Hannes Stein / 27.06.2011 / 17:22 / 0 / Seite ausdrucken

Warum das Wort “Gutmenschen” vielleicht doch nicht ganz so treffend ist

Ob die schöne Schmähvokabel „Gutmenschen“ heute noch etwas taugt, ob es eine Wirklichkeit adäquat beschreibt, darüber möchte ich heute anhand von ein paar Leuten nachdenken, deren Namen heutigen Lesern womöglich gar nicht mehr viel sagen – in der Hoffnung, dass man die Dinge ein bisschen schärfer sieht, wenn man in die Vergangenheit zurückblickt.

Erstes Beispiel: Die heute zum Glück weitgehend vergessene Luise Rinser. Das Wort „Gutmensch“ scheint beinahe für sie geschaffen worden zu sein. LR war eine Pazifistik, eine „Linkskatholikin“, die kitschiges Zeug schrieb und dafür in den Himmel gehoben wurde – sie war immerhin mal Präsidenschaftskandidatin der „Grünen“ –, man riecht förmlich die Räucherstäbchen, wenn man an sie denkt. Aber wenn man ihre Lebensgeschichte genauer in den Blick fasst, stimmt das Wort nicht mehr: LR war eine abgefeimte Lügnerin, die nach de Krieg als Widerstandskämpferin posierte, obwohl sie eine richtige Nazisse gewesen war, und mit ihrer Verherrlichung von Diktatur und Volksgemeinschaft, etwa in Nordkorea, blieb sie im Herzen immer, was sie einst gewesen war – eine glühende Nationalsozialistin.

Zweites Beispiel: Günter Grass. Ich erinnere mich noch deutlich an eine Diskussion zwischen GG und Joram Kaniuk 1991 im Berliner Literaturhaus. Die Scud-Raketen fielen schon. Kaniuk saß zusammengesunken am Tisch und bat, nein: er bettelte um Mitleid mit den Überlebenden des Völkermordes in Tel Aviv, die nun mit der Gasmaske auf dem Gesicht zum zweiten Mal in ihrem Leben Angst vor deutschem Giftgas hatten. GG reagierte schroff, abweisend. Hochgereckter Oberkörper, peitschende Armbewegungen – und ich dachte: das ist ein arischer Herrenmensch. Oder bin ich jetzt völlig verrückt und paranoid geworden? Als dann herauskam, dass GG in der Waffen-SS gewesen war, musste ich lauthals lachen, der Bann jener Erinnerung war gebrochen. – Es ist aber komplizierter. Der GG der Fünfzigerjahre war eigentlich unpolitisch. Die „Blechtrommel“ ist ein unpolitisches Buch. Anarchisch, ungebärdig, wild, aber ohne Programm. Als GG sich dann in den Brandt-Jahren der SPD anschloss, war das eigentlich fast eine Überraschung. In der Zeit der Studentenbewegung hat GG sich gegen die Linksradikalen gewandt, das war damals schon beinahe mutig (damals hat er, nebenbei bemerkt, auch noch Israel verteidigt). Zum unerträglich Prediger wurde er erst nach (und mit) dem Roman „Die Rättin“; also nachdem er sich der Friedensbewegung angeschlossen hatte. Er fand, könnte man sagen, dank der Friedensbewegung wieder Anschluss an die Träume seiner Jugendzeit: an den Antiamerikanismus, das Deutschnationale, auch den Antisemitismus. Deckt das Wort „Gutmensch“ solche Kompliziertheiten ab?

Drittes Beispiel: Erich Fried. Der Mann hat nie in seinem Leben auch nur ein einziges Gedicht geschrieben – all seine Gedichte sind „Gedachte“, um ein schönes Wort von Wolf Biermann aufzugreifen –, seine politischen Stellungnahmen waren so ungereimt wie seine Verse; er fand freundliche Worte für den Neonazi Michael Kühnen und hasste den Staat Israel inbrünstig. Aber auch hier gibt es zumindest zwei interessante Vorgeschichten. A) Bevor er anfing, seine Gedachte zu verfassen, war Fried ein guter Radiojournalist für die BBC. Seine informativen Sendungen liefen, glaube ich, um fünf Uhr früh; sie richteten sich an Hörer jenseits der Eisernen Vorhangs, und die Leute standen in aller Herrgottsfrühe auf, um ihn zu hören. B) Hinter Frieds pathologischem Antizionismus verbarg sich eine persönliche Tragödie. Sein Vater, der ihn als Kind schwer misshandelt hatte, wurde von der Gestapo totgeschlagen. Ich bin meistens gegen psychoanalytische Deutungen, aber hier wird (für mich) der Eindruck unabweisbar, dass der „jüdische Selbsthass“ von Erich Fried in Wahrheit ein verschobener Vaterhass gewesen ist. Eine furchtbare, eine tragische Geschichte. And „Gutmensch“ doesn´t even begin to cover it.

Viertes Beispiel: Heinrich Böll. In Götz Alys „Hitlers Volksstaat“ können wir nachlesen, dass er im Zweiten Weltkrieg wie fast alle Wehrmachtsoldaten einer plündernden Horde angehörte. Seine Romane sind heute eigentlich unlesbar geworden. Seine politischen Ansichten sind nicht meine (der beinahe schon pathologische Hass auf Adenauer, der merkwürdige politische Katholizismus, der Glaube an den – oder einen – Sozialismus). Aber Böll war auf keinem Auge blind. Er ist immer wieder für Dissidenten eingetreten, er hat Solschenizyn bei sich aufgenommen. Und ich kann mir nicht helfen: Er ist mir immer noch sympathisch. Mit anderen Worten, ich mag ausgerechnet den einzigen aus der Reihe meiner Beispiele, dem ich das Etikett „Gutmensch“ ohne Zögern anheften würde.

Übrigens wollen viele Vorzeigefiguren, die heute in Deutschland verehrt werden, offenbar gerade eben keine Gutmenschen sein, siehe diese schöne Polemik hier. Allgemein beliebt scheinen vielmehr Zyniker der kulturrelativistischen Sorte, d.h. verbitterte alte Männer, die folgende Haltung vertreten: andere Länder, andere Sitten, wenn dort, dort, dort und dort Homosexuelle zu Tode gefoltert werden, muss man das eben so hinnehmen, wenn die sowjetischen Machthaber anfangen sollten, Juden zu vergasen, wäre uns das wurscht, Mr. President, Muslime sind nicht demokratiefähig, Diktaturen schaffen Stabilität, Putin ist irgendwie total prima etc. Das ist nicht Gutmenschentum, sondern so etwas wie eine Karikatur des realpolitischen Denkens. Ein schönes Schimpfwort dafür müssen wir uns alledings erst noch ausdenken.   

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