Gerd Held / 12.02.2016 / 20:20 / 9 / Seite ausdrucken

Syrien - Das deutsche Weltmodell funktioniert nicht

Eine Weltpolitik, die moralischen Imperativen folgt, läuft Gefahr, die Sprengkraft von Bürgerkriegen und den Staatszerfall durch Massenmigrationen zu unterschätzen.  

Die Syrienkrise hat sich verschärft. Die Zurückdrängung der Aufständischen aus ihrem Zentrum Aleppo hat eine Massenbewegung in Richtung der türkischen Grenze ausgelöst. Wer hätte da, angesichts der Bilder der Flüchtenden, nicht den ersten Impuls, humanitär zu helfen und zu retten? Spricht das nicht für die deutsche Politik der Massenaufnahme von Menschen aus Bürgerkriegsgebieten? Muss sich jetzt nicht alles dem „humanitären Imperativ“ unterordnen? Nein, es ist umgekehrt. Gerade in der Verschärfung der Krise zeigt sich, dass die Positionierung Deutschlands, in die uns die Bundesregierung geführt hat, nicht haltbar ist. Denn die Massenbewegungen, die durch einen nicht zu gewinnenden Bürgerkrieg ausgelöst werden, können nicht mit einer internationalen Umsiedlungspolitik aufgefangen werden. Jede Spekulation auf einen „Regimewechsel“ führt nur zu einer Verlängerung des  Kriegs und heizt nur die Vertreibungsmaschine an. Wenn dazu noch Illusionen über eine Zukunft im fernen Europa genährt werden, wird die Situation erst recht aussichtslos.

Die deutsche Politik schafft es nicht, die Grenzen internationaler Hilfe offen und ehrlich auszusprechen und diese Grenzen auch fühlbar zu machen. Sie ist weder eine Einwanderungspolitik mit begrenzten Kontingenten im gegenseitigen wirtschaftlichen Interesse, noch eine Hilfsaktion, die humanitäre Kontingente der Schwächsten und am meisten Gefährdeten aufnimmt. Stattdessen nimmt sie ganz einfach die, die am stärksten auf unsere Grenzen drängen. Ihr Willkommen ist ein opportunistisches Willkommen, das die schnellen Lösungen und „zugreifenden“ Kräfte bevorzugt.

Das wird jetzt mit dem neuen Stadium des Syrienkonflikts deutlich spürbar. Nicht einmal die Kanzlerin traut sich jetzt, ihr Versprechen einer Aufnahme „aller syrischen Flüchtlinge“ zu erneuern – obwohl die Notlage doch noch viel größer ist als Anfang September 2015. Die deutsche Rettungspolitik ist nicht mehr steigerungsfähig. Sie hat ihr Pulver schon verschossen. Sie ist am Ende ihres Weges angelangt. Merkels Sprache ist inzwischen merkwürdig passiv geworden. Dramatisch passiv, könnte man sagen. Nicht nur erschrocken, sondern „entsetzt“ zeigte sich die Kanzlerin bei ihrem Türkei-Aufenthalt über das Leid der syrischen Zivilbevölkerung, um dann gleich hinzuzufügen, dies Leid sei „vorrangig von russischer Seite“ angerichtet. Hier werden geschickt Klage und Anklage gemischt. Es ist eine Rede mit gespaltener Zunge. Sie beklagt nicht nur humanitär das menschliche Leid, sondern sie ergreift politisch Partei in einem Bürgerkrieg. Sie versucht nicht, das fragile internationale Bündnis zur Einhegung dieses Krieges zu fördern, sondern sie vertieft, mit einem unüberlegten Statement auf türkischem Boden, die Spannung mit Russland.

Zur Erinnerung: Der syrische Bürgerkrieg ist über Jahre dadurch gefördert worden, dass die USA und zahlreiche europäische Staaten die Stunde für einen „Diktatorensturz“ gekommen sahen und gegen die Regierung Assad gezündelt haben – wie sie es in anderen Ländern der sogenannten „Arabellion“ auch getan haben. Inzwischen ist unübersehbar, dass es noch etwas Schlimmeres in der arabisch-islamischen Welt gibt als autokratische Regime: Es droht der Zerfall jeglicher Staatlichkeit. Die Spaltung der Bevölkerung in Bürgerkriegsparteien verheert die Grundlagen des Landes. In einer solchen Situation hat der Ruf „weg mit!“ (weg mit Assad und Putin) noch nie etwas geholfen. Man kann das Assad-Regime in vieler Hinsicht ablehnen und man kann der russischen Außenpolitik skeptisch gegenüberstehen, aber wer ernstlich den syrischen Bürgerkrieg einhegen will, muss das Ziel des Regimewechsels jetzt hintanstellen.

Das fällt nicht nur der deutschen Politik schwer, sondern auch anderen Mächten. Aber die „moralischen Imperative“, die in den verschiedensten Fragen die deutschen Positionen unkorrigierbar machen, verhindern eine vernünftige, realpolitische Festlegung von Prioritäten. Diese absoluten Imperative verhindern eine Konzentration darauf, dass jetzt zunächst einmal ein Status Quo gefunden wird, der der ungezügelt zirkulierenden Gewalt Grenzen setzt.

Das gilt auch für die Migrationspolitik. Setzt man alles daran, den Staatszerfall in Syrien aufzuhalten, wird man sich auf die Errichtung von Schutzzonen konzentrieren müssen. Schutzzonen sind ein Mittel, um die syrischen Bürger in ihrem Land (oder in unmittelbarer Nähe) zu halten und ihren Anspruch auf Rückgewinnung von Heimat, Wohnung und Arbeit nicht unter dem Druck der Notlage nicht aus den Augen zu verlieren. Schutzzonen sind ein Zeichen, dass die Verdrängung durch den Bürgerkrieg nicht als vollendete Tatsache akzeptiert wird, sondern der völkerrechtliche Anspruch auf das eigene Land gewahrt wird. Dagegen führt die moralisch aufgeladene deutsche Migrationspolitik auf einen ganz anderen Weg: auf den Weg der Umsiedlung. Wer in ein Bürgerkriegsland hinein das Angebot macht, alle „Betroffenen“ aufzunehmen (ohne zahlenmäßige Obergrenze) und wer dies durch die Öffnung der deutschen Grenzen auch praktisch durchführt, trennt die Syrer in ihrer Lebensgrundlage und in ihren Zukunftsperspektiven von ihrem Land. Ob er es will oder nicht, wird er zum Komplizen der Verdrängungstendenz, die in jedem Bürgerkrieg wirksam ist.

Natürlich ist es ein Irrsinn, wirklich im großen Maßstab eine Umsiedlung der syrischen Bevölkerung nach Europa durchzuführen. Man kann einen Bürgerkrieg nicht einfach in eine größere Geographie auflösen. Angesichts eines neuen großen Migrationsschubs aus Syrien wird deutlich, wie perspektivlos Merkels „deutsche Großzügigkeit“ ist. Schon jetzt steht die Migrantenmillion, die man 2015 Hals über Kopf in unser Land gewunken hat, in der internationalen Szenerie völlig verloren da. Sie ist ein historischer Sonderfall - eine Kuriosität, die gerade bei wachsendem Leidensdruck in der Welt nicht wiederholbar ist. Sie ist Ausdruck einer Rettungsutopie, die niemals zur Maxime eines allgemeinen, weltweiten Handelns werden kann.

Es zeigt sich aber auch ganz handgreiflich ein perverser Effekt: In Deutschland werden seit Monaten gewaltige Mittel an Geld, Sachanlagen, Arbeitszeit und Hilfsbereitschaft eingesetzt, die jetzt viel dringender in der Krisenregion gebraucht würden und dort viel mehr bewirken könnten. Und die Aufnahmeplätze in Deutschland, die eigentlich dringend für wirkliche Kriegsopfer und besonders schwache, hilflose Menschen gebraucht würden, werden von Personengruppen besetzt, die überwiegend zu den Stärkeren zählen (und sich deshalb auf dem Weg der „wilden“ Migration durchsetzen konnten).

Fazit: Der Fall Syrien zeigt, dass das deutsche Weltmodell nicht funktioniert. Es erreicht die am meisten Hilfsbedürftigen nicht und es verführt unser Land gleichzeitig zu leichtsinnigen Positionierungen in anderen Weltregionen.      

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Karsten Troyke / 12.02.2016

Gezündelt? Klingt ja bißchen nach Todenhöfer. Syriens Katastrophe hat doch auch damit zu tun, daß der Westen NICHT eingegriffen hat.

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