Richard Wagner / 13.10.2008 / 08:39 / 0 / Seite ausdrucken

Ranicki ist Rostropowitsch

Der auf der Gala des diesjährigen Deutschen Fernsehpreises zum besten Schauspieler gekürte Misel Maticevic widmete die Auszeichnung seiner Mutter, die zu Tränen gerührt im Saal saß. „Glückwunsch zu Ihrem Sohn“, rief Moderator Gottschalk daraufhin und fügte mit Blick auf dessen Outfit hinzu: „Bringen Sie ihm noch einen Krawattenknoten bei, dann ist es perfekt.“

Diesen Krawattenknoten beherrscht der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki zwar seit eh und je, aber er ist bei ihm kein Hinderungsgrund für schlechtes Benehmen, vielmehr gilt es als Indiz dafür, dass beides mühelos zusammengeht, zumal im postachtundsechziger Deutschland.

Reich-Ranicki, heißt es, habe für einen Eklat beim Deutschen Fernsehpreis gesorgt. Worin bestand nun dieser Eklat? Zuerst einmal erklärte er umständlich, er könne den Preis nicht annehmen, wobei nicht ganz klar wurde, ob wegen des niedrigen Niveaus der Veranstaltung oder des Mediums Fernsehen insgesamt.

Als Gottschalk einen Vorschlag zur Güte machte, so, als wäre nun die große Koalition auch im Fernsehen zum Zuge gekommen, und eine Diskussion über das Thema Niveau vorschlug, deklarierte der Altkritiker sein Einverständnis, aber, wie er betonte, mit Skepsis.

Er wäre nicht Ranicki, hätte er nicht eine zur Situation passende Anekdote parat gehabt. Sich und Gottschalk mit Rostropowitsch und Karajan vergleichend, bot er diesem das Du an. Der Schlussapplaus für Ranicki war nicht kürzer und auch nicht leiser als der bei seiner Begrüßung auf der Bühne.

Der Auftritt von Ranicki bei der Gala des deutschen Fernsehpreises war kein Eklat, es war vielmehr eine Sternstunde der Spaßgesellschaft. Seine Kritik am Fernsehen aber hörte sich so an, als würde er als Literaturkritiker Vicky Baum zum Vorwurf machen, sie hätte nicht „Das Schloss“ geschrieben. Vicky Baum hat „Menschen im Hotel“ geschrieben, und dagegen ist gar nichts einzuwenden.

Im übrigen ist niemand verpflichtet fernzusehen, auch Ranicki nicht. Und einen Preis lehnt man grundsätzlich vor der Verleihung ab, es sei denn, man setzt auf den Auftritt. Siehe oben.

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