So ändern sich die Zeiten: ein Name, der vor fünfzig Jahren zum Inbegriff verruchter Lüste und heimlicher Verlockungen geworden ist, kämpft heute gegen das abtörnende Image des Altbackenen. Die Marke Beate Uhse hat ihre Gründerin zwar um 15 Jahre überlebt, aber der Niedergang des Konzerns hängt mit den Zeitbezügen seiner Zentralfigur durchaus zusammen. Beate Uhse, die Ärztin mit Kampfflieger-Patent, die geschäftstüchtige Aufklärerin und Sexspielzeug-Propagandistin, verkörperte jenes Deutschland, das mit den Pickeln unserer Pubertät verbunden bleibt.
Wie kaum jemand sonst in Europa hat sie das Sexleben geprägt, indem sie Länder und Leute mit Dildos, Puppen und erotischen Phantasien belieferte; sie hat bewirkt, daß Frauen sich einen geilen Gerätepark anschaffen konnten, ohne unter dem Gedankenbild der perversen Prothese zu leiden, und sie hat Männer ermuntert, den Geschlechtsakt durch dekorative und apparative Ausstattungen mehrdimensional zu gestalten.
Doch die Errungenschaften von damals sind heute Selbstverständlichkeiten. Genauso wie der Versandhandel, einst eine Domäne des Anrüchigen, inzwischen zur Normalität geworden ist. Und jetzt geht auch der Katalog den Weg von Neckermann und Quelle: er hat in gedruckter Form als Werbeträger ausgedient; das Internet macht ihn schlicht und einfach überflüssig. Dieser Wechsel gibt indessen Anlaß, sich die Unterschiede zwischen Print und Online in der ästhetischen Praxis zu vergegenwärtigen. Es handelt sich ja nicht nur um verschiedene Kommunikationskanäle, sondern um geradezu gegensätzliche Reizkulturen.
Der wichtigste Unterschied besteht in der Dimension des Vorrats. Während das papierene Werk eine unverrückbar feste Zahl von Bildern enthält, ist das Angebot am Bildschirm potentiell unendlich. Das heißt, der Benutzer des gedruckten Katalogs weiß von vornherein, daß er mit einem begrenzten Kontingent von Stimuli wirtschaften muß; die unerschöpfliche Online-Verlockung hingegen läßt einen ewig hungrig weiterklicken. So kann Erfüllung durch Erwartung ge- und zerstört werden – ein im Reich der Libido geläufiges Problem.
An zweiter Stelle steht der Unterschied zwischen starren und bewegten Bildern. Natürlich ist das Video dem Foto an primärer Überwältigungskraft voraus, aber andererseits bietet das Foto der eigenen Vorstellungsenergie mehr Möglichkeiten. Und darauf kommt es bei der Sexualität vor allem an. Schließlich war dies durchweg der hauptsächliche Nebenzweck des Uhse-Katalogs: unter dem Deckmantel seiner geschäftlichen Anmutung entfaltete er pornographische Effekte, und zwar um so mehr mit Hilfe des Kopfkinos, als die visuelle Konkurrenz noch mager war. In jener vergangenen Epoche dienten selbst die Unterwäscheseiten normaler Kaufhauskataloge zur Gewinnung von Erregung.
Man muß sich dies in Erinnerung rufen, um den sittengeschichtlichen Epochenbruch, den das Verschwinden des Uhse-Katalogs markiert, realitätsnah zu begreifen. Die oft und oberflächlich mit dem Begriff „Reizüberflutung“ belegte Entwicklung unterliegt nämlich einer ziemlich subtilen Dynamik. Die gesellschaftliche Ausbreitung der Pornophilie geht zwar mit einer zweifellos zu konstatierenden Verstärkung der Dosis und Vergröberung der Graphik, aber auch mit einer qualitativen Verfeinerung und inhaltlichen Spezialisierung einher, wie es sie wohl noch in keiner Zivilisation gegeben hat.
Die sexuelle Stimulation hat bei uns einen Eigenwert erlangt, den frühere Generationen nicht kannten. Erst recht verfügten sie nicht über befriedigende Hilfsmittel von heutiger Zweckmäßigkeit. Der Handel damit boomt. Daß ausgerechnet der einstige Marktführer in dieser Sex-Hochkonjunktur kriselt, ist nicht ohne Ironie. Doch tatsächlich sind die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Beate-Uhse-Konzerns bloß ein Musterbeispiel für schlechtes Marketing.
Follow me on Twitter: @bmuonline