Peter Grimm / 05.09.2017 / 09:45 / Foto: Jean-noël Lafargue / 20 / Seite ausdrucken

Aldi, Lidl und die Joghurt-Frage: Mit Kreuz oder ohne?

Früher musste man beim Joghurt-Kauf allenfalls darauf achten, ob er auch „bio“ und linksdrehend ist, ob er nicht zu viel Fett enthält und eventuell, ob er auch schmeckt. Doch in diesen Zeiten ist auch die Joghurtfrage grundsätzlicher.

Da wäre beispielsweise die Herkunft des Joghurts. Kommt er aus Griechenland – immerhin ein beliebtes Herkunftsland für das Molkereiprodukt – dann zieren seine Verpackungen oft die kitschig schönen Bilder von der Insel Santorin: Sonne, Himmel, Meer und malerische Häuser, Kirchenkuppeln und Glockentürme. Ein Traum in blau und weiß. Dummerweise sind auf den Kuppeln und Glockentürmen Kreuze. Jetzt könnte man meinen, dass die auf einem Joghurtbecher niemandem auffallen, weil sie viel zu klein sind und außerdem gehören diese Kreuze zu diesen Kuppeln und Türmen so selbstverständlich, wie selbige zu Griechenland. Wer also eine malerische griechische Altstadt abbilden will, kommt um das Kreuz nicht herum.

Doch so leicht konnte man es sich früher vielleicht noch machen, im Jahr 2017 muss ein Lebensmitteldiscounter schon genauer gucken, ob aus seinem Kühlregal eine Weltanschauung aufscheint, die empfindlichere Kunden stören könnte. Lidl beispielsweise bringt unter der Marke „Eridanous“ griechische Spezialitäten auf den Markt, ob Joghurt, Tsatsiki, Feta oder Mousaka. All diese Produkte sind verpackt in die schönen Bilder aus Santorin, mal als Foto, mal als Grafik, aber auf den Verpackungen ist jedes Kreuz wegretuschiert.

Was wird aus dem Christstollen?

In Deutschland ist das lange niemandem aufgefallen, zumindest wurde es nicht öffentlich bekannt. In Belgien dagegen gab es Beschwerden über die kreuzfreien griechischen Produkte. Die belgische Nachrichtenplattform "RTL Info" berichtete zuerst über den Fall, erst dann zogen deutsche Medien nach. Ein Sprecher von Lidl Belgien erklärte: „Wir vermeiden grundsätzlich den Gebrauch von religiösen Symbolen. Damit wollen wir unsere Neutralität unterstreichen.“

Haben dann nach dieser Vorgabe auch die Hersteller anderer Lebensmittel nur noch eine Chance, gelistet zu werden, wenn ihre Produkte weltanschaulich neutral verpackt sind? Wird Lidl den Christstollen verbannen oder nur unter anderem Namen zulassen? Und hat diese Förderung gesinnungssensibler Produktpräsentation ohne politische Hilfe Bestand? Es gibt tatsächlich Discounter, die griechischen Joghurt verpackt in die beschriebenen schönen Kuppelbilder mitsamt ihren Kreuzen darauf verkaufen. Aldi beispielsweise duldet diese nach Auffassung von Lidls Verpackungsgestaltern für empfindsame Muslime offenbar unerträglichen Kreuze noch auf dem Joghurtbecher. Wer kreuzfrei einkaufen möchte, weiß nun, dass er sich eher für Lidl als für Aldi entscheiden sollte. Derzeit können es allein die Kunden beeinflussen, ob sich die weltanschauliche Verpackungsneutralität lohnt, denn der Handel mit Joghurt, dessen Verpackung Spuren von Kreuzen enthalten kann, ist legal.

Wer den Joghurtkauf gern mit einer weltanschaulichen Entscheidung verbinden möchte, dem sei an dieser Stelle der Vollständigkeit halber noch die Berücksichtigung von Netto empfohlen. Dort zieren ein Minarett und ein kleiner Halbmond die Verpackung von Ömur-Joghurt. Bedarf diese weltanschauliche Vielfalt im Kühlregal nun einer Neutralitätsregel? Verlangt eine angemessene Rücksicht auf Muslime nicht eine amtliche Kennzeichnung von Halal-Produkten sowie die warnende Kennzeichnung „unreiner“ Waren? Der deutsche Verbraucherschutz hat sich auf die neue deutsche Gesellschaft noch nicht hinreichend eingestellt.

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Foto: Jean-noël Lafargue FAL via Wikimedia Commons

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Wieland Schmied / 05.09.2017

>>>Bedarf diese weltanschauliche Vielfalt im Kühlregal nun einer Neutralitätsregel? Verlangt eine angemessene Rücksicht auf Muslime nicht eine amtliche Kennzeichnung von Halal-Produkten sowie die warnende Kennzeichnung „unreiner“ Waren? Der deutsche Verbraucherschutz hat sich auf die neue deutsche Gesellschaft noch nicht hinreichend eingestellt.<<< Hmm…........, ‘neue deutsche Gesellschaft’? Wohl eher ‘neue Gesellschaften’ in (Noch-) Deutschland. Der feine Unterschied macht es aus. Den sollte man trefflich mit der noch mehrheitlich in diesem Lande angewendeten Umgangssprache zum Ausdruck bringen. Ansonsten, werter Herr Grimm, wieder ein heiterer Beitrag mit sehr ernstem Hintergrund zum allgegenwärtig und grenzenlos waltenden Irrsinn in dieser von Vielen so heiß und innig gewünschten ‘bunten Republik’, in der wir doch alle so gut und gerne leben.

Yvonne Spenrath / 05.09.2017

Nicht zu vergessen die Kennzeichnung von evtl. israelisch/jüdischen Konzernbeteiligungen. Wir müssen doch dafür sorgen, dass unsere muslimischen Mitbürger nicht versehentlich ihren Todfeind unterstützen… Ich überlege ernsthaft, in welchem Land ich bald Asyl beantragen werde.

Marko Schindler / 05.09.2017

Die damalige DDR war einfach schon früher ganz nah am Trend: Weihnachtsengel wurden zu Jahresendflügelfiguren, Rentner waren Arbeiterveteranen usw. usf. Merke: Wo ideologisch begründet Sprache verhunzt wird, ist es zur Diktatur nicht weit ...

Wilfried Cremer / 05.09.2017

Jetzt weiß der Kardinal aus München endlich, was er löffeln muss, um Form und Stil zu wahren.

Florian Bode / 05.09.2017

Igitt. Diese Diskussion zeigt leider exemplarisch wie weit es schon mit der achsotollen religiösen Toleranz gekommen ist. Tolerant ist, wer sich als Christ beschimpfen und dem Isalm alles durchgehen lässt. Dass so ein gewinngeiler Konzern wie LIDL da unter jedem Radar durchfliegen will ist klar.  Merkwürdig nur, dass es noch viele andere Religionen gibt, mit denen man sich als Nicht-Angehöriger in keiner Weise beschäftigen muß.

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