Ich kann Müller-Ullrichs Drang nachvollziehen, auch diesmal eine Gegenposition zum Mainstreamgetöse zu beziehen. Die allgemeine Nachquasselei der üblichen Dreigroschen-Welterklärungen ist ja ganz oft so peinlich, daß manche Menschen sich schwören, egal zu welcher Sache jede Äußerung zu vermeiden, die als Nachquasseln allgemein anerkannter “Wahrheiten” interpretiert werden kann. Konrad Lorenz sagte einmal: “Die öffentliche Meinung [...] liebt grobe Vereinfachungen, die meist Übertreibungen eines Tatbestandes sind. Deshalb ist die Opposition, die eine öffentliche Meinung kritisiert, dieser gegenüber so gut wie immer im Recht.” Deshalb ist auch Müller-Ullrich in fast allen seiner Beiträge im Recht. Lorenz schreibt aber weiter: “Aber sie [die Opposition] begibt sich, im Tauziehen der Meinungen, in extreme Positionen, die sie nie eingenommen hätte, wenn sie nicht die Gegenmeinung zu kompensieren getrachtet hätte.” Auch das trifft gern mal zu… etwa, wie mir scheint, auf Müller-Ullrich und seinen obigen Artikel. Tests erfüllen wichtige Funktionen. Im Bereich von Konsumerprodukten etwa die Sicherstellung von Produkteigenschaften, wie sie dem Konsumenten versprochen werden, in der Schule etwa die Motivationssteigerung. Man kann nun diese Funktionen sabotieren, indem man elaborierte Theorien entwickelt, die auf “Bei Tests schummeln ist doch normal und völlig OK” hinauslaufen. Würde sich das als allgemeine Auffassung durchsetzen, würde dies auf eine Abschaffung aller Tests hinauslaufen… denn Tests, bei denen alle ungehemmt mogeln, weil sie mogeln dürfen, sind dann überflüssig geworden, weil sie nichts mehr beweisen können. Wie werden dann aber ohne Tests Produkteigenschaften sichergestellt, Lernmotivationen gesteigert usw.? Die Antwort auf diese Frage bleibt Müller-Ullrich uns leider schuldig. Daß aber Tests INTELLIGENT entwickelt sein müssen, damit sie wirklich vernünftige Aussagen machen können, ist doch klar. Dazu gehört auch, daß man sie so anlegt, daß Mogeln besonders schwierig, idealerweise natürlich unmöglich ist. Natürlich steigt der Aufwand, den man treiben muß, je vollständiger man die Möglichkeiten für Mogelei ausschließen will. Es ist z.B. schwieriger, Abgasmessungen beim Fahren zu machen als beim Stillstand in der Halle, wie jetzt jedermann weiß. Das erinnert mich an den ewigen Kampf in der Softwarebranche zwischen Raubkopierern und Kopierschutzentwicklern. Auch der Aufwand für Mogeleien steigt mit dem Aufwand, den die Tester treiben, um Mogeleien zu verhindern und umgekehrt. Das kann Spiralen auslösen. Daß hier die Mogler die Sache nicht auf die Spitze treiben, kann durch eine relativ einfache Maßnahme verhindert werden: Man bestraft einfach den nächsten beim Mogeln Ertappten so gründlich und erbarmungslos, daß sein abschreckendes Beispiel eine erhebliche Motivationsbremse für alle anderen potentiellen Mogler sein wird. Genau das passiert jetzt VW, und ich verschwende keine Sekunde an den Gedanken, ob das noch fair ist… weil ich weiß, daß es am Ende einen großen Nutzen haben wird… mancher, der noch zwischen Ehrlichkeit und Mogelei schwankt, bekommt jetzt den entscheidenden Schubs in die richtige Richtung… sicher, Einsicht wäre natürlich besser als Angst vorm Ertapptwerden, ist aber eben leider nicht ähnlich einfach zu erzwingen.
Es ist zwar nicht alles falsch, was hier gesagt wird. Aber bessere Abgastests sind möglich. Und die amerikanischen Behörden haben ihreren Realitätssinn nicht so sehr verloren wie wir postmodernen Westeuropäer.
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