Samira El Ouassil und Dominic Boeer / 26.08.2014 / 15:22 / 6 / Seite ausdrucken

Sagen sie jetzt nix (Folge 2)

In Mathe war ich immer schlecht

“Ach, in Mathe war ich immer schlecht!” Dabei hat er so viel Stolz in der Stimme, wie jemand, der im alten Rom den Einzug der Gladiatoren ankündigt. Sein strahlendes Gesicht beweist, dass er genau weiß, wie viel Renommee ihm dieses “Outing” einbringt. In Mathe schlecht gewesen zu sein ist ein scheinbarer Makel, der sich, noch während er geäußert wird, in eine der gängigsten Formen der modernen Selbstbeweihräucherung verwandelt.

Die Botschaft ist schließlich eindeutig: Er war als Fünftklässler schon die coolste Sau unter der Sonne. Das stupide Aneinanderreihen von kalten Zahlen war seine Sache nicht. Vielmehr war er damals schon ein Anpacker, ein Macher. Während sich andere auf dem Pausenhof regelmäßig an ihrer Vanillemilch verschluckten, hat er sich lässig eine Selbstgedrehte angesteckt. Wer eine Eins in Mathe hatte, wurde bekanntermaßen bis zum Abitur von Mutti eingekleidet, Typen wie er hingegen waren bekannt für ihre rebellischen Frisurenwechsel und hatten bereits mit zwölf zuverlässigen Bartwuchs. Er kam nicht zu spät zum Unterricht, weil er noch einen Termin beim Kieferorthopäden hatte, sondern weil er der Einzige war, der den Jetta seines Kumpels ordentlich einparken konnte. Er war nicht nur Torschützenkönig, sondern konnte auch noch tanzen wie Magic Mike, singen wie Elvis Presley und war mit seinen Witzen der Star jeder Party. Er bekam natürlich auch immer die heißesten Frauen ab. Denn jeder weiß, dass Jungen, die in Mathe gut waren, zwangsläufig auch bei den Mädchen landeten, die in Mathe gut waren.

Und vor mir steht jemand, dessen “Ich war in Mathe immer schlecht” mit so viel Kraft vorgetragen wurde, dass jedem in diesem Berliner Treppenhaus sofort klar sein musste, dass dieser Mann bereits mit dreizehn seinen ersten grandiosen Sex hatte. Höchstwahrscheinlich mit der Mathelehrerin. Das Gefühl, im Sportunterricht als Letzter in die Mannschaft gewählt zu werden, ist ihm vollkommen fremd. Schließlich war er der Spielführer, ein echter Leader, der Typen wie mich noch nach der dramatisch übergewichtigen Nicki als Letzten in die Mannschaft wählte.

Oft folgt auf die Mathe-Loser-Prahlerei der Zusatz: “Sprachen waren eher mein Ding.” Aber ein Blick auf die Post in seinen Händen verrät mir, dass Party-Papa von oben das längst nicht mehr nötig hat: haufenweise exotische Postkarten von Freunden in aller Welt. Menschen, die gut in Mathe waren, bekommen Rechnungen, Ikea-Kataloge, Sparpläne und Briefe, auf denen in Leuchtschrift steht: Sie sind ein Gewinner!
Verständlicherweise ist es meinem Gegenüber besonders wichtig zu betonen, dass er in Mathe nicht “meistens” oder “hin und wieder”, sondern “immer” schlecht war. “Immer”, um nun wirklich gar keinen Zweifel daran zuzulassen, dass es keinen Tag gegeben hat, an dem er versehentlich uncool genug war, um in Mathe gut sein zu können. Die Welt braucht eben keine ewig ihre Brille putzenden Textaufgaben-Fetischisten, sondern Kerle wie ihn. Oder wünscht man sich einen Mathe-Einser, wenn man nach einem Unfall hilflos im brennenden Auto festklemmt? Oder gibt es auf dieser Welt auch nur ein einziges Kind, das jemals auf die Idee käme, damit anzugeben, dass sein Vater früher in Mathe eine Eins hatte? Oder ist in der U-Bahn jemals ein Held mutig mit den Worten “Lass die Frau los, ich hatte eine Eins in Mathe” eingeschritten?

Um es auf den Punkt zu bringen: Die einen werden von allen bewundert und respektiert, außer von ihrem Mathelehrer. Die anderen werden von niemandem respektiert, außer von ihrem Mathelehrer, der im Übrigen selbiges Schicksal teilt. Ich bekomme von ihm einen schwungvollen Klaps auf den Oberarm, wie er wirklich nur von einem kommen konnte, der in Mathe immer schlecht war.

Rasant dreht er sich um und hechtet fröhlich pfeifend, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch. Logisch. Nur Mathe-Einser nehmen den Fahrstuhl.

Auszug aus dem neuen Buch von Samira El Ouassil und Dominic Boeer Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg”.

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Leserpost

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Peter Hannebach / 27.08.2014

Bei mir waren einfach alle Mathelehrer schlecht. Nachdem mir 10 Jahre lang klar gemacht wurde, dass ich eine Niete sei habe ich es am Ende selbst geglaubt und mein Schicksal entgegen- und angenommen. Nach einem durchgewürgten 3,8er Abi und 5 Jahren auf der Suche nach etwas, wofür man bei gutem Auskommen kein “Mathe-Gen” braucht, hatte ich schließlich die Erkenntnis, dass ich zwar absolut kein Mathe kann, seltsamerweise aber ziemlich gut im Optimieren bin. So gut, dass es 15 Jahre nach meiner schriftlichen Versagerbestätigung in den Fächern Informatik, BWL und Mathematik zum höchst möglichen Bildungsabschluss gereicht hat (wohlgemerkt an sog. global bekannten “Eliteuniversitäten”). Auf die Konfrontation mit meinen alten Lehrern, wie so eine fatale Fehleinschätzung zustande kommen konnte, kam die lapidare Antwort “Naja, das weiß man eben nie und du warst ja auch faul und ein Chaot”. Frage: Wozu dann Schule, wozu Lehrer? PS: Die Herren (und eine Dame) genießen heute ihren Ruhestand inklusive üppiger Pension. Ich will nicht wissen, wie vielen Leuten sie die Zukunft kaputt gemacht haben.

Christian Weyland / 27.08.2014

Bislang macht das hier beworbene Buch auf mich den Eindruck “Feuchtgebiete ohne Ekel und Erotik reduziert um das wenige Lustige”. Ein Buch, das eigentlich keiner braucht und für das ich persönlich nur dann einen knappen Zehner ausgeben würde, wenn ich meinem Geld böse wäre. Sorry, wenn ich meine Meinung so hart formuliere, aber die platte Aneinanderreihung von Klischees und lahmen Provokationsversuchen empfinde ich echt nicht als großen Wurf. Aber dennoch wünsche ich den “Autoren” natürlich viel Erfolg. Immerhin versucht haben Sie es ja ;-)

Boris Grzésik / 27.08.2014

Das stimmt nicht so richtig, was Sie da schreiben ... Ich war in Mathe auch immer schlecht. Sogar in der Grundschule hatte ich da eine einsame Drei zwischen all den Zweien und Einsen. Ich war ich Mathe auch nach dem Wechsel von einem öden, reaktionären Schleswig-Holsteinischen auf ein freundliches, tiefrotes Hamburger Gymnasium noch schlecht. Nichts zu machen. Sprachen waren auch eher »mein Ding«, da konnte man intuitiver vorgehen und improvisieren, nur nicht in Latein, das war ein wenig wie Mathe. Ich parkte keinen Jetta, dafür einen coolen dunkelgrünen MB 108 auf dem Schulparkplatz ein, weswegen ich aber nicht zu spät zum Unterricht kam; notfalls fand er eben auf meinen Beschluss hin ohne mich statt, denn mit 18 kann man sich ja selbst die Entschuldigungen schreiben. Es war die Zeit der Pijama-Parties, unter deren uniformen Bedingungen nicht feststellbar war, ob die Mathe-Cracks sich mit den weniger schicken Mädels begnügen mussten. Ich denke, das war nicht so. Überhaupt genossen die Mathe-LK-Leute durchaus besonderen Respekt mit ihrer über jedes Geschehen erhabenen, nachweisbar vorhandenen mathematisch-naturwissenschaftlichen Intelligenz. Niemand bildete sich auf sein Mathe-Können oder -Nichtkönnen etwas ein. Wir im Kunst-LK galten als nicht ganz so schlau, als ein bisschen faul, sahen dafür aber, im weichen, verklärenden Licht der Rückschau, besser aus. Und dann gab es noch die korrekt frisierten Alukoffer-Träger, die, sollte die Welt eine innere Ordnung besitzen, später ausnahmslos BWL studiert haben. Das war aber nicht so wichtig. Wichtig waren nur die großen Pausen, in denen auf dem Schulhof geraucht wurde. Auch von den Sie-wissen-schon ... Aus allen ist mehr oder weniger viel geworden, ein paar vielsprechende Anarchisten sind jetzt Ärzte, die Punks sitzen, nunmehr ordentlich gekleidet, in Behörden-, aber auch Werbebüros, die meisten Unauffälligen fallen auch heute noch kaum auf, was ihnen jeder gönnt. Postkarten aus aller Welt bekommen die wenigsten, ob nun in Mathe schlecht oder gut gewesen – sie haben Facebook-Accounts, mit denen sie Kontakt zu dem halten, was da »Freunde« heißt. Irgendwann nehmen sie alle den Fahrstuhl.

Gerhard Keller / 26.08.2014

Es gibt noch eine andere Variante: “Ich habe in Mathe alles verstanden, mich aber immer verrechnet.”

Johannes Fritz / 26.08.2014

Ein wenig undifferenziert. Es gibt wirklich Leute, die in Mathe eher matt waren (obwohl es schon geile Sachen gibt, wie die Stochastik), in Sprachen gut, mit dreizehn noch keinen grandiosen Sex hatten und zuverlässig als letzte in die Mannschaft gewählt wurden (Abwehr oder Torwart). Und die bescheiden wenige Tore geschossen haben. Ach ja, und ich wurde auch peinlich lang von Mutti eingekleidet :)

Matthias Strickling / 26.08.2014

Uncool nur, daß es genau diese Leute sind, welche in den Industrienationen dafür sorgen, daß es uns allen materiell gut geht. Oder möchte jemand über eine Brücke fahren, die der Mathe-Loser konstruiert hat? Oder in einem Aufzug? Möchte jmd. ein solches Auto besitzen? Oder ein solches Haus bewohnen? Oder Arzneimittel nehmen, die er gemixt hat? Oder ihm sich bei einer Zahnbehandlung oder Operation anvertrauen? oder oder oder…. ich finde Mathe cool. Frage mich, was Schüler anstatt mehr Mathe auf dem Stundenplan zu haben, mit Fächern wie Pädagogik, Philosophie oder Sozialwissenschaften sollen- Keine Frage , diese Fächer haben sicher ihre Berechtigung. Meiner Meinung allerdings nicht auf dem Stundenplan eines Schülers. Hier sind eher Basiskenntnisse in den Kulturtechniken gefragt.

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