Rainer Bonhorst / 25.02.2012 / 14:43 / 0 / Seite ausdrucken

Tierische Totenstille in Bellevue

Wenn Joachim Gauck demnächst in Schloss Bellevue einzieht, wird wohl wieder kein Haustier dabei sein. Wie schön war es doch, als Boomer, der Mischlingshund von Johannes Rau, die Berliner und ihre Medien mit tagelangen Ausflügen in die nähere und fernere Umgebung von Bellevue unterhielt und auf Trab hielt. Aber das war ein Ausreißer. Anders als amerikanische Präsidenten, die mit Hund und/oder Katz ins Weiße Haus ziehen, neigen deutsche Präsidenten dazu, ihr Amt tierlos auszuüben. Vielleicht hat die Erfahrung des Johannes Rau sie endgültig verwirrt, der über seinen Boomer gesagt hat: “Mein Hund ist als Hund eine Katastrophe, aber als Mensch unersetzlich.”
Die offenkundige Haustierphobie der übrigen Präsidenten ist für Deutschland nicht so untypisch wie sie scheint. Wir sind zwar ein gefühltes Haustierland. Tatsache ist aber, dass es um die Hundedichte in Deutschland nicht so weit her ist, wie man meint. Nur 13 Prozent der Haushalte zählen einen Hund zu ihren Mitbewohnern. So ist es statistisch kein Wunder, wenn von den fünf Millionen Hunden, die auf die deutschen Haushalte entfallen, wieder mal keiner auf das Schloss Bellevue entfällt. Statistisch relevanter wären die acht Millionen Katzen, die die deutschen Haushalte beehren, bisher aber, so weit man weiß, nicht das Schloss. Bei der einen oder anderen von ihnen kann man sich aber durchaus vorstellen, dass sie einfach in Bellevue einzieht, ohne dass der Hausherr es merkt, wünscht oder gefragt wird.
Hier hätte der investigative Journalismus eine lohnende Aufgabe. Ob eine illegal im Schloss lebende Katze dann als herzerwärmend oder als Skandal einzustufen wäre, könnte man nach erfolgter Enthüllung noch in Ruhe entscheiden. Der Hund ist in dieser Hinsicht weniger trächtig, da kaum einer ohne ausdrückliche Einladung ins Schloss einziehen würde. Er hat schließlich auch seinen Stolz.
Nach allem, was man weiß, wird aber in Bellevue wieder kein Schnurren und kein Knurren zu vernehmen sein, keine Samtpfoten werden zu spüren und keine wedelnden Schwänze zu sehen sein. Tierisch betrachtet muss man im Präsidentenschloss wohl weiterhin von Totenstille sprechen.
Warum können sich die Präsidenten eines Volks, das sich zumindest für tierlieb hält und ja auch nicht ganz tierlieblos ist, diese auffallende Haustierphobie leisten? Weil sie nicht direkt vom Volk gewählt werden. Eine Direktwahl des Präsidenten würde das Tierleben im Schloss zweifellos aktivieren. Es wäre ein Bellen und ein Miauen, dass es eine Freude wäre. Ja wahrscheinlich würde sogar geschnattert.
Dafür spricht jedenfalls die Erfahrung, die Gerhard Schröder als (wenn auch indirekt) gewählter Bundeskanzler gemacht hat. Wir erinnern uns: Ihm war es nicht möglich, eine ihm zugedachte Weihnachtsgans dem ihr zugedachten Zweck zuzuführen. Schröder kam einem Aufstand des zum Fest besonders tierlieben (wenn auch Weihnachtsgans verspeisenden) Volkes zuvor. Er begnadigte das Tier und ließ es unverzehrt als Doretta weiter schnattern. Später stellte sich heraus, dass Doretta keine Gans sondern ein Gänserich war. Seine Betreuer gaben dem Tier darauf hin den sehr männlichen Namen Schröder. Ganter Schröder verbrachte dann mit einer Gans namens Angela noch viele schöne Jahre.
Noch stehen Bundespräsidenten nicht unter einem solchen politischen Druck. Es genügt, dass sie schöne Reden halten, ins Ausland reisen und Ehrenzeichen anheften oder umhängen. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Der kluge Präsident baut vor. Er kann ja klein anfangen, mit einem Hamster oder ein paar Guppys. 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Rainer Bonhorst / 17.04.2024 / 10:00 / 31

​​​​​​​Die Bayer(n)-Revolution

Rekordmeister Bayern muss den Meistertitel an Bayer abgeben. Ein Menetekel für die Politik? Wie wird es weitergehen? San mir net mehr mir? Ist rheinisch das…/ mehr

Rainer Bonhorst / 13.02.2024 / 12:00 / 39

Gendern im Fußball? Fans zeigen rote Karte!

Wie woke soll der Fußball sein? Oder genauer: Wie viele Geschlechter soll der Fußball kennen? Es wird Zeit, mal wieder auf den Fußballplatz zu gehen.…/ mehr

Rainer Bonhorst / 04.02.2024 / 14:00 / 33

Gedanken beim Demo-Gucken

Im Grunde haben wir ja Glück, dass in Deutschland die Verhältnisse so klar sind. Wir haben keine dunkelhäutigen Politiker in Berlin, die die Frechheit besitzen…/ mehr

Rainer Bonhorst / 30.01.2024 / 06:15 / 88

Danke! Die ungehaltene Rede auf meiner Traum-Demo

Ich habe einen Traum. Den hab ich öfter mal, aber jetzt hat er sich aus aktuellem Anlass wieder gemeldet. Weil ich in den letzten großen…/ mehr

Rainer Bonhorst / 24.01.2024 / 11:30 / 65

Ich wäre gerne mitmarschiert

Schade, ich bin zu den großen Demonstrationen gegen rechts leider zu spät gekommen. Ich wäre so gerne mitmarschiert. Aber ich war zu langsam. Weil ich…/ mehr

Rainer Bonhorst / 15.01.2024 / 11:00 / 12

Zwei Krönungen, eine mit, eine ohne

Die Krönungszeremonie von Kopenhagen ist deutlich weniger pompös ausgefallen als solche, die wir aus London gewohnt sind. Als ehemaliger England-Korrespondent wird man unausweichlich zum Beobachter…/ mehr

Rainer Bonhorst / 09.01.2024 / 16:00 / 27

Der Libero – nicht nur auf dem Platz

Franz Beckenbauer ist tot. Der erste Superstar des deutschen Fußballs, Weltmeister als Spieler und als Trainer, zuweilen als „Lichtgestalt“ verklärt. Dank seiner heiteren Gelassenheit konnte…/ mehr

Rainer Bonhorst / 25.12.2023 / 12:00 / 42

Die Einsamkeit der Politiker

Ist es ein Zufall, dass die rotgrüngelbe Koalition dieser Tage ein „Strategiepapier gegen Einsamkeit“ auf den Markt geworfen hat? Natürlich nicht. Erstens ist Weihnachtszeit und…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com