Bundesrepublik wohlgesonnene Personen in den Westen gekommen sind. Und dabei ist ihnen ein Super Gau unterlaufen, indem sie die größte Feindin Westdeutschlands zur Regierungschefin von Gesamtdeutschland gemacht haben. Ab dem Zeitpunkt ging es steil bergab mit der Demokratie. Dieses Land ist so kaputt und marode, innerlich wie äußerlich und die Gesellschaft gespalten, wie es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik gewesen ist. Das Grundgesetz hat keine Bedeutung mehr. Es kann beliebig außer Kraft gesetzt werden. Grundrechte der Menschen kann die Regierung gewähren oder entziehen, ganz nach gut dünken. In allen Institutionen hohen und weniger bedeutsamen sitzen die Verfassungsfeinde, von Merkel und ihren Lakaien installiert. Mit Merkel wurde der Abstieg eines einst gesunden Staates beschlossen. Ab diesem Zeitpunkt ist nichts mehr wie es war und das Land geht dem Untergang entgegen. Erst unmerklich langsam und dann immer schneller. Herzlichen Glückwunsch Frau Merkel. Sie haben es geschafft. Mit Ihrer Hinterlist, Bosheit und Kälte für die deutsche Bevölkerung, haben Sie bittere Rache für ihre untergegangene DDR genommen. Mit Ihnen begann der Untergang und Ihre Lakaien, als Ihre Nachfolger, werden das Land in Ihrem Sinne abwickeln. Schade um dieses einst schöne Land, dass durch Dummheit und Unverstand in die Krallen einer gnadenlosen Sozialistin geriet.

Roland Müller / 05.03.2022

Lieber Herr Bonhorst, echten Krieg gibt es in der Ukraine nicht seit einer Woche, sondern seit acht Jahren. Aber der Donbass ist anscheinend anderswo und die 14.000 Toten im Donbass sind anscheinend auch anderswo.

Silvia Orlandi / 05.03.2022

Gut, dass die Ukraine (noch )nicht in der NATO ist. Sonst wäre WK 3 angesagt. Aber bei diesen Irren ,Dementen ist alles möglich. Rusky und Ami Go Home!

Roland Müller / 05.03.2022

Die Grünlinge waren bestenfalls in ihren Gründerzeiten Freunde von Gewaltlosigkeit. Eine gewisse Affinität für gewaltbereite «Unterdrückte» haben sie vom ersten Tag an gehabt.

Michael Schweitzer / 05.03.2022

Herr Bonhorst,war im Kalten Krieg in Schleswig-Holstein stationiert und habe die Selbstschußanlagen der DDR(In Richtung der DDR gerichtet) mit eigenem Auge gesehen.Später nach der Wende ,war ich in Magdeburg und habe gesehen wozu Sozialisten noch fähiger sind. Alles marode und kaputt gewirtschaftet.Der zukünftige Kalte Krieg wird sich an den Grenzen von Polen und den Baltischen Staaten abspielen. Und im vorletzten Satz steht auch schon,in welche Richtung uns diese inkompetente,grün-rote Sozialistische Regierungskaste bringen wird. Wer sowas wählt,hat aus der Deutschen Geschichte(Faschismus und Kommunismus) nichts gelernt.

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