Chaim Noll / 01.09.2018 / 06:25 / Foto: Sanchezn / 59 / Seite ausdrucken

taz-Freiheit

Manchmal frage ich mich, wie es kommt, dass ich fast vier Jahrzehnte lang mit Redakteurinnen und Redakteuren deutscher Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunkanstalten zusammenarbeiten konnte, und warum es plötzlich nicht mehr geht. Liegt es an meinem Alter? Verstehe ich die jungen Leute nicht mehr? Sind meine Vorstellungen von Zusammenarbeit überholt, meine Texte antiquiert? Früher hat es gut funktioniert, immerhin so gut, dass ich mich und meine Familie davon ernähren konnte.

Oder ist etwas in den Redaktionen der deutschen Medien vor sich gegangen, Veränderungen, die ich nicht mitbekommen habe? Peu a peu bin ich überall als freier Mitarbeiter untragbar geworden. Ohne, dass ich mich schlecht benommen hätte: Ich lebe tausende Kilometer entfernt in Israel, trete also persönlich gar nicht in Erscheinung. Zu den wenigen deutschen Medien, die mir noch geblieben sind, zählte die taz in Berlin. Das mag angesichts der eher Israel-feindlichen Haltung dieses Blattes überraschen. Ich werde dort auch nicht um politische Leitartikel gebeten, konnte aber bisher gelegentlich im Feuilleton veröffentlichen.

Bis zu jenem folgenschweren Tag, als ich die Idee hatte, in der taz das neue Buch von Thilo Sarrazin zu besprechen, Feindliche Übernahme. Ich schrieb deshalb an eine mir bekannte, sympathische Redakteurin, deren Name nichts zur Sache tut (weshalb ich sie im Folgenden XY nenne), denn auch mit jeder anderen wäre die Sache so oder ähnlich verlaufen:

Am 11.07.2018 um 09:15 schrieb Chaim Noll:

Liebe XY,

hat die taz genügend Humor, mich Thilo Sarrazins neues Buch „Feindliche Übernahme“ besprechen zu lassen? Ich schlage es hiermit vor. Das Buch erscheint am 30. August. Mir sind elektronische Fahnen zum 25. Juli zugesagt worden, Rezension könnte also zum Erscheinungstag im Blatt sein.

Herzliche Grüße aus Israel

Chaim Noll

Am 16.07.2018 um 13:04 schrieb XY:

Lieber Chaim Noll,

da haben sich natürlich die KollegInnen draufgestürzt. Rezension ist also schon vergeben. Aber vielleicht wollen Sie eine Art Kommentar dazu schreiben? 2700 Zeichen?

Herzliche Grüße

XY

Am 18.07.2018 um 09:41 schrieb Chaim Noll:

Liebe XY,

will es versuchen. So ein Kurztext über das sicher viel diskutierte Buch wird echte Herausforderung. Sagen wir 3000 Zeichen?

Herzlich aus Israel

Chaim Noll

Am 18.07.2018 um 12:32 schrieb XY:

Lieber Chaim Noll, ok! Herzliche Grüße nach Israel!

Am 28.08.2018 um 11:08 schrieb Chaim Noll:

Liebe XY,

Sarrazin-Buch erscheint Donnerstag. Lese jetzt die Fahnen. Wann wollen Sie meinen Text? Gleich? Oder warten wir Rezension bei Ihnen ab bzw. die ersten Reaktionen von Medien und Politikern?

Für kurze Nachricht dankbar

Herzlich, Chaim Noll

Am 28.08.2018 um 17:10 schrieb XY:

Lieber Chaim Noll,

ich dachte eher an eine Art Kommentar als an eine Rezension, 3000 Zeichen. Anfang nächster Woche reicht mir.

Herzliche Grüße

XY

Am 29.08.2018 um 10:15 schrieb Chaim Noll:

Liebe XY,

bin mit Sarrazin 2/3 durch und finde, es ist eins der intelligentesten Bücher, die bisher zum Thema Islam und Moderne geschrieben wurden. Mein Kommentar würde also sehr positiv ausfallen. Können Sie das bringen?

Für baldige Nachricht dankbar

Chaim Noll

Am 29.08.2018 um 15:49 schrieb XY:

Lieber Chaim Noll,

kann ich mir nicht vorstellen, dass die Abhandlung eines xenophoben Panikmachers, der den Islam zu seinem Hobby gemacht hat, intelligent sein kann, aber ich lasse mich gerne überraschen. Ich habe die Fahne bekommen, aber noch nicht reingeschaut, das möchte ich in dem Fall erstmal tun.

Ansonsten gilt: Für differenzierte, zurückgelehnte Kommentare bin ich aufgeschlossen, für steile Thesen ist gerade nicht die Zeit.

Sehr herzlich

XY

Am 29.08.2018 um 16:04 schrieb Chaim Noll:

Liebe XY,

ich bin kein Freund steiler Thesen. Ist nicht mein Stil, Sie finden so etwas nirgendwo in meinen Büchern oder anderen Veröffentlichungen.

Ja, machen Sie sich selbst ein Bild. Ich bin durchaus misstrauisch an diese Lektüre heran gegangen, aber er überzeugt mich mit seiner eher trockenen, immer durch Quellen und Statistiken abgesicherten Darstellung.

Ich bin gespannt auf Ihre Rückmeldung, nachdem Sie etwas gelesen haben, und hoffe, dass die taz meinen „differenzierten Kommentar“ ertragen wird.

Herzliche Grüße aus Israel

Chaim Noll

Eine Rückmeldung ist nicht erfolgt. Es gehörte nicht viel Scharfsinn dazu, aus diesem Schweigen zu schließen, dass man bei der taz an meinem Kommentar nicht mehr interessiert ist. Ich beende nun meinerseits diese Farce „freier Meinungsäußerung“, in der die Übereinstimmung mit der vorgefassten Meinung der Redaktion offenbar als selbstverständlich angenommen wurde.

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Wolfgang Richter / 01.09.2018

Wie sagte der ebenfalls und noch Soze Herr Buschkowsky in seiner Laudatio zum Sarrazin-Buch “Feindliche Übernahme” zum Teil der Ist-Beschreibung in afrabischen Hochburgen deutscher Städte in etwa?—Die Zustände sind teils schlimmer, als von Sarrazin beschrieben. Aber würde ich das so benenne, wäre mein Rausschmiß unabwendbar.—Das sagt doch alles über den “rechten Charakter” des Buches und seines Schreibers, wie dazu, daß die Masse der Bevölkerung, die abseits dieser Biotope lebt, dreist von Politk und Medialen belogen wird, die zur Wahrung ihrer “Wahrheit” Andersmeinende dann noch oben drauf als “Nazis” beschimpfen. In einem solchen Land sind Meinungsfreiheit und Demokratie lange über Bord gegangen und abgesoffen. Oder mit Berthold Brecht: “Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Wer sie aber weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.” Damit sind die Politikerauftritte zu Chemnitz samt ihrer Medialen Unterstützer dann auch treffend beschrieben. Und zu Herrn Sarrazin ein George Orwell: “In Zeiten der universellen Täuschung wird das Aussprechen der Wahrheit zur revolutionären Tat.”

madeleine nass aus bonn / 01.09.2018

Das zeigt mal wieder, wie unkritisch die Mainstream-Presse geworden ist.

Andreas Rochow / 01.09.2018

Verehrter Chaim Noll, Ihre Texte sind frisch, klingen jung, lebendig und haben immer das Potential, den Leser zu bereichern. Über Ihr Alter wollte ich nie nachdenken; bleiben Sie uns bitte lange erhalten. Ihre Stimme wird hier dringend gebraucht; dass die taz sie ausblenden will, bestätigt diese Aussage. Nehmen Sie es also nicht persönlich. Sie müssen aber, dass in Deutschand die staatsnahe Nachrichtenagentur dpa am Erscheinungstag den Provinzblättern der Republik eine vernichtende anonyme Propagandarezension von Sarrazins Buch zur Verfügung gestellt hat. Die Redaktionen haben das Stück gern angenommen und die Chance, dass andere als vernichtende Rezensionen zur Veröffentlichung kommen, damit minimiert. Das nunmehr 10 Jahre alte “nicht hilfreich” der Kanzlerin hatte auf den Propagandajournalismus hierzulande offenbar nachhaltige Wirkung. Die taz wird schon einen Rezensenten finden, der “zuverlässiger” ist als Sie. Zur Verbesserung des kulturlosen Deutschlands in eine multiethnisch-multikulturelle islamische Gesellschaft darf es nämlich keine zweite Meinung mehr geben. Wenn schon das eigene Volk nicht gefragt ist, was soll die taz da mit Ihrer Stimme aus Israel? Mit freundlichhen Grüßen Ihr A.R.

Uwe Dippel / 01.09.2018

Das ist ganz deutlich die Art von Journalismus, wie er mir gefällt! Wo kann man diese wunderbare Zeitung namens ‘taz’ eigentlich kaufen?

Wolfgang Kaufmann / 01.09.2018

In einer wirklichen Demokratie ist auch der, der eine andere Meinung vertritt, noch ein wertvoller Gesprächspartner.

Susanne v. Belino / 01.09.2018

Besonders zum jetzigen Zeitpunkt (Chemnitz!) musste sich der für die beklagenswerten medialen Verhältnisse in unserem Land so kennzeichnende Austausch zwischen Herrn Noll und der taz-Redaktion genau so darstellen wie beschrieben. Ich würde allerdings darauf wetten, dass Chaim Nolls ungeheuerliches Ansinnen, einen Kommentar - um Himmels willen keine Rezension -  zu einem Teufelswerk zu verfassen, auch bei den Redaktionen aller übrigen Mainstream Medien auf die gleiche eiskalte Ablehnung gestoßen wäre. Insbesondere für seine berufliche Zukunft kann, nein muss, man Herrn Noll nur das Beste wünschen.

Frank Box / 01.09.2018

Die Merkelkratie ist schon deshalb zum Untergang verurteilt, weil die Zensur heute nicht mehr so wirkt, wie zu DDR-Zeiten. Das liegt aber nicht daran, dass nun etwa eingige Medien es wagten, aus Merkels gleichgeschaltetem Zensurkartell auszubrechen. Die staatliche Einheitsmeinung in den Blockmedien ist nach wie vor präsent! Und noch vor 25 Jahren wäre der heutige Merkelimus mangels anderer Informationsmöglichkeiten im Volk wohl noch auf Jahre alternativlos. Angeführt von der Jugend, informieren sich aber heutzutage immer mehr Menschen im Internet, was bedeutet: unkontrollierbar! Ausschließlich das Staatsfernsehen (MERKEL1 und MERKEL2) schauen nur noch die Alten. Und die sterben langsam aus. Die Jungen sehen sich dieses durchzensierte “Seniorenfernsehen” GAR NICHT mehr an! Sie werden nur durch die allgegenwärtige Indoktrination der Merkelisten in der Bildung bei der Stange gehalten. Da die Realität der Jugend auf Schulhöfen und in den Innenstädten aber täglich etwas anderes zeigt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich nach Beendigung der Ausbildung und mit fortschreitendem Alter die Augen öffnen.

James Joyce / 01.09.2018

Herr Chaim Noll, ich verstehe Sie nicht. Aber der Reihe nach, wenn’s gestattet ist. Herr Sarrazin hat dem Grunde nach nur ein Buch geschrieben, aber dieses Buch variantenarm oft wiederholt. Die Lektüre seiner Abschaffungsbibel für Gläubige habe ich noch vom Genossen betreten genossen. Was bereits jetzt in Teilen über seine neue Fibel bekannt wurde, schreckt. Der, von wem auch auch immer, geschickt inszenierte Werberummel, wird dem Absatz gleichwohl förderlich sein. Warum auch nicht. Herrn Sarrazins Szenarien, die er der Republik heraufbeschwor, heraufbeschworen aus der Exegese von Statistiken, mögen schrecken. Ich aber erlaube mir, sie zu belächeln. (Was Churchill über Statistiken aussagte, wurde zum geflügelten Zitat). Fazit, was also gibt’s Neues über Sarrazins Fibel, das zu erörterten es sich lohnt? Der Dichter, Herr Sarrazin, sucht vermutlich noch immer nach Identität. Oder ist die SPD seine Identität? Freude an den schönen Dingen des Lebens sind ihm verdächtig. Die Besessenheit von der Abschaffung des Abendlandes wird bei ihm mehr und mehr zu einer idée fixe, die ihn droht, vollständig zu beherrschen. So urteile ich. Das ist meine „Weisheit letzter Schluss“.

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