Burkhard Müller-Ullrich / 15.07.2009 / 09:27 / 0 / Seite ausdrucken

Viel Spass mit Grass

Man darf geschichtliche Ereignisse nicht einfach aus der Nachwelt-Perspektive beurteilen. Auch die dunklen Flecken im Lebenslauf von Günter Grass müssen im Kontext ihrer Zeit betrachtet werden. Es ist inzwischen allgemein bekannt, daß Grass sich mit 34 Jahren freiwillig zur SPD gemeldet hat. Doch damals war die SPD noch eine im weitesten Sinne wählbare Partei. Auch fortschrittlich und demokratisch gesinnte Menschen schlossen sich ihr an oder sympathisierten mit ihr. Und Willy Brandt faszinierte viele Intellektuelle.

Grass hat mit ihm, für ihn und hinter ihm Wahlkampf gemacht, er hat Blech geredet und getrommelt, die ganzen sechziger Jahre hindurch. In den siebzigern, als Brandt abtrat, verstärkte Grass seinen Einsatz noch, sodaß in Teilen der SPD schon der Vorschlag laut wurde, die Partei in GRASS-PD umzubenennen.

Seitdem altern der Schriftsteller und die Partei um die Wette. Obwohl die SPD eigentlich 64 Jahre älter ist als Grass, sah es zeitweise so aus, als könne er sie irgendwann einholen. Vor allem seine im Zusammenhang mit den Mohammed-Karikaturen getätigten wegwerfenden Äußerungen über die Freiheiten des Westens schienen geradewegs aus der Zeit des Absolutismus zu stammen.

Doch inzwischen sieht die SPD so alt aus, daß Grass mit seinen 81 Lenzen regelrecht verjüngt wirkt. Und prompt will er wieder Wahlkampf machen, denn zu den Vorrechten der Jugend gehört es, aus seinen Fehlern erst mal nichts zu lernen. Mit beneidenswerter Agilität springt er Müntefering bei und um Steinmeier herum, kreuz und quer durch die Uckermark. Ja, die uckermärkische Moränenlandschaft soll zum SPD-Biotop werden. Keine ganz leichte Aufgabe wegen der geringen Anzahl menschlicher Bewohner. Salopp gesagt: mehr Schläger als Wähler.

Günter Grass wird sie mit Lesungen aus seinen Büchern reich beschenken. Und spätere Generationen werden sich über das merkwürdige Geschichtsphänomen einer sogenannten SPD vor allem durch die Bücher eines schnauzbärtigen Kauzes unterrichten, der für beharrliches Wiederholen immergleicher Phrasen 1999 den schwedisch-sozialistischen Literaturnobelpreis bekam.

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