Unglaublich: der Mensch kann fliegen! In den letzten Tagen haben Testflüge stattgefunden, die dies beweisen! Mutige Piloten, deren Namen keiner kennt (heißen sie Lilienthal, heißen sie Wright?) haben sich mit ihren Maschinen an das Mögliche herangetastet. Niemand wußte, ob sie Schaden nehmen würden, ob sie sich überhaupt in der Luft halten könnten. Es müssen heroische Momente gewesen sein, der Triumph des Willens über die Natur.
Wir schreiben das Jahr 2010 und fühlen uns glatt hundert Jahre jünger. Nichts da mit Autopilot, Radar und Instrumenten-Landesystem – man fliegt wieder auf Sicht. Man düst vorsichtig in 3000 Metern Höhe von München nach Frankfurt und steigt zwischendurch auf 8000 Meter, um zu sehen, wie es da so ist. Von jetzt an wird jeder Flug zu einer Expedition am Himmel, denn offenbar weiß niemand, wo die gefährliche Aschewolke lauert.
Die Angst vor dem Unbekannten ist eine feste Größe im Repertoire der Kulturproduktion. Die Branche der Horror- und Science-Fiction-Filme lebt davon: Plötzlich taucht Nie-Gesehenes auf, Aliens, und keiner weiß, wie man damit umgehen soll. Die Vulkanasche, das unbekannte Wesen, hat einen ähnlichen Effekt; was an ihr Angst macht, ist gerade, daß ihre Wirkungen so wenig erforscht sind.
Deswegen fordern Vulkanaschewolkenforscher, daß Vulkanaschewolken besser erforscht werden sollen. Es müssen mehr Lehrstühle und Institute für Vulkanaschewolkenforschung eingerichtet werden, diese müssen entsprechend ausgestattet werden, zum Beispiel mit eigenen Forschungsflugzeugen. Vulkanaschewolkenforschung ist eben sehr teuer. Aber sie dient der Sicherheit des Luftverkehrs, denn Vulkanasche ist wahnsinnig gefährlich, sagen die Vulkanaschewolkenforscher.
Haben wir etwas anderes erwartet? Sollen die Wissenschaftler vielleicht sagen: Liebe Politiker, behaltet Euer Geld, die Panik ist übertrieben und unsere Computersimulationen geben nicht viel her? Eher flöge ein Jumbo durch ein Nadelöhr. Daraus folgt natürlich nicht, daß Vulkanaschewolken in jedem Fall harmlos sind; wohl aber daß die Forscher jedes Interesse daran haben, die Gefahr als gigantisch darzustellen.
Genauso funktioniert die Klimawandelhysterie. Seit mehr als einem Jahrzehnt liefern Wissenschaftler mit nichts als Computersimulationen die Begründung für politische Verbote, gegen die sich ein mehrtägiger Luftverkehrsstopp geradezu gediegen ausnimmt. In beiden Fällen simulieren die Computer das komplexeste Geschehen, das es zwischen Himmel und Erde gibt, nämlich die Strömungen der Atmosphäre. In beiden Fällen ist die empirische Basis äußerst schmal und fragwürdig, das Vertrauen in die computergenerierten Daten aber grenzenlos.
So kam es, daß Europa jetzt unter den Folgen von etwas noch nie Dagewesenem leidet. Und während der Flugbetrieb nun langsam wieder anläuft, versuchen wir herauszufinden, wie sich der Schreck eigentlich anfühlt. Der Premierencharakter dieser Katastrophe legt jedenfalls die Überlegung nahe, daß jederzeit noch mehr und anderes droht. Auf einmal merken wir, wie dünn das Eis der Zivilisation ist, auf dem wir so wohlgemut herumtanzen. Manche frohlocken schon über die erzwungene Entschleunigung und Entglobalisierung; man hört lyrische Beschwörungen des streifenfreien, unzerkratzten Himmels und altideologische Verachtung gegenüber jeder Form von Luftverkehr.
Doch alle Kultur entsteht aus Bewegung und Begegnung. Ortsveränderung ist die Basis von Wissen und Erkenntnis, und die Selbstverständlichkeit des Reisens gehört zu den geistigen Voraussetzungen der Moderne. Wer den Stillstand lobt, und sei es auch nur wegen seiner poetischen Aspekte, versündigt sich am Intellekt.