In der Welt am Sonntag habe ich gelesen, dass schon Theodor Fontane über das „Trauerspiel Afghanistan“ geschrieben hat. Allerdings in Gedichtform, und Politiker haben ja meist keine Zeit, Gedichte zu lesen. Und wahrscheinlich lassen sie sich auch nicht gerne in Gedichtform beraten. Es gibt aber auch eine literarische Afghanistan-Warnung in Prosa. Sie ist in den sechziger Jahren erschienen. Der Warner heißt James Michener. Sein Roman „Karawanen in der Nacht“ („Caravans“) rät ebenfalls davon ab, sich am Hindukusch über Gebühr zu engagieren. Allerdings ist auch dieses Prosa-Stück nur fiction, und Politiker haben meist auch keine Zeit, sich mit Romankunst zu befassen oder sich von ihr beeinflussen zu lassen. Schade, sie würden sich manchen Ärger ersparen.
Beide, Fontane und Michener, greifen bei ihren Warnungen auf die britischen Versuche zurück, sich im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts ein Afghanistan zurecht zu basteln, das ihnen genehm war. Die Briten haben dort nicht weniger als drei Kriege geführt und erlebten schließlich am Khyberpass ihr Waterloo.
In den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts haben es dann die Russen versucht. Eine Zeitlang hat es halbwegs geklappt. Die zuvor ganzkörperverhüllten Frauen des Landes durften mit freien Gesichtern als Werktätige in sozialistischen Betrieben ein Stück Emanzipation kosten. Aber die sozialistische Zwangsmodernisierung war nicht von Dauer. Die vom Westen unterstützten moslemischen Freiheitskämpfer siegten und drehten für die Frauen das Rad der Geschichte zurück. Schleier und die Männerherrschaft brachte die neue alte Zeit zurück.
Und jetzt ziehen nach 13 Kriegsjahren die Amerikaner, die Briten (wieder mal) und die Deutschen als ziemlich Gescheiterte aus Afghanistan ab. Es war der dritte missglückte Versuch, das dritte Trauerspiel, um Fontanes Wort zu benutzen.
Zwar sind auch in den Jahren dieser dritten Intervention immer mehr junge Frauen zur Schule, zur Universität und unverschleiert zur Arbeit gegangen. Und vielleicht dürfen sie das auch noch eine Weile. Aber die Clans vom Hindukusch sind so altbackenen wie eh und je, und die Taliban stehen bereit, die Frauen wieder unter die Burka zu stecken und sie vom öffentlichen Leben zu verdrängen.
Kurze Rückblende: Warum ist der Westen seinerzeit eigentlich nach Afghanistan gezogen? Ach ja: Man wollte Terroristen jagen. Das doppelte Stichwort hieß Al Qaida und Osama bin Laden. Dass George Bush junior zunächst den Umweg über den Irak nahm, ist eine Kuriosität am Rande. Immerhin hat man den Schlächter Saddam Hussein im Laufe dieses Umweges aus seiner Erdhöhle gezogen. Und dass man Osama bin Laden nach einem Jahrzehnt der wilden Jagd nicht in Afghanistan sondern in Pakistan entdeckt und den 72 im Jenseits wartenden Jungfrauen zugeführt hat, ist eine weitere Kuriosität.
Sie hat damit zu tun, dass man unterwegs das strategische Ziel verändert hat. Die Jagd auf Osama wurde zur Nebensache und das, was man nation building nennt, wurde zur Hauptsache. Die Nebensache hat man, wenn auch mühsam, hinbekommen. Osama ist nicht mehr, und die Al Qaida ist nicht mehr das, was sie mal war. Die Hauptsache, aus Afghanistan einen Staat mit westlichem Gütesiegel zu machen, ist in die Hose gegangen. Noch hängt diese Hose halbwegs auf mittlerer Hüfthöhe. Aber sie wird weiter nach unten rutschen.
Den Fontane habe ich erst jetzt gelesen. Den Michener zu Beginn des Afghanistaneinsatzes. Michener hat mich gleich damals pessimistisch (oder realistisch) gestimmt. Der Ausgang der Afghanistan-Episode bestätigt den Pessimismus beider Autoren. Der Afghane als solcher lebt nun mal etwas anders als wir und er legt offenbar Wert darauf, dass das so bleibt. Er ist ein harter Knochen und was die restliche Welt denkt, scheint ihm egal zu sein. Wie sagte schon Pumuckl? Pechsache!
Natürlich: Der Versuch, Afghanistan im westlichen Sinne zu zivilisieren, galt in erster Linie der Vorbeugung. Man wollte einen Sumpf des Terrorismus trockenlegen. Das Problem: Während der jahrelangen Trockenlegungsarbeiten entstand im Rücken der Trockenleger ein neuer Sumpf. Er heißt „Islamischer Staat“. So gut gemeint die Idee des vorbeugenden „nation building“ ist: Man muss sich wohl daran gewöhnen, dass man immer wieder Brände löschen muss, auch wenn es schöner wäre, feuerfeste Häuser zu bauen. Die stürzen leider häufig ein, ehe sie fertig sind.
Fontane schrieb: „Mit dreizehntausend der Zug begann, einer kam heim aus Afghanistan.“ Ganz so schlimm ist es diesmal nicht. Die meisten kehren heim, Gott sei Dank. Aber Afghanistans „Karawanen in der Nacht“ ziehen weiter. Hat da jemand gebellt?