Richard Wagner / 23.09.2008 / 09:18 / 0 / Seite ausdrucken

Sissi in Paris

Heute wäre Romy Schneider siebzig geworden, und auch das ist für unsere Öffentlichkeit ein Anlass sie zu duzen. Romy Schneider ist eines der größten Duzopfer des ewigen Mainstreams. Mit ihr ist man wie mit Sissi verfahren.

Die Fatalität ist bereits im Zusammenkommen von Sissi und Romy, in der medialen Fusion der beiden Figuren begründet. Und zwar an der Schnittstelle von Mädchensozialisationsgeschichte und Frauenschicksal. Die meisten Frauen, die sich gut und gerne an Pippi Langstrumpf erinnern, erinnern sich auch an Sissi. Wie ist das zu erklären?

Wenn die Sissi-Rolle in den Fünfzigern, die mit Waschmaschinenanleitungen beschäftigte Frau noch zum Träumen einladen konnte, so wurde sie später, als sie politisch und kulturell als reaktionär zu entlarven gewesen wäre, schlichtweg Kult. Kult hat ja auch die Funktion, etwas zuzulassen, was die eigene Ideologie verbietet. Ist das strahlende Gesicht der jungen Romy nicht auch ein verschmitztes?

Romy Schneiders Flucht aus dem ihr von der Mutter Magda aufgezwungenen Sissi-Image nach Paris gilt bis heute als Akt der Opposition. Gegen die Mutter, die ein Nazifilmstar war, und gegen die deutsche Provinz. Bis heute spricht Alice Schwarzer von Romy Schneider als einer modernen Frau.

Wodurch aber war Romy Schneider modern? Indem sie nach Frankreich ging, um sich dort einem dubiosen Alain Delon an den Hals zu werfen? Um sexuelle Tabus auf der Leinwand zu brechen? Worin bestand die Ausnahmehaltung, von der immer wieder die Rede ist? Welche Frau stand denn nicht auf diesen Delon und wer versuchte damals nicht sexuelle Tabus zu brechen?

Dass das kurze Leben der Romy Schneider ein tragisches wurde, hat nichts, aber auch gar nichts, mit einer Avantgardeverkörperung zu tun, und schon längst nicht in der Geschlechterfrage. Wenn Romy Schneider ihre vielzitierte Aussage macht: Ich kann alles auf der Bühne und nichts im Leben, spricht daraus eine klassische Frauensehnsucht nach der Geborgenheit einer Beziehung, nach einem Kind.

Romy Schneider war die schöne, begabte Frau, der die Allerweltswünsche nicht gelingen wollten. Und hier ist auch die Schnittstelle der zahlreichen Identifikationen und Zuschreibungen, denen sie ausgesetzt war und ist, zu suchen. Wie die meisten schönen Frauen betrat Romy mit vierzig den Krisenraum. Die Ehe mit Biasini gescheitert, der Sohn bei einem schrecklichen Unfall gestorben.

Es konnte schlimmer nicht kommen, war aber auch von einer Trivialität bestimmt, die den Boulevard geradezu auf den Plan rufen musste. Nein, Romy Schneider war nicht modern. Sie war Sissi in Paris.

 

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