Gastautor / 09.08.2013 / 22:02 / 2 / Seite ausdrucken

Vom Hinken der Vergleiche

Marko Martin

Vergleichen heißt nicht gleichsetzen: Man kennt das Rückversicherungs-Argument aus so mancher Debatte. Denn häufig war es nötig, auf jene Binsenweisheit hinzuweisen – so auch im Streit in den Jahren 1989 ff. um die Frage, ob man Kommunismus und Nazismus miteinander vergleichen dürfe.

Heute kaum vorstellbar, welchen Anfeindungen sich deshalb noch 1998 der französische Historiker Stéphane Courtois ausgesetzt sah, als sein “Schwarzbuch des Kommunismus” erschien.

Auch Joachim Gauck musste sich damals des perfiden Vorwurfs erwehren, mit dem Diktaturvergleich die singulären Verbrechen des Dritten Reichs zu relativieren – als wären die Initiatoren der Totalitarismuskritik nicht jene jüdischen Emigranten gewesen, die einst vor den Nazis in die freie westliche Welt geflohen waren, von Karl Popper bis Hannah Arendt.

Diese Vorgeschichte ist insofern keine alte Kamelle, als sie die Blaupause für den jetzigen Streit zu liefern scheint: NSA ist gleich Stasi, die amerikanische Internetüberwachung quasi ein millionenfach potenzierter Mielke. Unfreiwillig komisch nur, dass solche Rabulistik gerade aus jenem Milieu erschallt, welches seinerzeit die Stasi für gar nicht so schlimm hielt, habe diese doch – man erinnert sich an die Versimpelung – nur Akten- statt Leichenberge hinterlassen.

Auch die Popularität, die plötzlich Georges Orwells “1984”  genießt, muss überraschen: Jahrzehntelang war man mit dem Mantra unterwegs gewesen, der antikommunistische englische Herzenssozialist habe bei der negativen Big-Brother-Utopie übertrieben, werde von den Konservativen missbraucht – und überdies sei Aldous Huxleys Glückspillen-Geschichte der “Brave New World” die ungleich bessere Analyse unserer nur angeblich freien Welt.

Jetzt dagegen scheinen die Stasi und der Orwell-Roman plötzlich ernsthafte Referenzgrößen, um das Tun der amerikanischen Geheimdienste zu beschreiben. Gleichzeitig kann durch das Jonglieren mit den heutigen Daten-Zahlen und Kontrollmöglichkeiten das alte MfS endgültig als eher putziges Dilettanten-Phänomen verharmlost werden.

Der geistige Flurschaden, der durch solch instrumentell eingesetzten Vergleiche entsteht, ist enorm. Nicht zuletzt, weil die logische Zurückweisung solchen Plapperns nur allzu schnell in die Selbstzufriedenheit eines “Ist doch nicht das gleiche, ist demnach alles gut” abgleiten könnte.

Zwar ist es tatsächlich ein himmelweiter Unterschied, ob eine Einparteien-Diktatur ihre nach Demokratie lechzenden Bürger bespitzelt oder ob eine moderne Demokratie die Informations-Möglichkeiten des Internets nutzt, um die Bevölkerung vor terroristischen Anschlägen zu schützen. Und dennoch. So wie man Äpfel und Birnen manchmal doch miteinander vergleichen kann, so legitim ist es, Einzelaspekte geheimdienstlichen Wirkens in Gegenwart und Vergangenheit miteinander in Beziehung zu setzen und kritisch zu analysieren.

Denn selbstverständlich kann freien Gesellschaften auch Gefahr durch die Hybris ihrer Beschützer drohen. Die notwendige Institutionen-, aber auch Mentalitäts-Kritik wäre jedoch umso effektiver, wenn sie nicht mit dem groben Klotz des Vergleichen-Müssens um jeden Preis hantieren würde.

Übertreibung ist kontraproduktiv – diese Lektion hält nicht nur die gegenwärtige Überwachungs-Affäre bereit. Erst zweieinhalb Jahre ist es her, dass das Mauerfalljahr 1989 als positive Folie zur Erklärung des “Arabischen Frühlings” herhalten musste.

Nachdem sich – Überraschung! – herausgestellt hatte, dass der Sturz der Ben Alis und Mubaraks mitnichten einen Sieg der liberalen Demokratie bedeutete, scheint es fast so, als sei die Enttäuschung in unseren Breiten Grund genug, die dramatischen Vorgänge in Ägypten und Syrien nun eher achselzuckend unter “ferner liefen” einzuordnen.

Teile der westlichen Öffentlichkeit gerieren sich dabei als schmollende Klippschüler: Da hatte man angesichts der Arabellion doch so toll reagiert und mit dem Verweis auf den Sturz der realsozialistischen Regimes die eigene Verknüpfungskompetenz demonstrier – und dann da unten in Kairo trotzdem dieses ganze Salafisten- und Armee-Tohuwabohu.

Bei der Beurteilung der syrischen Situation machten es sich dann selbst jene zu leicht, die ehrlich darum besorgt waren, “aus der Geschichte zu lernen”. Doch Syrien ist nicht Bosnien und Aleppo nicht Sarajewo, wo die damalige Konstellation eindeutig war – großserbische Mörderbanden auf den Hügeln und unten in der Stadt eine bosnische Zivilgesellschaft, die von Europa schmählich lange in Stich gelassen wurde, ehe 1995 endlich zielgerichtete angloamerikanische Bombardements den Spuk beendeten.

Nun sagt dieser Hinweis nichts darüber, ob der Westen nicht tatsächlich in Syrien etwas tun könne – er erinnert nur daran, dass auch in diesem Fall vorschnelle Analogien ihre historische Falsifizierung nicht überleben und ungewollt nur der entgegengesetzten, das Nichtstun rechtfertigenden Plattitüde Vorschub leisten.

Nichts hat der öffentlichen Akzeptanz des Nato-Einsatzes im Kosovo 1999 so sehr geschadet wie Joschka Fischers forsches Wort von der “Verhinderung eines neuen Auschwitz”. Wer zu solchen Vergleichen greift und die Messlatte derart hoch setzt, sensibilisiert nicht etwa, sondern erweist seiner legitimen Sache lediglich einen Bärendienst.

Deprimierend genug, ließe sich die Liste auch hier bis in die Gegenwart weiterführen. Denn Hand aufs Herz: Spricht noch irgendwer von den Hunderttausenden Toten in Darfur? Das Morden dort geht weiter, doch nachdem sich die plakative Situationsbeschreibung als “neuer Völkermord” als nicht haltbar erwiesen hatte, wandte sich die weltweite Aufmerksamkeit flugs anderem zu.

Eine Vergleichs-Routine, der jeder Massenmord ein Völkermord ist, jeder Unsympath ein “Nazi”, jede unsinnige EU-Verordnung “totalitär” und jedwede Religiosität entweder “restriktiv” oder “unseren Respekt erfordernd” – sie ist unter den geistvernebelnden Gefahren nicht die geringste.

Mag nämlich der brave Soldat Schwejk seine traumatischen Fronterlebnisse immer wieder mit einem subversiven “Ja, das kenn ich doch auch…” zu domestizieren versuchen – der politische Diskurs über die immer neu zu bewertende Weltlage sollte auf derlei Vergleichs-Folklore besser verzichten.

Zuerst erschienen in der WELT vom 7.8.13

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Leserpost

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Thomas Scholz / 11.08.2013

Welchen Nutzen hat der Vergleich der Diktatursozialisten mit einander? Außer vielleicht die der Opferzahl wohl keinen anderen. Es sind beides menschenverachtende, niedere Instinkte bedienende Systeme die über Leichen gehen um an die Macht zu kommen und sie zu erhalten. Welche hehren Ziele die Diktaturen vertreten und im Namen welcher Diktatur ich totgeschlagen werde, alldieweil ich nicht in das jeweilige Raster passe, ist mir so was von egal… Die freiheitlichen westlichen Demokratien sichern den Wohlstand und den Individualismus. Es gibt jede Menge Möglichkeiten, sein Leben selbst zu gestalten ohne Führer, Parteisekretär und Zentralkomitee… Der Vergleich der NSA mit der Stasi ist einfach nur lächerlich und kann nur als Weßewestenspülprogramm der Stasi betrachtet werden und die Nationalfront aus SPD, Grüne und der SED-Die Linke sabbert genüsslich im rotgrünen Staatsfernsehen ihren Antiamerikanismus herunter. Wie jämmerlich ist es, so etwas zu sehen…

Heike Müller / 09.08.2013

Dabei stand auf einem Wahlplakat der SPD NAZI-SOZI.Was wollte man damit wohl sagen? Die SPD hat also schon Sozialisten mit Nationalsozialisten gleichgesetzt. Seite 16 in Zeitschrift für die Praxis der politischen Bildung / Politik & Unterricht / 2/3 - 2009 (online) Was es mit dem Nazi-Sozi auf sich hat wird den Kindern natürlich nicht erklärt obwohl sonst jeder Pickel auf den Plakaten erklärt wird.

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