Alexander Wendt / 04.01.2016 / 06:30 / 13 / Seite ausdrucken

Systematisch verdrehende, verwischende und verschleiernder Begriffe

Nach der Schießerei im Jüdischen Museum von Brüssel 2014, bei der ein islamistischer Terrorist mit einer AK 47 bekanntlich mehrere Besucher niedermähte, gab es jetzt wieder einmal eine Schießerei, dieses Mal in Tel Aviv, so genannt auf Zeit Online, bei der ein islamistischer Terrorist mit seiner Maschinenpistole in einer Gruppe von Barbesuchern feuerte.

Liebe Medien, ich habe verstanden: es ist kein ein- oder zweimaliges Versehen schlecht bezahlter Zeilenschrubber, wenn Massaker an Zivilisten - vorausgesetzt, die Täter sind Anhänger der Religion, die keinen Terror hat beziehungsweise umgekehrt - wenn also eine Schlächterei an Zivilisten mithilfe von Schusswaffen Schießerei genannt wird. So, wie es auch nicht versehentlich, sondern systematisch über die Messerattentate in Israel heißt: Palästinenser nach Messerattentat getötet. Siehe hier und hier.

So, wie bestimmte Tätergruppen in Deutschland immer und grundsätzlich als Männer oder Jugendliche ohne weitere Zusätze vorgestellt werden. So, wie es nach linksradikalen Bürgerkriegsszenen in Leipzig hieß: Schwere Krawalle nach rechtem Aufmarsch. So, wie immer mehr Medien dem Vorbild der Bundeskanzlerin folgen und IS nur als Abkürzung aussprechen beziehungsweise schreiben oder gleich durch das Akronym Daesh ersetzen. Aber, liebe Medien, könnte und müsste das Prinzip nicht weiterentwickelt werden?

Sollte es nicht beispielsweise über die sexuelle Belästigung und Beraubung von Frauen in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof heißen: Frauen in Massenbelästigung verwickelt. Hätte es nicht schon über Paris am 13. November heißen müssen: Schwere Schießerei im Theater Bataclan - mehrere Konzertbesucher und sieben junge Männer tot?

Kürzlich diskutierte ich mit anderen, die dieses Phänomen genau so wahrnehmen, über die Benutzung systematisch verdrehender, verwischender und verschleiernder Begriffe in den Medien. Die Debatte lief schnell auf folgende Frage hinaus: Ist Dummheit der entscheidende Grund? Hirnlosigkeit? Gruppendruck? Die kollektive Orientierung der meisten Qualitätsmedienredakteure – ähnlich wie bei einem Fischschwarm, der sich simultan bewegt – spielt sicherlich eine herausragende Rolle. Das Verhalten mag eingeschliffen sein, allerdings nicht so unreflektiert, dass feine Linien nicht beachtet würden.

Über den Nürnberger Blumenhändler Enver Simsek etwa, der am 11. September 2000 von der NSU ermordet wurde, würde kein halbwegs nüchterner Journalist schreiben: Simsek kam bei einer Schießerei ums Leben. Denn in diesem Fall wäre der Job vermutlich stark gefährdet. Gegen die Umgehung von Begriffen wie islamistische Täter und Massaker hat dagegen kein Chefredakteur und kein Rundfunkratsmitglied etwas einzuwenden. Und über Israel, diese zentrale Obsession fast aller deutscher Redaktionsbürositzer, darf sowieso jeder schreiben, wie es in ihm denkt.

Schafft, Medienschaffende, einfach weiter so. Denn es gibt keinen Grund, aus eurer Mördergrube ein Herz zu machen.

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Judith Jannach / 06.01.2016

Das Wort ist eine Wortschöpfung Gandhis. Unter Satyagraha verstand Gandhi die Kraft, die aus der Suche nach Wahrheit, Liebe und Gewaltfreiheit geboren wird. Gandhi selbst schrieb über Satyagraha: “(…) auf politischer Ebene besteht der Kampf im Namen des Volkes vorwiegend darin, dem Irrtum in Form ungerechter Gesetze entgegenzutreten. Wenn es misslungen ist, dem Gesetzgeber den Irrtum durch Petitionen (Bitten oder Beschwerden) und dergleichen eindringlich vor Augen zu führen, bleibt einem als einziges Gegenmittel - wenn man sich nicht unterwerfen will -, ihn zu zwingen, die Gesetze aufzuheben, indem man durch Verletzung des Gesetzes eine Bestrafung herausfordert und dadurch selbst Leiden auf sich nimmt.” Die Satyagraha ist eine Art ziviler Ungehorsam oder ziviler Widerstand. Gandhi selbst musste immer wieder Zeiten im Gefängnis verbringen, wenn er ungerechte Gesetze gebrochen hatte. Da er aber gewaltfrei blieb, seine Strafe akzeptierte und im Licht der Öffentlichkeit stand, blieb den Herrschenden nichts anderes übrig, als ihn immer wieder frei zu lassen. Immer mehr Menschen waren von dem Prinzip überzeugt und schlossen sich Gandhi an.

Michael Riepen / 05.01.2016

Sehr guter Artikel. Statt sich in Rhetorik zu verlieren, wird einfach deskriptiv gegenübergestellt. Sprachregelungen sind die Propaganda der Gegenwart, sozusagen nach dem Prinzip “steter Tropfen höhlt den Stein”. Meine Erklärung für dieses “Versoften” aller mit dem Islam(ismus) zusammenhängenden Tatbestände: die Schreiber haben schlicht Angst vor Attentaten. Diese Angst läßt sich nicht mit Statistiken besänftigen, denn man hat keine 100 Leben. Es reicht eigentlich 1 Attentat auf eine europäische Redaktionsstube, damit in Zukunft in allen vergleichbaren Redaktionen die Angst mitformuliert. Gab es nicht mal bzgl. des Nahostkonflikts eine Untersuchung irgendeiner Uni über die Art der Berichterstattung bereits auf dpa-Quellebene? Der Beobachtungszeitraum war recht lange.

Michael Hoeft / 05.01.2016

Ein ähnlich merkwürdiger Sprachgebrauch existiert auch an anderen Stellen. Angehörige eines bestimmten politischen Spektrums -kommen zu spontanen Gegendemonstrationen zusammen -demonstrieren für ihre Anliegen -haben gelegentlich am Rande Auseinandersetzungen mit der Polizei. Andere hingegen -rotten sich zusammen -führen Aufmärsche durch -verüben brutale Gewalt gegen Polizisten Für Unbeteiligte, selbst wenn sie Augenzeugen der o.g. Vorgänge werden, mögen diese Dinge ziemlich gleich aussehen. Dank der objektiven und differenzierten Berichterstattung in den Medien ist es dem Leser dann möglich, sich selbst eine Meinung zu bilden. Einige besonders undankbare Konsumenten der Medien nehmen aber nun das Wort Lügenpresse in den Mund. Wie gut, dass wenigstens die versierten Journalisten in der Lage sind, diese Menschen einem bestimmten, besonders verabscheuungswürdigen Spektrum zuzuordnen. Auch, wenn sie noch nie mit denen gesprochen haben. Als journalistischer Profi weiß man das eben.        

Elena Tiburski / 04.01.2016

Man will objektiv sein und erschrickt, wenn durch das Verhalten der heiklen Bevölkerungsgruppe genau das passiert, was allgemeine Befürchtungen (Vorurteile) nahelegen. Was tun? Wie bleibt man um jeden Preis objektiv? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Man würde Vorurteile bedienen. Also werden Informationen entzogen. Wer war es - wird verschleiert. Die Schlagzeilen doppeldeutig, Tote nach Messerattacke (getötete Angreifer). Das mag ich an den Medien nicht. Besser, offen schreiben was geschehen ist, auch mit heiklen, aber wahren, vollständigen Informationen. Dann die Sache besser im Kommentar zurechtrücken, bzw. dort offen zu seiner Meinung stehen und nicht die Berichterstattung mit der Meinung vermischen, derart, dass ungeliebte Tatsachen verschwiegen werden. Daher kommt das Mißtrauen gegenüber der Presse. Bei mir auch.

Edmond Sworowski / 04.01.2016

Der sorgsame Umgang mit Wahrheit, Sprache und unserer Gemütslage lassen die Qualitätsmedien die Überschrift “Ampel erschlägt 17-Jährige” ersinnen. Wer nach der, in diesem Fall sprichwörtlichen, “headline” weiter blättert bleibt dann auch bei der Annahme, dass lasche Statik und mangelnde Wartung in unserem Land den Tod einer jungen Vietnamesin verursacht haben. In mancher Hinsicht stimmt dies sogar. http://www.tz.de/muenchen/region/neujahr-17-jaehrige-ampelmast-erschlagen-6001179.html Den Weisungen des Presserats folgend, die Nationalität beteiligter Personen nur dann im Artikel zu erwähnen wenn dies zum Verständnis des Artikels unbedingt von Nöten ist, erfahren wir dass es sich bei dem Opfer um eine Vietnamesin handelt. Und wie bei jedem wirklich guten Zeitungsartikel weiß der Leser nach müheloser Recherche mehr, soll wohl anregend sein.

Andreas Rochow / 04.01.2016

Ich hatte 4 Journalisten angeschriebenen, um zu erfahren, wie es möglich ist, dass sie fast zeitgleich intensiv hasserfüllte, vernichtende Kritiken über den lettischen Regisseur Alvis Hermanis veröffentlicht haben. Besonders unangenehm war, dass sie sich in der Hetze zu überbieten versuchten und sich in Verhöhnung seines künstlerischen Gesamtschaffens ergingen,  wobei sie auch psychiatrische Begriffe - gebrauchten. Ein ganz besonders aufgeregter Theaterkritiker forderte gar die Absetzung einer anderen Arbeit von Hermanis am Thalia-Theater Hamburg. Der einzige Kollege, der mir antwortete, war ein “freier”, der die Meinung vertrat, dass das Medium immer wieder auf ihn zurückkomme, weil er sich offenkundig durch Qualität einen Namen gemacht habe. Ich habe ihm verdeutlicht, dass ich mir unter Qualität des Feuilletons etwas anderes vorstelle als wohlfeile politisch korrekte Scharfrichterei. Ich gab ihm zu bedenken, dass es vielmehr das Erwartbare sei, das er zuverlässig auf Zuruf abliefere und mit “Qualität” verwechselt habe. Die Schere im Kopf sei auch dann der Tod des Journalismus, wenn man sie neuerdings (linke!) “political correctness” nennt. Der Kollege vom Feuilleton hat leider nichts mehr erwidert. Ihm wie seinen Kollegen wird das Eingeständnis schwerfallen, dass es für den karrierebewussten Journalisten inzwischen wichtiger geworden ist, zu mainstreamen, linke Empörungsreflexe zu trainieren und ungeschriebene Sprachregelungen brav zu befolgen, wenn er ansonsten nichts zu sagen hat.

peter luetgendorf / 04.01.2016

Sehr geehrter Herr Wendt, dem ist nur noch hinzuzufügen, daß meinem Sprachverständnis entsprechend, eine “Schiesserei” ein Feuergefecht zwischen mindestens zwei Parteien beschreiben soll. Die übliche Berichterstattung ist in weiten Teilen von erschreckender Unkenntnis geprägt. Gruß Peter Lütgendorf  

Heinz Segl / 04.01.2016

Wenn ich es richtig verstanden habe, wendet sich hier der Autor gegen den Versuch einer allgemein üblichen, tagtäglichen sprachlichen Versachlichung. Zugegeben,  die Formulierungen des medialen Alltags wirken deshalb schon häufig stereotyp und uniform. Ein Bericht muss sich aber um eine sachlich neutrale Sprachform bemühen, sonst wäre es ein Kommentar oder Ähnliches. Das Wort “Schlächterei” mag zwar die persönliche emotionale Befindlichkeit einem Thema gegenüber sprachlich besser darstellen, hat aber in einem Bericht nichts verloren, da es eine Gefühlslage widerspiegelt. Also bitte, Äpfel und Birnen sind zwar beides Obstsorten, aber deshalb noch nicht das Gleiche ...!

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