Wolfgang Röhl / 01.01.2009 / 12:03 / 0 / Seite ausdrucken

Superwahljahr 2009. Die Rückkehr der Talkshow-Zombies

Ein kluger Freund, Autor einiger Bestseller, ist öfters Gast in Talkshows. Zwischen beiden Sachverhalten besteht ein gewisser Zusammenhang, gestand er mir, als er wohl spürte, dass seine Präsenz bei dem Betroffenheits-Simulator Kerner, der vor erfolgreichen Promis buckelt, angezählte wie Eva Herman aber populistisch in den Hintern tritt, manchen irritiert hatte. „Was willst du?“, verteidigte er sich. „Der Auftritt in einer bundesweiten Talkshow bringt 5000 verkaufte Exemplare. Einer im Regionalprogramm immerhin noch ein-, zweitausend Stück“...

Stimmt ja. Jeder, der in diesem Land etwas verhökern muss, kommt am Fernsehen nicht vorbei. Buchverlage, Musikkonzerne, die Filmindustrie, alle unternehmen höllische Anstrengungen, ihre Hoffnungsträger in Talkshows zu platzieren. PR-Profis scannen die erste und zweite und dritte Garde der Quasselrunden nach freien Plätzen, telefonieren den für das Casting zuständigen Redakteuren die Ohren ab.  Manche landen einen Hit bei Beckmann oder Kerner. Andere landen nur bei „Unter uns“, dem trutschigen Talk des Mitteldeutschen Rundfunks. Entschuldigt sind sie alle. Wer nicht klappert, dessen Buch geht in der Fülle der Neuerscheinungen unter.

Auch Politiker ziehen über alle Talkshow-Dörfer. Im menschelnden Mief der KernerBeckmannKachelmanns haben sie sich genauso eingenistet wie beim Politladytalk der WillMaischbergerIllners. Gern hocken sie in Klönrunden von NDR und Radio Bremen, wo niemandem ein Härchen gekrümmt wird, wagen sich mitunter sogar in die Höhle des Plasberg. Was suchen sie dort, an Abenden, wo andere ins Kino gehen, ein Buch lesen, ihren Partner lieben oder staatstragende Reden redigieren?

Sie suchen „den Wähler“, natürlich. Auch sie und ihre Referenten wissen ja, dass die Möglichkeiten für das Hochjazzen einer Ware – siehe den genialen Hype, mit dem Bernd Eichinger seinen belanglosen Baader-Meinhof-Film in die Medien drückte – dank des Fernsehens schier unbegrenzt sind. Nur deshalb strömen sie in die Studios, unsere Volksvertreter, lassen sich hinter zugigen Talkshowkulissen pudern, gelen und schminken, warten geduldig im heißen Scheinwerferlicht auf ihr Tänzchen beim Charaktermaskenball, lassen sich von Journalisten-Darstellern dummdreiste Fragen bieten (Kerner an Seehofer: „Wann haben Sie das letzte Mal gebeichtet und wie lange hat das gedauert?“). Lassen sich von einer Maybritt Illner, die durch Schieflegen des Kopfes Kompetenz auszustrahlen versucht, nach Erich-Böhme-Art frech halbduzen („...wenn ihr euch nicht einigen könnt…“). Lassen es geschehen, dass ihre Meinungen, die manchmal durchaus fundiert sind, gleichberechtigt in eine Reihe gestellt werden mit den Einsichten hinzu geladener Schlagersänger, Attac-Ideologen oder politisierender Schauspieler, etwa vom Schlage der zähnefletschenden Iris Berben, die im Zweifelsfall alles „ganz, ganz wichtig“ findet. Diese Widerwärtigkeiten, ja Demütigungen erträgt der Talkshow-Masochist in der Hoffnung, sich damit beim Großen Lümmel Fernsehvolk lieb Kind zu machen, dank der normativen Kraft des Quatschigen.

Weil er verinnerlicht hat, was ihm Leitartikler, Feuilletonisten und Kulturkritiker seit Jahren einhämmern. Dass nämlich die Talkshow das verfasste Parlament längst substituiert habe, dass richtungweisende Debatten nur mehr im Fernsehen statt fänden. Der verstorbene Sozi-Intellektuelle Peter Glotz, kurzzeitig selber TV-Moderator, hatte mal postuliert: „Talkshows sind gefunktes Zeitgespräch“.
Was für ein Unsinn. Politik ist kein Buch, das allein schon durch seine Annoncierung in Fernsehen nachgefragt wird.  Nicht eine einzige Untersuchung belegt, dass sich Politiker und ihre Parteien besser verkaufen, wenn sie so oft wie möglich in Talkshows aufscheinen. Eher scheint das Gegenteil wahr zu sein. Jeder,  der beim Fernsehtalk einen Hauch von Substanz in den Ring wirft, wird alsbald von Krawallchargen wie Oskar Lafontaine angefallen, die ihr eigenes „Klatschvieh“ (TV-interner Jargon für die Zuschauer im Studio) mitgebracht haben, um sich für jede populistische Plattitüde bejubeln zu lassen. Jeder, der den Holzhammer zu Hause lässt, kann in Talkshows nur verlieren. Jeder, der sich Nachdenklichkeit und Differenzierung erlaubt, ist bei Will & Co. so gut aufgehoben wie ein Klaustrophobiker im Mini-U-Boot. Der Publizist Reinhard Mohr: „Unvorhergesehene Einsichten, die nicht auf den Karteikarten der Moderatorin annonciert sind, stören ohnehin“. Das kindische Gezänk („Lassen Sie mich ausreden!“ – „SIE lassen doch MICH nie ausreden!“) zieht noch den Vernünftigsten, Kaltblütigsten unvermeidlich in einen Strudel von „falschen Zuspitzungen, Pseudodramatisierungen und thematischen Wiederholungen“ (Mohr). Es gibt nun mal keinen richtigen Talk im falschen.

Die Talkshow, dein Freund und Wahlhelfer? Nebbich. Je öfter einer dort auftritt, desto suspekter wird er den Leuten. Der berühmte Rentenexperte Norbert Blüm verlor auch den Rest von Reputation durch Talkshowauftritte, in der er seine Milchmädchenrechnungen altersstarrsinnig repetierte. Im Bundestagswahlkampf 2002 zogen Guido Westerwelle und Jürgen Möllemann durch so ziemlich jede Talkshow der Republik. Das Ergebnis des Schuhsohlen-Projektes 18 war bekanntlich suboptimal.

Chapeau aber vor den Fernsehanstalten! Ihnen war es dank der Etablierung von Sabine Christiansens kaltem Kaffeeklatsch gelungen, den Talkshowauftritt zum Pflichtprogramm für Politiker und Verbandsvertreter zu befördern. Das brachte den Sendern gute Marktanteile für kleines Geld – nichts ist billiger als 60 Sendeminuten Blabla. Doch inzwischen sind die Polittalk-Quoten eingebrochen - außer, gerechterweise, bei „Hart aber fair“. Wann begreift die politische Kaste, dass der durchaus kein schlauer Medienfuchs ist, der sich in einer hysterischen Jahrmarktsbude zum Deppen macht? Addiert man nämlich zu einer Null weitere Nullen, so kommt am Ende doch nicht mehr heraus als das Enzensberger´sche „Nullmedium“. Vulgo Fernsehen.

Der Beitrag erschien im „Magazin” (1/09) der Friedrich-Naumann-Stiftung

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