Samira El Ouassil und Dominic Boeer / 25.08.2014 / 16:05 / 3 / Seite ausdrucken

Sagen Sie jetzt nix! (Folge 1)

Mit rund 120 Talk-Formaten, also ungefähr 7200 Minuten Sendezeit, findet in unserer Glotze Woche für Woche eine sich gerne laut im Kreis drehende, politisch korrekte Terrassenparty statt. Stellen wir uns mal vor, was man an einem beliebigen Fernsehabend so zu sehen bekommt:

Gregor Gysi erklärt, warum wir im Westen eigentlich selbst schuld sind an der ganzen Misere und ruft irgendwas mit USA , Israel und Russland.
Das Publikum tobt.

Weitergezappt.

Veronica Ferres berichtet von ihrer harten Kindheit “zwischen Kartoffel- und Kohlendreck” und darüber, wie oft sie als junge Frau wegen ihrer Körpergröße von 1,78 gehänselt wurde.
Dann sagt sie Sätze wie “Wir müssen mit der Förderung unserer Kinder viel früher anfangen!”
Das Publikum tobt.

Weitergezappt.

Norbert Blüm ist bis auf die Kante seines Stuhles vorgerückt, schaut andächtig auf seine ausgebreiteten Arme und skandiert : “Einmal Opelaner, immer Opelaner!”
Das Publikum tobt.

Weitergezappt.

Richard David Precht erklärt uns, warum wir keine Egoisten sein sollten.
Das Publikum tobt.

Weitergezappt.

Sahra Wagenknecht schreit: “Gerechtigkeit!”
Das Publikum tobt.

Weitergezappt.

Eine blonde Frau im grünen Jackett fordert “ein Ende dieses verdammten Krieges” – und noch bevor das Publikum toben kann, lieber schnell den Fernseher ausschalten, ab ins Auto und zum nächsten McDonald´s. Im grellen Neonlicht, das einem stets den typischen McDonald’s-Wasserleichen-Look verpasst, passiert dann das Schlimmste, was einem nur zustoßen kann, wenn man den Burger bereits aus dem dünnen Papier geschält hat und in beiden Händen hält, um herzhaft reinzubeißen. Ich frage mich: Ist das Brötchen etwa mit Gluten?  Wie vom Blitz getroffen, lasse ich meinen Burger zurück ins dünne Papier fallen. Ich atme schneller, fühle mich krank, infiziert. Woher kommt es nur, dieses grausame Gefühl, nicht zu genügen, mit allem, was Spaß macht, gegen irgendein ungeschriebenes Sittenwächtergesetz zu verstoßen?

Es ist längst nicht mehr zu übersehen: Die Konsens-Lawine hat uns still und heimlich überrollt und nahezu jeden Winkel unseres Lebens besetzt. Wir haben den Mut, anzuecken, in die Vitrine gestellt und tragen unsere Übermoral wie eine zweite Haut. Es gibt eben kaum einen einfacheren Weg, Bewunderung, Schulterklopfen und Applaus zu ernten, als mit nachgeplapperten Wohlfühlthesen. Wenn wir unsere Lust am Diskurs und unseren Mut zur Konfrontation also komplett aufgeben, werden wir zu Menschen, die alles richtig machen, immer recht haben – und vor lauter Gutmenschentum absolut spaßfrei sind.

Unser Buch “Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg”, aus dem es auf achgut.com in den kommenden Tagen einige Auszüge geben wird, macht deshalb Mut zum Fehltritt und erzählt von den schönsten Fettnäpfchen und Moralverfehlungen, mit denen man sich das Leben schöner machen kann, und verrät, warum wir unseren Mitmenschen einen großen Gefallen tun, wenn wir endlich damit aufhören, so gut sein zu wollen.

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Leserpost

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peter luetgendorf / 27.08.2014

Sehr geehrte Frau Küppers, es ist nicht wirklich erstaunlich, daß man sich von dieser kleinen Bevölkerungsgruppe belästigt fühlt, zumal diese kleine Bevölkerungsgruppe sich im Besitz der alleinigen Wahrheit glaubt Erläutern Sie bitte die philosophisch begründete Ethik, die den Verzicht auf Fleisch und Fisch erläutert. Erläutern Sie bitte den Begriff “Billigfleisch”. Wie sind generell die Preisunterschiede zwischen den einzelnen Fleischsorten? Meines Wissens nach gibt es in diesem Land keine Schlachtmethode bei der “bei vollem Bewußtsein” Tiere verbrüht, aufgeschnitten und deren Gliedmaßen amputiert werden.” Ich glaube, Sie verwechseln das mit anderen Ländern. Wenn sich jetzt auch noch den Veganern sagen, daß sie eine Untergruppe der Vegetarier darstellen, haben Sie ja jetzt alle Irgendwie-esser gegen sich aufgebracht. Und wenn man Vegetarier oder Veganer ist, kann man jetzt wirklich nicht Rücksicht auf die Haustiere nehmen. Wenn sie die Erweckung ihrer Frauchen oder Herrchen nicht nachvollziehen können, sind sie selbst schuld, wenn sie sterben. Ich sage nur “Morphische Resonanz”. Haben Sie einen Überblick darüber, wie die Verteilung auf Vegetarier und Veganer gemäß den Ausbildungsabschlüssen ist? Was verstehen Sie denn unter “Altherren”. Alte doofe Männer? Ich persönlich, auch alt, halte das immer anders-während ich mir ein Buch kaufe, schlage ich mir immer grölend auf die Schenkel. Viele Grüße

Karl Helger / 27.08.2014

Frau Küppers, ich kenne persönlich Metzger/Schlachter und die Behauptung, die würden in Massen unbetäubt Glieder amputieren ist eine Verleumdung. Die Tiere kommen - in der Gruppe - in eine Kammer, in der sie betäubt werden und/oder nach der sie mit einem Bolzenschuss in den Nacken einen unverzüglichen und leidenslosen Tod erleben. Es ist widerlich, wie immer behauptet wird, unsere Bauern und Metzger seien in der Regel Sadisten, die gerne Tiere quälen. Ich behaupt nicht, daß es nicht Mängel in den System geben kann - ich bin aber aus Gesprächen und Erlebnissen in Bauernhöfen und mit Fachleuten überzeugt, dass es sich um Minderheiten handelt. Außer beim halal-Schlachten natürlich, da ist die Betäubung verboten. Aber das ist ein anderes Thema.

Felicitas Küppers / 26.08.2014

Es ist erstaunlich, dass sich Menschen, zu denen offensichtlich auch der Verfasser dieses Artikels gehört, von einer Bevölkerungsgruppe, die aus ethischen Gründen auf den Verzehr von Fleisch und Fisch verzichtet, einer Bevölkerungsgruppe, deren prozentualer gesellschaftlicher Anteil gerade mal im einstelligen Bereich liegt,  derart provoziert fühlen, dass sie nur mit einer Abwehrhaltung ihrer eigenen Verunsicherung entgegen wirken können. Ist das eigene schlechte Gewissen ob des Verzehrs von Billigfleisch so groß? Offenbar ja, denn das Differenzierungsvermögen des Autors beeindruckt schwer. So erklärt er den Verzehr von Fleisch zum Hauptkritikpunkt und nicht das, worum es eigentlich geht, nämlich um den Verzehr von BILLIGfleisch, also dem Fleisch, das von Tieren aus der Massentierhaltung und -schlachtung stammt, für das den Tieren entsetzliches Leid zugefügt wird, für das sie unter grausamsten Bedingungen großgezogen werden und bei der Schlachtung im Akkord oftmals bei vollem Bewusstsein verbrüht, aufgeschnitten und ihnen Gliedmaßen amputiert werden. Anschließend wirft der Autor munter Vegetarier und so genannte Gutmenschen in einen Topf, obwohl diese sich überhaupt nicht in einen Topf werfen lassen und packt dann auch noch, weil es gerade so schön ist, die kleine Gruppe unter den Vegetariern, die sich aus Veganern zusammensetzt, hinzu, eine Gruppe von Menschen, für die der Verzicht auf tierische Produkte dazu dient, sich der Zugehörigkeit zu einer als elitär empfundenen Gruppe zu vergewissern. Bei den Angehörigen dieser Gruppe spielen ethische Gründe allenfalls eine untergeordnete Rolle, da diese überaus gern auch ihre Hunde und Katzen vegan oder vegetarisch ernähren, was insbesondere für die Katzen ein klares Todesurteil ist, da diese im Gegensatz zu uns Menschen reine Carnivoren sind.  Was nun die Gruppe der Vegetarier, die aus ethischen Gründen Fleisch und Fisch von ihrem Speiseplan gestrichen haben, betrifft, diese ist in Bezug auf Schichtzugehörigkeit, Bildungsniveau und politische Orientierung viel zu heterogen, als dass hier Generalisierungen möglich und zulässig sind. Die so genannten Gutmenschen wiederum gehören zwar zu der Hauptklientel der Bioläden, sind allerdings in den seltensten Fällen Vegetarier. Ihnen geht es bei den Einkäufen in den Bioläden vorrangig um Sehen und Gesehenwerden. So greifen sie zwar mit spitzen Fingern Tomaten und Paprikaschoten aus dem Gemüseregal und schlürfen ihren Lindenblütentee in der Sitzecke des Bioladens, Eier und Milchprodukte mit Bioland- oder Demetersiegel, also den Bio-Siegeln, bei denen die strengsten Auflagen bei der Tierhaltung erfüllt werden müssen, kaufen sie jedoch in Regel nicht, da ihnen diese Produkte schlichtweg zu teuer sind. Und das Fleisch kaufen sie ohnehin nicht selten still und heimlich im Supermarkt. Von Tieren aus der Massentierhaltung, versteht sich. Insofern ist dieser Artikel nicht nur auffallend undifferenziert, man möchte fast sagen, platt, vor allem richtet er sich wohl eher an die Altherren, die sich einmal wöchentlich am Stammtisch treffen. Die hätten auch tatsächlich ihre helle Freude daran und würden sich grölend auf die Schenkel klopfen. Allerdings wage ich zu bezweifeln, dass diese Herren diesen Bericht lesen, geschweige denn, das Buch kaufen, da sich ihr Lesevergnügen dann doch eher auf die Lektüre der Zeitung mit den großen Buchstaben beschränken dürfte.

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