Wenn Joachim Gauck demnächst in Schloss Bellevue einzieht, wird wohl wieder kein Haustier dabei sein. Wie schön war es doch, als Boomer, der Mischlingshund von Johannes Rau, die Berliner und ihre Medien mit tagelangen Ausflügen in die nähere und fernere Umgebung von Bellevue unterhielt und auf Trab hielt. Aber das war ein Ausreißer. Anders als amerikanische Präsidenten, die mit Hund und/oder Katz ins Weiße Haus ziehen, neigen deutsche Präsidenten dazu, ihr Amt tierlos auszuüben. Vielleicht hat die Erfahrung des Johannes Rau sie endgültig verwirrt, der über seinen Boomer gesagt hat: “Mein Hund ist als Hund eine Katastrophe, aber als Mensch unersetzlich.”
Die offenkundige Haustierphobie der übrigen Präsidenten ist für Deutschland nicht so untypisch wie sie scheint. Wir sind zwar ein gefühltes Haustierland. Tatsache ist aber, dass es um die Hundedichte in Deutschland nicht so weit her ist, wie man meint. Nur 13 Prozent der Haushalte zählen einen Hund zu ihren Mitbewohnern. So ist es statistisch kein Wunder, wenn von den fünf Millionen Hunden, die auf die deutschen Haushalte entfallen, wieder mal keiner auf das Schloss Bellevue entfällt. Statistisch relevanter wären die acht Millionen Katzen, die die deutschen Haushalte beehren, bisher aber, so weit man weiß, nicht das Schloss. Bei der einen oder anderen von ihnen kann man sich aber durchaus vorstellen, dass sie einfach in Bellevue einzieht, ohne dass der Hausherr es merkt, wünscht oder gefragt wird.
Hier hätte der investigative Journalismus eine lohnende Aufgabe. Ob eine illegal im Schloss lebende Katze dann als herzerwärmend oder als Skandal einzustufen wäre, könnte man nach erfolgter Enthüllung noch in Ruhe entscheiden. Der Hund ist in dieser Hinsicht weniger trächtig, da kaum einer ohne ausdrückliche Einladung ins Schloss einziehen würde. Er hat schließlich auch seinen Stolz.
Nach allem, was man weiß, wird aber in Bellevue wieder kein Schnurren und kein Knurren zu vernehmen sein, keine Samtpfoten werden zu spüren und keine wedelnden Schwänze zu sehen sein. Tierisch betrachtet muss man im Präsidentenschloss wohl weiterhin von Totenstille sprechen.
Warum können sich die Präsidenten eines Volks, das sich zumindest für tierlieb hält und ja auch nicht ganz tierlieblos ist, diese auffallende Haustierphobie leisten? Weil sie nicht direkt vom Volk gewählt werden. Eine Direktwahl des Präsidenten würde das Tierleben im Schloss zweifellos aktivieren. Es wäre ein Bellen und ein Miauen, dass es eine Freude wäre. Ja wahrscheinlich würde sogar geschnattert.
Dafür spricht jedenfalls die Erfahrung, die Gerhard Schröder als (wenn auch indirekt) gewählter Bundeskanzler gemacht hat. Wir erinnern uns: Ihm war es nicht möglich, eine ihm zugedachte Weihnachtsgans dem ihr zugedachten Zweck zuzuführen. Schröder kam einem Aufstand des zum Fest besonders tierlieben (wenn auch Weihnachtsgans verspeisenden) Volkes zuvor. Er begnadigte das Tier und ließ es unverzehrt als Doretta weiter schnattern. Später stellte sich heraus, dass Doretta keine Gans sondern ein Gänserich war. Seine Betreuer gaben dem Tier darauf hin den sehr männlichen Namen Schröder. Ganter Schröder verbrachte dann mit einer Gans namens Angela noch viele schöne Jahre.
Noch stehen Bundespräsidenten nicht unter einem solchen politischen Druck. Es genügt, dass sie schöne Reden halten, ins Ausland reisen und Ehrenzeichen anheften oder umhängen. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Der kluge Präsident baut vor. Er kann ja klein anfangen, mit einem Hamster oder ein paar Guppys.