Alexander Wendt / 03.07.2013 / 11:43 / 0 / Seite ausdrucken

Bye, bye, Hysterie

Die Debatte um die Erderwärmung wird längst nicht mehr so hitzig geführt wie früher. Eine Focus-Umfrage zeigt: die Mehrheit der Bürger sieht das Thema heute deutlich entspannt. Auch Forscher plädieren für mehr Gelassenheit

Das Land stöhnte unter der schlimmsten Hitzewelle seit Jahrzehnten. In Washington D.C. schmolz bei Temperaturen um die 40 Grad Celsius der Asphalt, als James Hansen, Direktor des Nasa Goddart Instituts für Raumforschung am 24. Juni 1988 vor dem US-Senat das Wort ergriff. Der heiße Sommer, so der Experte, sei mit „99prozentiger Sicherheit“ auf den verstärkten Ausstoß von Kohlendioxid durch die Industrie zurückzuführen. „Die Klimaerwärmung hat begonnen“, titelte die „New York Times“. Ohne die Gluthitze des Jahres 1988 hätte sich die These von der katastrophalen Erderwärmung wahrscheinlich nicht derart schnell und durchschlagend in der Politik durchgesetzt. Der damalige Senator und spätere US-Vizepräsident Al Gore sprach damals von der „Kristallnacht vor dem Treibhaus-Holocaust“.

Auch für die Abkehr von der Weltkatastrophen-Stimmung im Jahr 2013 könnte das Wetter ein bisschen mitverantwortlich sein – nur unter umgekehrtem Vorzeichen. Zwar unterscheiden sich Klima- und Wetterforschung erheblich: Ihre relevanten Klimadaten gewinnen die Wissenschaftler aus Perioden von rund 30 Jahren. Aber über die gesellschaftliche Wirkung ihrer Prognosen entscheidet eben auch die Hitze oder Kälte vor der Haustür. Im kühlen Frühjahr des Jahres 2013 – dem kältesten seit gut 40 Jahren –  scheint sich jedenfalls auch die Hitze aus der Klimadebatte zu verflüchtigen. Für Focus fragte das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid Ende Mai 1004 Bundesbürger, wie sie die globale Erwärmung einschätzen. Ergebnis: Die Deutschen erweisen sich überwiegend als Klima-Realisten. Auf die Frage:  „Haben Sie das Gefühl, dass das Klima in Ihrer Region in den letzten zehn Jahren wärmer geworden ist?“, antworten 35 Prozent, es sei nicht wärmer geworden, 46 Prozent meinen, das Klima sei im großen und ganzen gleich geblieben. Nur 17 Prozent glauben, es sei in den letzten zehn Jahren wärmer geworden. Zum Vergleich: 2007 empfanden noch 85 Prozent der Deutschen die globale Erwärmung als „bedrohlich“.
Das Gefühl der Mehrheit passt gut zu den Messdaten: Seit 1998 stagniert die globale Durchschnittstemperatur, auch in Deutschland bewegt sich die Wärmekurve auf einem stabilen Plateau.

Halten die Deutschen die Warnung vor einer Erwärmungskatastrophe von einigen Wissenschaftlern und Politikern für angemessen oder übertrieben? Auch hier bewegt sich der Trend offenbar vom Alarmismus früherer Jahre zu einer kühleren Sicht. Laut Emnid finden 28 Prozent die Hitzeszenarien übertrieben, 63 Prozent halten die Warnungen für angemessen. Und nur acht Prozent meinen, die Gefahren eines wärmeren Klimas würden noch nicht drastisch genug gezeichnet.

Wie stark sich die Welt bis zum Ende des Jahrhunderts tatsächlich erwärmen kann, und was die seit fünfzehn Jahren anhaltende Stagnation der globalen Temperatur bedeutet, darüber diskutieren auch Politiker und Wissenschaftler 2013 deutlich gelassener als noch vor einigen Jahren. Die Erfahrung machte jedenfalls Klaus Oellerer, 63, Mitgründer des erwärmungsskeptischen „Europäischen Instituts für Klima und Energie“ (EIKE). Noch 2010 prangerten Politiker der grünen Bundestagsfraktion das privat finanzierte Institut als Sammelbecken von „Klimaleugnern“ an.  Mittlerweile akzeptieren ihn die ehemaligen Kontrahenten als Diskussionspartner. Im Mai debattierte Oellerer mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Matthias Miersch und einem lokalen Grünen-Politiker vor Jugendlichen einer Gesamtschule in Hannover über den Klimawandel. „Die Atmosphäre dort war äußerst angenehm“, schwärmt der ehemalige Entwicklungsingenieur Oellerer. „Das entsprach überhaupt nicht den Erfahrungen, die wir Skeptiker früher gemacht hatten.“

Eine ähnliche Entspannung erleben auch die sächsischen Liberalen.  FDP-Bundesvize Holger Zastrow, zugleich Partei- und Fraktionschef des Landes, bezweifelt seit 2011 öffentlich sowohl die Erderwärmungsthese als auch den Sinn der Energiewende, ebenso wie der Leipziger FDP-Europaparlamentarier Holger Krahmer. Als die sächsische FDP-Landtagsfraktion im vergangenen Jahr zu einer alternativen Klima-Konferenz nach Dresden lud, kanzelten die meisten Medien den vermeintlichen Spinnerzirkel ab, oder ignorierten die Veranstaltung. Und von Berlin aus hob der Vorsitzende des FDP-Bundesfachausschusses Umwelt Horst Meierhofer damals mahnend den Finger: Die Veranstaltung der Sachsen sei „nicht hilfreich“. Über die „Alternative Öko-Konferenz“ der sächsischen Freidemokraten im Mai 2013 mochte sich niemand mehr so richtig aufregen. Mit dem tschechischen Ex-Staatspräsidenten Václav Klaus kam auch erstmals ein prominenter Gast aus dem Ausland. „Wir werden zunehmend wahr- und ernstgenommen“, freut sich der EU-Parlamentarier Krahmer.

Der renommierte Hamburger Klimaforscher Hans von Storch macht keinen Hehl daraus, was er von Erwärmungsskeptikern wie den EIKE-Leuten hält: wenig bis nichts. Trotzdem plädiert der Meteorologe und Küstenforscher nachdrücklich dafür, mit Skeptikern ins Gespräch zu kommen. Einwände gegen den wissenschaftlichen Mainstream, findet von Storch, seien völlig legitim: „Entweder unsere Klimamodelle werden durch die Auseinandersetzung mit Kritikern robuster. Oder es werden Fehler in unseren Modellen aufgedeckt – dann ist es auch gut.“ In seinem Buch „Die Klimafalle. Über die gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung“ warnt er zusammen mit dem Ethnologen Werner Krauss seine Forscherkollegen, sich zu Weltlenkern mit „Unfehlbarkeitsanspruch“  aufzuschwingen. Die Reaktionen von Kollegen auf sein Buch, so von Storch, seien „sehr gelassen“ gewesen. „Man regt sich nicht mehr so auf wie früher. Das ist schon ein gewisser Atmosphärenwechsel.“

Für den deutlichen Klimadebatten-Wandel gibt es zwei handgreifliche Ursachen: Erstens setzen sich Klimawissenschaftler mittlerweile mit der Tatsache auseinander, dass die globalen Temperaturen seit fünfzehn Jahren stagnieren. Der Temperaturstillstand bringt viele Fachleute zu der Frage, ob tatsächlich der Kohlendioxidausstoß die Klimaentwicklung konkurrenzlos dominiert – oder ob natürliche Faktoren wie Sonnenaktivität und Wolkenbildung bisher unterschätzt wurden. Zahlreiche Wissenschaftler rechnen außerdem mit einem eher moderaten Temperaturanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts. So publizierte eine Forschergruppe der Universität Oxford in der –Ausgabe von „Natural Geoscience“ eine Prognose, die von einer Erwärmung zwischen 0,9 und 2 Grad in den nächsten 50 bis 100 Jahren ausgeht – und nicht mehr, wie der Zwischenstaatliche Klimarat (IPCC) noch vor kurzem, von 6,4 bis sieben Grad.

Außerdem erweisen sich eine Menge alarmistischer Klimaprognosen der Vergangenheit mittlerweile schlicht als heiße Luft. So tönte der Meteorologe Mojib Latif im Jahr 2000: „Winter mit starkem Frost und viel Schnee wie noch vor zwanzig Jahren wird es in unseren Breiten nicht mehr geben.“ In der Realität des Jahres 2013 herrschte in weiten Teilen Deutschlands noch im März Dauerfrost und Schnee;  die Schweizer Berge lagen vielerorts noch Ende Mai unter einer weißen Decke.  Auch die Hochwasser im Süden und Osten der Republik passen schlecht zu den selbstgewissen Voraussagen von früher. So sagte Friedrich-Wilhelm Gerstengerbe vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) 2009 vor allem für Ostdeutschland „weniger Niederschläge und zunehmende Trockenheit“ voraus. Und Greenpeace entwarf vor einigen Jahren eine Art Wüstenvision für Deutschland: „Heiße, trockne Sommer dörren den Boden aus. Die Stauseen sind fast leer, Flüsse verkümmern zu Rinnsalen, überall herrscht Wassermangel.“

Teilweise erinnert schrille Alarmismen wie Gores „Klima-Holocaust“  an das Waldsterben der achtziger Jahre – eine angekündigte Großkatastrophe, die dann einfach ausblieb. Das Dauerthema der achtziger Jahre, das ganz wesentlich den politischen Aufstieg der Grünen beförderte, ging im Kern auf den Bodenkundler Bernhard Ulrich zurück. Der Göttinger Wissenschaftler prognostizierte 1979, die großen deutschen Wälder würden binnen weniger Jahre „großflächig“ absterben.  Später relativierte er seine eigenen Aussagen. Aber da hatten die rührigen Apokalyptiker in Medien und Politik längst ihre eigene Realitätsvorstellung geprägt.

Co-Autor: Daniel Fallenstein

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