Katharina Lotter / 04.05.2011 / 17:19 / 0 / Seite ausdrucken

Eine Sprache sprechen, die das Gegenüber versteht

Große Worte werden in diesen Tagen bemüht - Rechtsstaatlichkeit, Zivilisation und viele andere mehr. Wir wollen mal wieder alles besser machen als die anderen, und vor allem: besser sein.

Ein heftiger Streit ist darüber entbrannt, ob man Osama bin Laden nicht besser vor ein Gericht gestellt hätte, anstatt ihn an Ort und Stelle zu erschießen und anschließend ins Meer zu werfen. Ob es in Ordnung war, dass Pakistan nicht von den USA über ihre Absichten unterrichtet wurde. Fachleute und solche, die sich dafür halten, diskutieren über Feinheiten des Rechtsstaatsprinzips, über Völker-, Kriegs-, Feindes- und islamisches Bestattungsrecht. Und der Vatikan erklärt uns zu allem Überfluss, worüber man sich nicht freuen darf - als ob es spontane emotionale Regungen auch nur den Hauch einer Bohne interessieren würde, ob sie erwünscht sind.

Wenn man sich nur für ein paar Stunden in Diskussionsforen, bei Twitter, auf Facebook umsieht oder Kneipengespäche belauscht, begegnen einem plötzlich lauter gefühlte Rechtsexperten. Dort werden neben plumpen antiamerikanischen Parolen derzeit gerne auch Paragraphen und Artikel zitiert, um Meinungen und persönlich-moralische Vorstellungen scheinbar zu versachlichen. “Ein Blick in’s Gesetz erspart viel G’schwätz”? Von wegen.

Das Problem, wenn juristische Laien Gesetze bemühen, ist nämlich folgendes: Recht und Moral sind zwei verschiedene Dinge und das führt schnell zu Überforderung. Gesetzestexte sind abstrakt formuliert, um möglichst viele Fälle abzudecken. Sie müssen deshalb ausgelegt werden. Wortwörtlich kann man sie schon nehmen, das ist die gute Nachricht für alle Paragraphenreiter. Aber damit bewegt man sich nur innerhalb einer von vier Auslegungstechniken, auf die sich die Rechtswissenschaft verständigt hat - und die so genannte “grammatische Auslegung” führt nicht zwingend immer zum richtigen Ergebnis. Denn es gibt auch noch die Möglichkeit einer historischen oder systematischen Auslegung und vor allem, wie sie gern genannt wird, “das Kernstück der Auslegungsmethoden”: Die teleologische Variante .Sie gibt im Zweifel den Ausschlag, denn sie fragt nach dem Sinn (griechisch télos) eines Gesetzes: Was soll durch die Anwendung einer Norm erreicht oder verhindert werden?

Ganz unabhängig davon, ob man nun die teleologische Auslegung auch auf die Überprüfung von übergeordneten Prinzipien wie beispielsweise das der Rechtsstaatlichkeit anwenden darf, wenn man wissenschaftlich korrekt bleiben will (darüber dürfen sich die wahren Experten gerne streiten), lädt diese scheinbar so einfache Frage nach dem Sinn und Zweck doch zu interessanten Gedankenexperimenten ein: Ist es zum Beispiel Sinn und Zweck des Rechtsstaats, durch die konsequente Anwendung seiner Prinzipien auch diejenigen zu schützen, zu schonen oder zu privilegieren, die ihn abschaffen wollen? Liberale in aller Welt haben ein ganz ähnlich gelagertes Problem: Sind wir denn eigentlich noch liberal, wenn wir anderen die Freiheit nehmen, uns unsere Freiheit zu nehmen?

Es geht doch nicht, dass die USA als “Weltsheriff” darüber entscheidet, wer zu den “bösen Buben” gehört und wer nicht, wer in den Genuss rechtsstaatlicher Privilegien kommen darf und wem sie verwehrt bleiben können. Das ist rassistisch, menschenverachtend, kriminell. Der Westen spielt sich auf, als sei er den anderen überlegen. Das ist anmaßend und gefährlich und das hatten wir alles schon mal - wehret den Anfängen! Wäre es nicht viel besser, wenn wir durch die Einhaltung aller rechtsstaatlichen Regeln denen da unten mal so richtig zeigen, wie echte Zivilisation aussieht? Wir dürfen uns nicht auf dieses unterirdische Niveau herablassen. Auslieferungsantrag, ordentliches Gericht, faires Verfahren und eine gerechte Strafe, wenigstens der Ordnung halber! Solche Wild-West-Methoden haben wir doch nicht nötig.

Ja, wie es eben so ist, mit dem Recht und der Moral und diesem ganzen komplizierten Kram: Manchmal muss man sich entscheiden. Und noch viel schlimmer: Man muss konsequent bleiben, wenn man sich nicht unglaubwürdig machen will.
Denn wer partout jegliche Anmaßung vermeiden möchte, weil er das für gefährlich hält, sollte konsequenterweise auch darauf verzichten, das Niveau seiner Gegner irgendwo unterhalb seines eigenen zu vermuten. Wer nicht anmaßend sein will, darf die eigenen Überzeugungen nicht für das Maß aller Dinge halten - und das gilt auch für seine Vorstellung davon, was moralisch besser und zivilisierter ist.
Wer ernsthaft glaubt, der Terror höre auf, wenn wir uns nur immer brav und anständig im Sinne unseres Verständnisses von Rechtsstaat wohlverhalten, hat nicht verstanden, dass Wohlverhalten nur als solches empfunden und belohnt wird, wenn es auch in den Wertekanon des Gegenübers passt. Das Gegenteil ist der Fall: Terroristen mögen unsere rechtsstaatlichen Prinzipien nicht. Unsere Gesetze, unsere Kultur und unsere Freiheit sind für sie entweder irrelevant oder etwas, das dringend abgeschafft werden muss. Sie wollen, dass wir ihre Regeln übernehmen. Die haben nur leider herzlich wenig zu tun mit dem in diesen Tagen so vielzitierten Rechtsstaat.

“Eine wirksame Verteidigung der Freiheit muss (...) notwendig unbeugsam, dogmatisch und doktrinär sein und darf keine Zugeständnisse an die Zweckmäßigkeitserwägungen machen.” Friedrich August von Hayek hatte Recht. Dass wir größten Wert auf unsere Freiheit legen, müssen wir unmissverständlich klarmachen, wenn uns wirklich etwas daran liegt. Nicht, indem wir, zwar mit protestantischer Bittermiene, aber dennoch hoch erhobenen Hauptes mit prall gefüllten Aktenordnern als gutes Beispiel vorangehen. Sondern indem wir Augenhöhe schaffen und in einer Sprache mit unserem Gegenüber sprechen, die er versteht. Ihn da abholen, wo er steht und so.

Ja, Augenhöhe, darauf können wir uns einigen, oder? Augenhöhe, liebe Freunde, lässt sich aber manchmal nur herstellen, wenn man sich sehr weit zu seinem Gesprächspartner herunterbeugt. Und es kann passieren, dass unser Gegenüber nur eine Sprache versteht, die wir selbst ausgesprochen ungern sprechen.

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