Alexander Wendt / 22.12.2015 / 18:00 / 0 / Seite ausdrucken

Im blutigen Dreieck

Achse-Autor Wolfgang Röhl lässt in seinem neuesten Krimi Öko-Terroristen morden

Der Autor Wolfgang Röhl könnte eigentlich überall leben: Als ehemaliger „Stern“-Haudegen und gelegentlicher Reisereporter für „Geo“ kennt er die Welt und scheut kein Klima. Trotzdem wählte er sich als Fixpunkt keinen Platz an der Sonne, sondern einen Wohnsitz im so genannten Nassen Dreieck hoch oben an der Nordseeküste, sturmdurchfegt und erdverwachsen. Vielleicht hilft der Kontrast, um ab und zu die farbigsten Südseereportagen zu schreiben. Ganz sicher aber bieten Heimatgefühle allerbeste Voraussetzungen für solide Heimatkrimis, die Spezialstrecke Wolfgang Röhls. Auf den Seiten seines neuen Nordland-Krimis „Brand Marken“ fließen Herzblut und fiktionales Blut, und zwar beides reichlich. Denn in seinem leicht dystopischen Deutschland des Jahres 2020 herrscht wieder Terror: ALF, die Animal Liberation Front radikaler Tierschützer mordet für die gute Sache.

Max Michelsen, Held des Krimis, nimmt die Anschläge zunächst nur aus dem Augenwinkel wahr: Denn die agiert anonym, und er gehört definitiv nicht zur Zielgruppe, obwohl er gleich am Angang einen tödlichen Brandanschlag auf einen Viehstall beobachtet.

Max verdingt sich als Redenschreiber. Wählerisch gibt er sich nur, wenn es ums Honorar des Auftraggebers geht – das sollte ordentlich sein. Ansonsten liefert er Edelrhetorik sowohl an Gewerkschaftsführer wie an Massentierhalter, die er privat unter „stumpfsinniges Güllespritzerpack“ einsortiert. Verglichen mit Reiner Pfeiffer, der Giftdrüse im Barschel-Engholm-Skandal, wirkt der moralisch flexible Max trotzdem einigermaßen sympathisch. Er gehört zur Kategorie von Männern, über die es in deren Umfeld heißt: eigentlich ein netter Kerl.

Und deshalb heuert ihn auch sein Ex-Schulfreund Reiner Feldmann als Ghostwriter an, ein schwerreicher Unternehmer, der eine Kette von Bio-Supermärkten betreibt und davon nicht nur ein herrschaftliches Gut finanziert, sondern auch eine Kolonie skurriler Esoteriker, Tierschützer, auch eine Radikalfeministin ist mit von der Partie („Die Kastration des Mannes kann nur eine Übergangslösung sein“).

Der Auftrag zieht Max in die Nähe eines Milieus, das er bis dahin nicht sonderlich ernst genommen hatte. „Ich wusste nicht viel darüber. Nur, dass zu den Teilnehmern ein hochbetagter, hochsensibler Poet gehörte, der einst durch seine Empathie für einen prominenten Kriegsverbrecher vom Balkan aufgefallen war. Ein anderer Teilnehmer moderierte eine Kultsendung im Fernsehen, die er zu einem Öko-Kampfmagazin umfunktioniert hatte. Und dann war da noch eine bekannte Schriftstellerin, die auch Kolumnen schrieb. In denen das Ende der Welt vorhergesagt wurde, falls diese Welt sich nicht schleunigst ändern würde. In eine Richtung, die sie, die Schriftstellerin, unermüdlich vorgab.“

Vieles in Röhls Buch ist - wie dieser illustre Zirkel, in dem Reiner verkehrt – ziemlich wirklichkeitsgetreu nachgebildet. Die radikale (und gewalttätige) Tierschützerfront ALF existiert übrigens unter exakt diesem Kürzel tatsächlich.

Als Max in seinem Laptop einen Spionage-Stick zur Fernausspähung entdeckt, merkt er, dass er nicht nur Subjekt in der Geschichte ist, sondern auch Objekt. Und plötzlich sehr nah an terroristischen Anschlagsplänen.

An keinem Punkt agitiert „Brand Marken“ allerdings den Leser mit Thesen, was sich eben nicht zuletzt dem erzählerischen Aroma eines Heimatthrillers verdankt. Hier kennt einer Land, Leute und Macken sehr genau. Der Autor entwirft ein Dreieck aus versponnen Erlösungsideologen auf der einen, erzkonservativen Agrarierknochen – prototypisch vorgestellt durch einen alten Schweinebaron – auf der anderen und der Terrorgruppe plus Hintermann auf der dritten Seite. Und Max, der im Grunde Nette, mittemang.

Das Buch schreit geradezu nach einer Verfilmung, wegen seiner prallen – oder wie es unter Dramatikern heißt -  vollplastischen Figuren, aber auch wegen des Resonanzbodens, auf dem noch der Terror des deutschen Herbstes mitschwingt. Sollte ein TV-Sender den Stoff verfilmen, am besten noch ein öffentlich-rechtlicher, dann würde es der Rezensent mit E. Stoiber halten und ein Glas Sekt aufmachen. Siehe hier.

der Text erschien auf dem Blog des Autors www.alexander-wendt.com.

 

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