Katharina Lotter / 30.03.2012 / 08:49 / 0 / Seite ausdrucken

Rassismus – was sonst?

Im vergangenen Sommer, es war kurz vor ihrem 87. Geburtstag, besuchte ich meine Großtante Annemie im Krankenhaus. Ich kam an jenem Tag auch, um meine Mutter zu unterstützen. Denn Tante Annemie sollte eröffnet werden, dass sie zwar morgen entlassen werden würde, aber nicht mehr ins Betreute Wohnen zurückkehren könne. Ab sofort würde sie in einem Pflegeheim leben, das sie selbst bereits vor Jahrzehnten ausgesucht hatte für den Fall, dass sie ihre Angelegenheiten eines Tages nicht mehr selbst regeln kann.

Sie nahm es gefasst und mit großer Grandezza auf. Später allerdings zog sie mich zu sich herunter und flüsterte „Du, sag mal ... was sind das nur für Zeiten ... jetzt laufen sogar schon Ärzte mit langem Zopf herum. Warum geht der Herr Doktor denn nicht endlich mal zum Friseur? Und warum unternimmt seine Frau nichts dagegen?“ „Tante Annemie“, habe ich gesagt, „heute ist das eben nicht mehr so wie früher. Aber falls es Dich tröstet: Er ist gar kein Arzt, er ist ein Pfleger. Die sind ja vielleicht ein bisschen lockerer. Hab Dich doch nicht so.“ Sie schüttelte den Kopf. „Pfleger? Ein Mann? Als Krankenschwester? Aber nein. Unmöglich.“ Resigniert faltete sie ihre Hände zusammen wie zu einem Gebet und sagte dann mit fester Stimme: „Naja, daran muss ich mich jetzt eben gewöhnen. Ärzte mit langen Haaren. Es ist eben eine andere Zeit.“

Tante Annemie war Schuldirektorin, ist studierte Historikerin, eine gebildete Frau und selbst für ihren eigenen Jahrgang noch ein wenig altmodisch und konservativ.  Aber sie ist auch eine Frau, die immer Verantwortung für sich und ihr Leben übernommen hat. Und sie ist eine Frau, die sehr genau weiß, was sie für richtig hält und was nicht.  Manchmal kann sie sich nicht mehr daran erinnern, aber das ist eine andere Geschichte. Sie lässt anderen ihre Meinung, obwohl man ihr deutlich anmerken kann, dass sie abweichende Meinungen für Unfug hält. Dann hat sie immer diesen indignierten Zug um den Mund, den wir alle in der Familie fürchten.

An Tante Annemie und diesen indignierten Zug um den Mund musste ich denken, als ich sah, was passierte, als Barbara Scheel in einer Talkshow bei Anne Will darauf hinwies, dass Pflegekräfte gerade im Zwischenmenschlichen teilweise, wie sie es nannte „katastrophal ausgebildet“ seien. Wörtlich sagte sie: „In dem Pflegeheim, von dem ich rede, ist jeder zweite ein Ausländer.“ „Nicht schlimm“ beeilte Anne Will sich zu betonen. „Sie sprechen kaum Deutsch“, entgegnete Frau Scheel. Und fuhr fort: „Wir haben zum Beispiel einen schwarzen Afrikaner, so wie ich ein weißer Europäer bin. Wir haben 90jährige Frauen, die sollen sich intim von so einem Menschen pflegen lassen und ....“

Zu mehr kam sie erst mal nicht, denn jetzt ergriff der Moderator und gelernte Friseur Klaas Heufer-Umlauf, Jahrgang 1983, das Wort: „Moment mal, haben Sie gerade gesagt, dass es schwierig ist, wenn ein schwarzer Afrikaner jemanden intim pflegt? Haben Sie das gerade wirklich gesagt?“

Barbara Scheel bekräftigte ihre Aussage noch einmal: „Ja, absolut“. Darauf Heufer-Umlauf: „Das ist ja wohl Zeitverschwendung, über sowas zu reden“. Scheel versuchte, sich zu erklären und ihre Position zu verteidigen; „Das ist eine Generation, die ist damit nicht groß geworden. Wir müssen Respekt vor dem Alter haben (...) Meine Mutter hat mit 102 Jahren einen jungen Pfleger gehabt, der gesagt hat, „so, und jetzt gehen wir ins Bett“ und meine Mutter hat gesagt: „Wie bitte? Ich bin 102, ich habe mein ganzes Leben lang bestimmt, mit wem ich und wann ich ins Bett gehe.“ Das ist einfach diese Taktlosigkeit.. Es wird geduzt, es heißt „Du nicht gut, Du nicht getrunken“, das hab ich neulich gehört, da bin ich hin und hab gesagt „wissen Sie was, was fällt Ihnen ein?““
Es ging noch ein bißchen hin und her, Anne Will forderte Barbara Scheel auf „möchten Sie das möglicherweise korrigieren? Weil das tatsächlich einen leicht rassistischen Unterton hat?“ und Frau Scheel sagte „Ja, selbstverständlich. Der Junge ist übrigens ein ganz reizender Junge, ein ganz reizender Pfleger“, was den selbsternannten Junginquisitor Klaas Heufer-Umlauf dazu ermunterte, sie aufzuplustern und sie erneut zu unterbrechen mit dem Satz „Ja, ein ganz netter Neger!“

Auch wenn es politisch nicht korrekt ist: Es ist für viele alte Menschen, die in Pflegeheimen, je nach Heimleitung mal mehr schlecht als recht, aber doch oft auch ausgesprochen rührend und liebevoll umsorgt werden, tatsächlich ein Problem, wenn ihre Pfleger oder Pflegerinnen nur gebrochen Deutsch sprechen. Wer möchte schon Tabletten schlucken, die einem mit Erklärungen verabreicht werden, die man nicht versteht. Wer will schon befürchten, sich im Notfall nicht verständlich machen zu können.

Da meine Tante Annemie schon den bezopften Pfleger nur schwer verkraften konnte (ich bin ihr unendlich dankbar dafür, dass sie sich zusammengerissen und die Contenance gewahrt hat, denn er war ein ganz reizender Pfleger), ist es wohl im Bereich des Möglichen, dass eine 90jährige Frau es tatsächlich entwürdigend findet, von einem schwarzen Mann gewaschen zu werden. Richtig ist das nicht von ihr. Aber gerade Altersdemenz und Political Correctness haben in der Regel herzlich wenig miteinander zu tun. Natürlich sollte sie dankbar sein, dass sie gewaschen wird, und wer das tut, ist im Grunde egal, solange er oder sie es gut macht. Aber wenn ein alter Mensch nicht mehr gelernt und verinnerlicht hat, dass Menschen zwar unterschiedlich, aber immer gleichviel wert sind, dann lernt er es im Pflegeheim auch nicht mehr.

Kann man, darf man, soll man bei der Pflege alter Menschen auf deren Ressentiments Rücksicht nehmen? Darüber zu sprechen, wäre doch ganz interessant gewesen.
Denn was ist denn eigentlich mit Frauen, die aufgrund ihrer Religion oder ihrer Sozialisation nur von Frauen gewaschen werden möchten und vielleicht erst, nachdem das männliche Familienoberhaupt seine Einwilligung gegeben hat, dass sie überhaupt angefasst wird? Was ist mit Männern, die die nackten Unterarme und das unbedeckte Haupthaar der Pflegerinnen als unzüchtig und belästigend empfinden? Wenn sie die Würde anderer nicht achten, verspielen sie damit automatisch ihr Recht auf eine würdige Behandlung, also eine Behandlung, die ihrer vielleicht ziemlich kruden individuellen Vorstellung von Würde entspricht?

Es tat mir weh, wie Barbara Scheel vorgeführt wurde. Ich fand es beschämend, dass wieder einmal die Rassismus-Keule geschwungen wurde in einer gebührenfinanzierten TV-Sendung, von Menschen, die sich am liebsten noch vor laufender Kamera gegenseitig auf ihr politisch-korrekten Schultern geklopft hätten. Klaas Heufer-Umlauf wird im deutschen Fernsehen eine glänzende Karriere machen. Denn das Wichtigste hat er bereits verstanden: Gleich dazwischengehen, nur keine Zeit verlieren. Nur pro forma fragen. Den anderen nicht wirklich zu Wort kommen lassen. Eine Erklärung verhindern. Und sicherheitshalber auch gleich mal noch nachtreten – all das im Namen des „Guten“. Der Zweck heiligt die Mittel.

Wer sich einmal längere Zeit wirklich mit sehr alten Menschen in Pflegeheimen beschäftigt hat, der weiss, dass die in ihrer eigenen Welt leben. Darin kennen sie sich aus. Darin fühlen sie sich sicher. Es ist eine Frage der Würde, ihnen diese Welt zu lassen. Aus diesem Grund widersprechen wir auch nicht mehr, wenn Tante Annemie darauf beharrt, dass sie regelmäßig Klavierstunden gibt. Das hat sie seit Jahrzehnten nicht mehr getan, aber mit dieser Vorstellung fühlt sie sich geborgen.

Fände sie den Umgangston einer deutschen Pflegerin unpassend, würde ich intervenieren. Wäre es ihr unangenehm, wenn sie von einem schwarzen Pfleger gewaschen werden wird, würde ich mich schrecklich schämen und ich würde mich bei ihm dafür entschuldigen. Aber ich würde wohl auch darum bitten, dass für sie nach Möglichkeit künftig jemand anderes eingeteilt wird. Denn weder ihr, noch ihm wäre das weiterhin zumutbar. Was in der ganzen Diskussion leider völlig außer Acht gelassen wurde, ist die weitaus spannendere Frage, ob man Pflegern, die einen wirklich harten und wichtigen Job machen, zumuten darf, sich um Menschen zu kümmern, die das aufgrund persönlicher Eigenschaften der Pfleger unangenehm finden. Hätte Klaas Heufer-Umlauf nicht reflexhaft Gift und Galle gespuckt, wäre es vielleicht ja dazu gekommen.

Die ganze Sendung ist in der Mediathek zu sehen, der große Auftritt von Klaas Heufer-Umlauf startet ca. ab der 50. Minute. http://www.ardmediathek.de/ard/servlet/content/3517136?documentId=9967394

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