Katharina Lotter / 25.02.2011 / 23:05 / 0 / Seite ausdrucken

Selber machen muss sich lohnen

Die Guttenberg’sche Doktorarbeit könnte ein großes Glück für alle Wissensarbeiter sein. Wenn wir es schaffen, die Diskussion um fehlende Fußnoten ehrlich und umfassend zu führen. Wenn wir aufhören, uns an einer einzelnen Person abzuarbeiten. Und stattdessen die Frage stellen: Was ist Wissen wert?

Vor zwei Jahren wurden den Lesern einer großen Wochenzeitung eine unterhaltsame Geschichte präsentiert, die mehrere Wochen zuvor bereits in einer Tageszeitung abgedruckt worden war. Ein bißchen modifiziert und ergänzt und ohne Hinweis auf diejenige, der das alles eingefallen war und die sich der Mühe einer aufwendigen Recherche unterzogen hatte. Keiner will’s gesehen haben. Der Plagiator ist kein Promi.
Die ursprüngliche Idee zu besagter Geschichte stammte von einer Praktikantin. Und die hatte, mitten in der Bewerbungsphase um einen Volontariatsplatz, keine Zeit und keine Nerven, sich mit dem dreisten Klau ihres Artikels so auseinanderzusetzen, wie sie es hätte tun sollen: Diese peinliche Angelegenheit ansprechen, eine Entschädigung und vor allem eine Klarstellung verlangen, vielleicht einen Anwalt einschalten. Die Übereinstimmungen waren frappierend. Sie hätte vor jedem Gericht Recht bekommen. Aber sie ließ die Sache auf sich beruhen. Sie hat sich und ihren Kollegen damit keinen Dienst erwiesen. Denn in Journalistenkreisen weiß man: Das war kein Einzelfall.
Außgerechnet zu Guttenberg bietet Medienmachern die Chance, ihr eigenes Verhältnis zu Recherche und Fußnoten einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Es ist noch nicht lange her, dass allesamt seine vielen Vornamen voneinander oder aus der Wikipedia abschrieben und sich in beinahe jeder Zeitung ein “Wilhelm” zuviel fand. Auch über seine berufliche Laufbahn vor der Berufung ins Amt des Wirtschaftsministers wussten alle genau Bescheid. Die von Guttenberg GmbH in Aschheim sah sich bald genötigt, auf ihrer Homepage darauf hinzuweisen, dass der damalige Wirtschaftsminister nie in ihrem Unternehmen gearbeitet habe. Das Medienmagazin ZAPP fand heraus, dass mit seinen Erfahrungen in der freien Wirtschaft, seiner “Verantwortung im eigenen Familienunternehmen” mitnichten eine Tätigkeit als “Geschäftsführer bei einem Fachgroßhandel für Trockenbau, Isoliertechnik und Dämmstoffe” gemeint war, wie viele Zeitungen und Magazine auch nach der Erklärung des Unternehmens noch behaupteten.
Karl-Theodor usw. zu Guttenberg hat seinen Doktortitel zurückgegeben. Opposition und Regierung werden sich noch eine ganze Weile darüber streiten, ob er nachlässig war oder absichtlich getäuscht hat. Ob sein Verhalten ein Indiz für charakterliche Schwächen sein könnte, die ihn als Volksvertreter untragbar machen.
Die öffentliche Debatte aber beschränkt sich neben moralisierenden Einlassungen im Wesentlichen auf Anleitungen zur korrekten Anfertigung von Doktorarbeiten und die Frage, ob die Kunst darf, was der Wissenschaft verwehrt bleibt. Dass Plagiate aus China ein Unding sind, darüber sind sich alle einig, denn die richten, wie Michel Friedmann in der Welt am Sonntag festgestellt hat, wirtschaftlichen Schaden an. So neu ist das allerdings nicht. Und es hat mit den meisten Bürgern in unserem Land nicht sehr viel zu tun. Die Debatte, wie sie heute geführt wird, tut noch zu wenigen weh. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Seminare, Veranstaltungen, Vorträge ganz selbstverständlich mit Essays und Artikeln aus Zeitungen und Magazinen bespielt, die also de facto gewerblich genutzt werden - ohne dass man den Urheber fragt, ob ihm das recht ist oder ihn wenigstens namentlich nennt. Der Text wurde ja bereits geschrieben und auch schon von irgendwem bezahlt. Also was soll’s?
Wir leben in einer Zeit, in der Werbeagenturen potentiell interessante “Querdenker” zu einem lockeren Gespräch bei Rotwein und Häppchen einladen und die Währung, mit der Zeit, Anreisekosten und Hirnschmalz dieser Leute abgegolten werden sollen, “Networking” oder “Synergieeffekte” nennen. Manch einer fühlt sich da geschmeichelt. Es ist schön, um Rat gefragt zu werden. Tatsächlich geht es aber oft nur darum, Wissen und Ideen für lau abzugreifen. Die Gesprächspartner haben dann möglicherweise viel “Input” geliefert, werden aber bei der Verdichtung und Verwirklichung ihrer Ideen nicht mehr gegen Honorar ins Boot geholt. War doch echt ein gemütlicher Abend, oder?
Aber nicht nur in der Politik, in der Kunst und im Medienbereich mangelt es an Respekt vor der geistigen Arbeit anderer. Ideenklau, Beratungs- und Wissensdiebstahl findet überall statt. Jeden Tag. Im Büro, wenn fremde Vorschläge als eigene präsentiert werden. In Schulklassen. In Fachgeschäften, wo sich Kunden beraten lassen, um dann das empfohlene Produkt anderswo günstiger zu kaufen - in einem Online-Shop, der deshalb bessere Preise anbieten kann, weil er keine geschulten Mitarbeiter beschäftigen und keine Miete für ein Ladenlokal in der Innenstadt bezahlen muss. Im Internet, wo es für viele nach wie vor zum guten Ton gehört, sich Filme, Bilder und Musik kostenlos zu “besorgen”.
Das ist das deutsche Problem: Was sich jemand ausgedacht hat, ist nichts wert. Denken kann schließlich jeder. Fotografen, Musikern, Schreibern, Beratern, Verkäufern macht ihre Arbeit doch Spaß! Hätten sie halt was Anständiges gelernt. Warum soll man das bezahlen?
Die Antwort ist einfach: Weil wir hier schon lange nicht mehr unser Geld mit der Fertigung von Produkten verdienen. Sondern mit Dienstleistungen und Wissen. Wir sollten schleunigst zu der Überzeugung kommen, dass auch etwas, das man nicht anfassen kann, wertvoll ist. Wertschätzung bedeutet, dass man sich nicht mit fremden Federn schmückt, nicht abschöpft was geht, ohne etwas zurückzugeben. Dazu gehört auch, dass wir Menschen, die ihren Kopf zum Wohle anderer anstrengen, davon leben lassen. Wenn sich selber machen und selber denken lohnt, auch finanziell, dann hat das Auswirkungen auf die Qualität der Ergebnisse. Und die könnten wir alle gut brauchen.

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