Samira El Ouassil und Dominic Boeer / 05.09.2014 / 21:20 / 10 / Seite ausdrucken

Sagen Sie jetzt nix (Folge 5)

Hach, was sind wir doch für Revoluzzer!

Wir brauchen eine Revolution. Für was auch immer, scheißegal. Hauptsache mit einem charismatischen Anführer! Klar, wir sind reich, satt, haben Strom, Wasser, medizinische Versorgung, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, dürfen protestieren, geheim wählen, uns versammeln, an alle möglichen komischen Götter glauben – oder mit Inbrunst und schmetterndem Sendungsbewusstsein genau das nicht tun. Wir haben alles, was man zum Leben braucht. Aber das ist alles so öde und spießig, dass ich schon beim Aufzählen fast ins Koma falle.

Wir brauchen eine feurige Führung durch einen einzigen Mann, der uns an seine starke Hand nimmt.Weg mit diesem stümperhaften, langweiligen, ineffizienten, trägen politischen Parteien-Klärschlamm. Weg mit den demokratisch gewählten Volksvertretern. Hinfort mit der lähmenden Gewaltenteilung. Adieu du gestelzt formulierte Korinthenkacker-Verfassung. Lebe wohl, verhasster Paragraphenwald mit all deinen langweiligen Beamten-Lakaien mit ihren schlecht sitzenden Hundertwasser-Krawatten.

Her mit einem Mann mit Charisma, mit Charme. Wir brauchen endlich einen Macher, keine elenden Sowohlalsauch-Demokraten. Wir brauchen eine prickelnd erotische Übervater-Figur, die uns zugleich beschützt und herausfordert, die kein Nein duldet.

Vor einigen Tagen begegnete ich meiner Freundin Anna-Maria und bekam eine Antwort auf meine Frage, mit welchem Diktator man sich gesellschaftlich akzeptiert schmücken darf: Che Guevara ist dieser ideale Mann, den wir zwar nicht live bejubeln, aber immerhin auf einem T-Shirt eng am Leib tragen dürfen. Eine Art textile Parole, die uns als stylischen, modernen, modebewussten, nicht-spießigen Bürger ausweist, ohne dass wir uns verschleiern sollen, auf unsere Eigenheimrendite verzichten oder unsere Kinder in Umerziehungslager stecken müssten.

Sie hatte das perfekte Kleidungsstück gefunden, um sich modisch und ideologisch ins rechte Licht zu rücken. Hauteng zierte das Antlitz des Che ihre wohlgeformte Brust. Ich traf sie beim Einkaufen im Bio-Supermarkt. Sie schob ihren zweijährigen Jerome Benedetto Gonzales Hirschbiegler-Kammermeier in einem derart teuren Kinderwagen vor sich her, dass jeder SUV daneben wie ein billiger Wegwerfartikel aus Fernost gewirkt hätte. Anna-Maria ließ gerade vier Packungen Bio-Reiswaffeln in ihren Einkaufswagen gleiten, denn „die haben ja kein schlechtes Kristallsalz, sondern energetisch hochwertiges Ur-Salz, und werden vom Körper daher ohne Kalorienaufnahme verwertet“.

Kleinbürgerlich und engstirnig wie ich nun mal bin, fragte ich sie, warum sie ausgerechnet einen skrupellosen Wahnsinnigen auf dem T-Shirt trage, der einst verlautbaren ließ, er hätte im Zuge der Kuba Krise liebend gerne den atomaren Overkill ausgelöst, wenn man ihn nur gelassen hätte. Anna-Maria fühlte sich offenbar vor den Kopf gestoßen und rechtfertigte sich empört: „Aber er war ja jetzt kein Diktator oder so, wie Hitler oder dieser andere, der in Italien. Che war doch kein Nazi! Er kam ja aus Kuba. Das ist ja in den Tropen. Also halt bei Afrika, ungefähr. Also war er eigentlich selbst ein Schwarzer, auch wenn er nicht so ausgesehen hat. Ich habe total viele schwarze und schwule Freunde und die haben auch alle Che Guevara T-Shirts. Er hätte nie einen Krieg geführt. Also jetzt so einen echten Krieg mit Bomben auf Unschuldige und Engländer. Er hat ja nur für Pazifismus gekämpft, weil er Pazifist war.“

Sie verabreichte ihrem kleinen Jerome eine Hand voll mit Stevia und Ur-Salz gewürzter Sojasprossen. Der Kleine guckte gequält. „Der Che war für Gleichheit und Freiheit und alles. Klar, manchmal muss man sich auch wehren. Vielleicht hat er mal zurückgeschossen. Aber ihm daraus jetzt einen Strick zu drehen, ist so typisch deutsch! Der Che war schließlich gegen Kapitalismus und Nazis und all sowas. Und er war Motoradfahrer! Che Guevara steht für Freiheit und Revolution und so. Komm, du findest ihn doch auch gut, oder? Und das T-Shirt ist echt schick!“
Sie grinste mich herausfordernd an.

Ich tat so, als erhielte ich just in diesem Moment einen wichtigen Anruf und entfernte mich winkend. Meine Persönlichkeitsstruktur ist eher konfliktvermeidend angelegt. Getoppt wurde Anna-Maria nur durch meine Nachbarin und professionell Geltungsbedürftige, Gisela Gruppinger. Sie rannte mich vor ein paar Tagen vor dem Briefkästen beinahe über den Haufen, als sie blind vor Aktionismus die Treppen heruntergelaufen kam. Im Schlepptau befanden sich ihre vier besten Freunde, alle trugen bunte Che Guevara T-Shirts. Die Köpfe ihrer Freunde zierten modische Hitler-Jugend-Frisuren und dickrandige Brillen, unter denen sie modisch streng herausblickten – ja, auch Mimik unterliegt dem modischen Diktat.

Gisela versah mich überschwänglich mit einer Unzahl an Wangenbussis, die vier besten Freunde schlossen sich jauchzend an.„Mensch, willste mit auf die Demo?“, fragte sie in einer Lautstärke, irgendwo im Bereich zwischen Presslufthammer und Luftangriff. „Puh, ich bin gerade … es war ein langer Tag in der Arbeit … vielleicht beim nächsten Mal. Wogegen demonstriert ihr denn?“ „Ach, das ist so ne generelle Demo. Für alles, quasi. Wie ein Breitbandantibiotikum. Für Schwule und Lesben und für Kita-Plätze und gegen Gentrifizierung und Schwaben und all das.“
„Oh, ja, das ist dann natürlich … wichtig. Da solltet ihr zusehen, dass ihr keine Zeit verliert.“

Ich starrte wohl etwas zu lange auf die Che Guevara-T-Shirts, denn Gisela meinte plötzlich beifallheischend: „Schön, gell? Willste auch eines? Ich hab gleich n ganzen Schwung davon gemacht.“ „Du, kein Stress. Ich bin nicht so der Typ für diese Art von T-Shirt.“ „Wieso nicht? Kennste den denn nicht?“ Ich zog es vor, darauf nicht zu antworten. „Das ist doch der Che!“ Gisela trommelte sich erregt auf die Brust.„Und für was steht der?“, fragte ich scheinheilig und sah sie mit großen Augen an.

„Für was der steht, fragst du?“ Gisela musste lachen ob meines Unwissens. „Für Freiheit! Mensch, das ist Che Guevara! Aus Brasilien! … Nee, halt, der war aus Mexiko … Ist ja auch egal … Jedenfalls irgendwas mit Kokosnüssen. Das war so ein Revolutions-Typ. Der hat nicht immer alles so eng gesehen, weißt du? Der ist heute wieder voll im Trend. Das war vielleicht eine coole Socke, sag ich dir. Mensch, da könnten sich die ganzen spießigen Deutschen da überall“, sie deutete ausladend kreisförmig um sich herum, „gerne mal ne Scheibe von abschneiden. Der war halt so südländisch locker. Nicht so verkrampft. Ein echter Revoluzzer halt.“, zwinkerte sie mir zu. Doch im nächsten Moment verfinsterten sich ihre Gesichtszüge schlagartig und brüllte an mir vorbei in Richtung einer Radfahrerin, die bepackt mit Einkaufstüten auf dem Gehweg fuhr. „Hey! Das ist ein Gehweg, sie behinderte Kuh! Das ist hier verboten!“

Gisela spurtete aus dem Treppenhaus hinaus auf den Gehweg, die vier besten Freunde rannten eiligst hinterher. Die arme Frau sah sich aus heiterem Himmel mit einer Überzahl an Che Guevara-Fratzen konfrontiert und versteinerte aus Selbstschutz. Ich bestieg den Fahrstuhl. In was für einer Welt würden wir heute leben, wenn Che noch munter an der Macht wäre? Für was trat er damals ein? Für die erfolgreiche Errichtung eines Polizeistaates? Ja, schon, aber immerhin lässt sich im sonnigen Cha-Cha-Cha-Staat seit April 2008 für schlappe vier Monatsgehälter ein funktionstüchtiges Mobiltelefon kaufen! Steht Che nicht auch für die Errichtung von Arbeitslagern für Aids-Kranke, Homosexuelle und Andersdenkende? „Stimmt, aber vorher hat er immerhin eine melancholische Motorradreise gemacht“, würde meine Freundin Anna-Maria darauf antworten. Ist nicht inzwischen auch allgemein bekannt, dass Che tausende Revolutionsgegner, darunter auch Kinder und ehemalige Weggefährte ohne Prozess erbarmungslos hinrichten ließ? „Ja, zum Teufel, aber der Soundtrack zu „Die Reise des jungen Che“ ist wunderschön“, würde sie genervt abwiegeln.

Ist es nicht ebenfalls richtig, dass die Menschen in Nicaragua, Panama, der Dominikanischen Republik, Haiti und Bolivien Ches Revolution gnadenlos abgelehnt haben? Hatte er nicht auch versucht, Männern und Frauen vorzuschreiben, wie sie miteinander umzugehen haben? Wollte er nicht auch den Alkoholkonsum staatlich kontrollieren? Stand Che Guevara nicht inhaltlich für das Gegenteil von Freiheit? Und war es nicht letztendlich Ches größte Errungenschaft, dass sein Konterfei auf einem T-Shirt ganz gut aussieht? Aber von so ein paar Fakten werden sich die Applausjäger Gisela uns Anna-Maria schließlich nicht um ihre schöne Wohnzimmer-Revolution bringen lassen. Hach, was sind wir doch für Revoluzzer.

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Boris Grzésik / 06.09.2014

»Che«-T-Shirts lagen vor ein paar Jahren bei H&M aus, auch jemand aus meinem Bekanntenkreis trug eins. Der weiß im Gegensatz zu Anna-Maria und Gisela nicht so viele Klischees zum Che zu berichten, ihm gefiel einfach das Print, und für die Erlösung durch ein starken Führer wollte er damit auch nicht werben, wie mutmaßlich die meisten H&M-Kunden. Der Che-Kult ist mittlerweile ein zutiefst apolitischer, und genau diese blinde Nähe, die dann doch zu nichts führt, nicht einmal zur Einsicht, ist das Aufreizende. Sie wissen manchmal einfach nicht, was sie tragen oder tun. Es gehen auch Abiturientinnen zur Anti-AKW-Demo, müssen Mutti aber vorher noch kurz interviewen, was genau daran (an der Atomkraft) denn nun so schlimm sei. Totalitär ist nur das Braune, das macht die Welt übersichtlich und vermeidet Reflexionen, die nur im irdischen Paradies eine linke Tugend sein könnten. Es ist wahrscheinlich als besondere Leistung zu werten, sein Leben in der Gesellschaft besonders schrill überzeichneter Karikaturen zu verbringen, wie die Autoren es offenbar tun – oder ihre Schilderungen, fiktiv oder nicht, versalzen ihnen selbst kräftig die Suppe, denn der traurige Witz liegt doch eher in den realen, feinen Nuancen der Farbe Rot, mit denen – der Eindruck ist manchmal übermächtig – das gesamte urbane bürgerliche Spektrum linkssinnig bepinselt ist, und zwar auf der Oberfläche, nicht aber in Charakteren wie Anna-Maria und Gisela, die so glaubwürdig klingen wie ein Regierungsversprechen.

Wolfgang Herok / 05.09.2014

Ganz flotter Artikel, aber sowas sollte Ihnen nicht passieren: “...Steht Che nicht auch für die Errichtung von Arbeitslagern für Aids-Kranke, Homosexuelle und Andersdenkende?...” Che starb 1967, ...AIDS wurde erst 1981 als Krankheit diagnostiziert.

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