Gastautor / 13.05.2012 / 00:12 / 0 / Seite ausdrucken

Das Platte ist politisch

Die 7. Berlin-Biennale präsentiert sich die schlechteste aller Zeiten – und ihre Kuratoren sind stolz darauf

Alexander Wendt
 
Schon in der Elisabethkirche in der Berliner Invalidenstraße ahnt der Besucher der Biennale, dass es ab jetzt nicht mehr besser wird. In der säkularisierten Kirche findet die Eröffnungspressekonferenz statt, Klaus Biesenbach, Gründer und Kurator der legendären ersten Berlin-Biennale, gibt ein vergleichsweise kurzes Statement ab, der Kurator der jetzigen 7. Biennale Artur Zmijewski ein sehr langes, das immer dann, wenn man auf den Schlusspunkt hofft, in eine weitere Verzögerungsschleife aus knarzigem Kuratorenenglisch einbiegt. Und dann kommt schon die erste Performance: Junge herbeikuratierte Vertreter der Occupy-Bewegung kündigen an, in einen herrschaftsfreien Dialog mit den anwesenden Journalisten treten zu wollen, und stellen erst einmal klar, wie das Ganze abzulaufen hat: Das Publikum darf sich zustimmenden äußern (beide Arme über den Kopf, und Drehbewegung mit den Händen vollführen) oder ablehnend (Arme auf Kopfhöhe abwinkeln, Dreh- und Schüttelbewegungen nach unten). Gewissermaßen handelt es sich um die Abwandlung des Facebook-Daumens, optisch etwas vergröbert. Es folgen zwei Animationsversuche: „Findet ihr die Welt, wie sie ist gerecht? Findet ihr, dass es Zeit ist, die Verhältnisse zu ändern?“ Allerdings schütteln nur die Occupyvertreter die Arme bejahend in Richtung Himmel, was in einer ehemaligen Kirche besonders beeindruckend wirkt. Die Journalisten möchten nicht so recht mitmachen. Ein englischer Pressevertreter versteigt sich sogar zu der Bemerkung, als das Saalmikrofon herumgereicht wird, er finde die Aufführung etwas lächerlich. Darauf folgt ein engagiertes Armeabwärtsschütteln der Aktivisten. Auf der 7. Biennale geht es zwar unentwegt um Kritik – aber die sollte sich, wie der Besucher ziemlich schnell erfährt, nur gegen Verhältnisse richten.

Daß Kunst politisch sein kann, gehört zu den gut abgelagerten und trotzdem zutreffenden Erkenntnissen. Durch Ilja Kabakovs Installation mit Denunziationsbriefen von Bewohnern einer Moskauer Kommunalwohnung erfährt der Betrachter tatsächlich mehr über die Alltagsgiftigkeit des sowjetischen Systems als in ganzen Geschichtsbänden; Johannes Kahrs’ Porträt von Nancy Reagan und Gerhard Richters Version der kollabierenden Twin Towers verdichten das Politische zu klassischen Bildern; Taryn Simons Fotos und Texte erzählen über die Entrechtung indischer Landbewohner, wie es auch ein guter zeitgenössischer Roman tun würde, Banksys Streetart funktioniert wie lustiger Vorschlaghhammer aus Gummi. Kunst kann sich also mit Politik beschäftigen und aufklärerisch wirken, intelligent erzählen, große Zeichen finden oder einfach nur herumalbern. Nichts von alledem findet sich auf der Biennale in Berlin. Und zwar, weil die Verantwortlichen es so wollten. Kurator Artur Zmijewski macht in seiner programmatischen Erklärung deutlich, daß ein Künstler seiner Wahl ein  „Künstler-Politiker“ sein sollte. Oder wie es die Ko-Kuratoren der russischen Künstlergruppe „Voina“ dekretieren: »Alles, was keine Politik ist, ist keine Kunst, sondern nur eine tote Vogelscheuche, gefüllt mit Scheiße und Reflexion«.  Leider klärt die Biennale die Frage nicht, wo eigentlich lebende exkrementgefüllte Vogelscheuchen zum Einsatz kommen,und wie sie aussehen. Zmijewski schickte den eingeladenen Künstlern vorab folgenden Text: „Da die Recherche auch die Frage betrifft, ob Künstlerinnen und Künstler sich selbst als politisch ansehen, bitten wir Sie, uns über Ihre politischen Neigungen zu informieren(z. b. rechts, links, liberal, nationalistisch, anarchistisch, feministisch, maskulinistisch oder worüber Sie sich sonst definieren)“. Offenbar bestand darin das Auswahlkriterium für die Biennale: Wer nach diesem Fragebogen immer noch dabei sein wollte, war drin.

Die Kunstpolitik füllt jedenfalls das gesamten KW Institute for Contemporary Art in der Auguststraße. Den zentralen Raum im Erdgeschoss okkupieren Aktivisten der Indignados- und Occupy-Bewegung, die, wie es im Reader zur Ausstellung heißt, einfach anwesend sind. Allerlei Schilder stehen im Raum, in eine Nische vor ein Poster mit der Aufschrift: „Some dream, some do, some do both“ bekundet ein an einem Stöckchen befestigtes Porträt des pfeifeschmauchenden Günter Grass, dass nicht nur jeder ein Künstler sein kann, sondern auch jeder das Objekt einer Biennale. Bei „some do both“ hätte man allerdings eher das Anlitz eines Bartträgers aus Teheran erwartet. Immerhin, die Schau weckt Assoziationen. Im der oberen Etage kann sich jeder von dem palästinensischen Künstler Khaled Jarrar den Stempel „State of Palestine“ in den Paß oder an jede beliebige andere Stelle drücken lassen. Das Kunstprojekt, heißt es in dem unvermeidlichen Begleitblatt, zeige sich „nicht einverstanden mit der Aufteilung Palästinas nach 1947“, wobei Jarrar nicht verrät, wie er die Neuaufteilung vornehmen würde, wenn er dürfte, und ob er dabei zumindest noch die Strandpromenade von Tel Aviv für Israel übriglassen würde. Irgendeine Form der Herrschaftskritik gegen die Hamas oder die Autonomiebehörde in der Westbank, die man bei diesem Projekt zumindest theoretisch erwarten könnte, sucht man vergebens.

Denn Herrschaftskritik funktioniert anders: Die Installattion „New World Summit“ von Jonas Staal versammelt zunächst einmal nur die Fahnen von Organisationen wie der FARC, von Al Quaida der Real IRA und anderen Organisationen, die, wie der Künstler in dem üblichen Erklärblatt klagt, durch ein „intransparentes Verfahren“ zu Terrororganisationen gestempelt würden. Wo kommt nun die Kritik? Da: nach Staals Ansicht sollen Vertreter dieser intransparent abgestempelten Gruppen in Berlin über die „Grenzen des gegenwärtigen demokratischen Systems“ diskutieren. Wäre es nicht noch einen Tick kritischer, ja authentischer, wenn man noch die Fahne der früheren militärischen Organisation dazugehängt hätte, zu der ein  sympathischer Träumer wie Günter Grass vom Erdgeschoss einmal gehören durfte, kurz vor der ungerechten Aufteilung Palästinas? Und werden auf dem New Word Summit zwischen FARC, Al Quaida und westlichen Selbsthasskünstlern eigentlich auch genderpolitische Probleme verhandelt und Geschlechterrollen hinterfragt? Gibt es auch eine queere Interpretation von Sprengstoffgürteln? Davon würde man jedenfalls gern ein Video sehen.

Was übrigens ggf. von Israel nach der Lösung des Nahostproblems durch die Biennale-Kuratoren übrig bliebe, beantwortet der „Key of Return“ im Hof der Kunstwerke, ein Riesenschlüssel aus Stahl und laut Biennale-Zeitung der größte Schlüssel der Welt, der aus der palästinensischen Siedlung Aida bei Bethlehem stammt und das „Recht auf Rückkehr“ für  symbolisieren soll. Bevor es aber wieder in auf den Hof geht, harrt noch Lukasz Surowiecs Projekt „Berlin-Birkenau“ im Dachgeschoss der Beachtung: Es besteht aus eingetopften Birkensetzlingen aus Auschwitz-Birkenau, die jeder mitnehmen darf, um Deutschlands beliebteste Bevölkerungsgruppe zu ehren, nämlich tote Juden. Das Kunstprojekt verwirklicht den alten Traum, sich endlich sein eigenes symbolisches Holocaustmahnmal in den Blumenkasten zu pflanzen.

Wer den Parcours an der Auguststraße wieder verlassen will, muß noch an Martin Zets Installation „Deutschland schafft es ab“ vorbei, einer Aktion, mit der Zet ursprünglich 60 000 Expemplare von Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ „recyclen“ wollte. In den Raum findet sich ungefähr ein Dutzend Exemplare des Buches mit dem „gefährlichen Inhalt“ (Zet), eingeschraubt in Gerüststangen. Die Satteltasche eines Fahrrads, das eigentlich als „Sammelpunkt“ für das Buch gedacht war, bildet, wie man als Kurator sagen würde, eine Leerstelle. Mit der Kritik am eigenen ratslosen Schaffen geht Kurator Zmijewski übrigens so souverän und geistreich um, als würde er im Hauptberuf für das weißrussische Innenministerium arbeiten. Die Kritik von Medien an Zets Projekt und der dezente Hinweis, in der Stadt der Bücherverbrennung wecke man mit der angekündigten Vernichtung von Büchern unvermeidlich Assoziationen, nennt er einen „von den Medien geschürten Skandal“. Das Problem sei nicht die Dumpfheit von Zets totalitären Fantasien, sondern „die deutsche Vorstellungswelt mit ihren tragenden Elementen: Feuer und Asche“.

Selten dürfte es Ausstellungsmacher so vollständig geschafft haben, sämtliche Versatzstücke des linken Diskursrhabarbers in Trockenpräparate zu verwandeln, mit läuseknackerischer Sorgfalt aufzuspießen und vor allem so umfangreich zu beschriften wie Zmijewski und seine Ko-Koratoren in Berlin. Die 8. Berlin-Biennale findet übrigens gar nicht in Berlin statt, sondern woanders. Ihre zentralen Projekte: Eröffnung eines koscheren Cafés in Gaza-Stadt und ein Gender-Projekt für das chinesische Politbüro; in den afghanischen Bergen bauen Occupy-Vertreter diverse Camps und diskutieren mit den Taliban über die Beschränkungen des Islam. Das Sponsoring übernimmt die Groucho-Marx-Stiftung.




un pipe Stempel des Guten Einmal als Tragödie, einmal als FARC: Der 'New World Summit' Birken aus Birkenau, unterstützt von den Berliner Grünflächenämtern Die Satteltasche des Schreckens: leer

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