Der bekannteste Deutsche aller Zeiten ist zweifellos Adolf Hitler, obwohl er Österreicher war. Bekannter als Goethe, Schiller, Gutenberg, Dürer, Bismarck, Rudolf Diesel, Gottlieb Daimler, Otto Lilienthal, Melitta Bentz, Carl Benz, Wilhelm Conrad Röntgen, Richard Wagner, Max Schmeling und Uwe Seeler zusammen. Warum das so ist, darüber streiten sich die Historiker seit über sechzig Jahren — und kommen dabei zum immer gleichen Ergebnis: Hitler war die Verkörperung des Bösen, der personifizierte Anti-Mensch, Anti-Christ, Anti-Was-immer-Sie-haben-möchten.
Es blieb Charlie Chaplin vorbehalten, Hitler als das zu zeigen, was er wirklich war — und das schon im Jahre 1940: die Verkörperung des Lächerlichen. Statt sich zu fragen, warum sie Hitler gefolgt sind, müssten sich die Deutschen fragen, warum sie nicht vor Lachen ohnmächtig geworden sind, als der Führer seine Reden hielt. Nicht nur rückblickend erscheint Hitler als eine Witzfigur, er war es schon zu seinen Amts- und Lebzeiten.
Und das ist es, womit die Deutschen nicht klarkommen. Sie sind auf einen Lachsack reingefallen, ein impotentes Würstchen mit Blähungen. Das hat noch kein Volk geschafft, weder die Spanier noch die Italiener und schon gar nicht die Russen, deren Oberschurke seine Herrschaft mit Stil zu inszenieren verstand.
Deswegen muss Hitler dämonisiert werden. Denn von einem Dämon verführt zu werden, ist weniger peinlich, als einem drittklassigen Komiker nachzulaufen, der am Ende testamentarisch verfügt, sein Publikum sei es nicht wert gewesen, von ihm verarscht zu werden.
Und deswegen schrecken die Deutschen immer wieder auf, wenn der Versuch unternommen wird, Hitler mit Mitteln der Unterhaltung und der Satire beizukommen. Chaplins «Grosser Diktator» und «Sein oder Nichtsein» von Lubitsch sind inzwischen zwar Klassiker, werden aber immer noch mit kommentierenden Fussnoten versehen, damit sie nicht missverstanden werden. Art Spiegelmans KZ-Comic «Maus» hatte einen schweren Start in Deutschland, bei dem einige jüdische Kultur-Hebammen nachhelfen mussten. Der deutsch-schweizerische Regisseur Dani Levy traute sich zwar, die «wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler» mit dem Komiker Helge Schneider in der Hauptrolle zu drehen, änderte dann aber die Rahmenhandlung, um den Zuschauern «Gewissenssicherheit zu geben», soll heissen, er nahm seinem eigenen Film den Biss. Und um ganz sicherzugehen, liess er sich vom Zentralrat der Juden das Okay geben.
Ab sofort könnten solche Vorsichtsmassnahmen der Vergangenheit angehören. Letzten Sonntag hatte im Berliner Admiralspalast das Mel-Brooks-Musical «The Producers – Frühling für Hitler» seine Deutschlandpremiere, die schönste, gemeinste, radikalste und schwulste Satire auf Hitler und das Dritte Reich, die je geschrieben und produziert wurde. Und diesmal war alles anders: Kein Bedenkenträger meldete sich zu Wort, niemand fand, für eine solche Vorstellung wäre es «noch zu früh», es gab keine Besserwisser in den Feuilletons, die vom Besuch des Stückes abrieten. Mit einer Ausnahme: Der Deutsche Werberat bat höflich um einen Verzicht auf die Werbebanner, auf denen statt eines Hakenkreuzes eine Brezel im weissen Kreis auf rotem Feld gezeigt wurde, gab dann aber auf, nachdem er belehrt wurde, dass es sich um eine «ikonografische» Anspielung handeln würde. Und eine Reporterin der ARD wollte vor der Vorstellung wissen, ob es angemessen wäre, so ein Stück an einem Ort aufzuführen, den schon Operettenfreund Hitler besucht hatte. Aber auch diese Frage war wohl nicht ganz ernst gemeint.
Das Publikum jedenfalls war begeistert, es tobte schon während der Vorstellung und rastete danach vollkommen aus. Zu Recht, denn die Schauspieler hatten Onkel Adi und seine Gang an die Wand gespielt.
Sechsundsiebzig Jahre nach dem Beginn des Dritten Reiches und vierundsechzig Jahre nach dessen Ende darf also über Hitler gelacht werden. Es ist kein therapeutisches Lachen, das die Deutschen mit ihrer Geschichte versöhnt, es ist das Gelächter, das seit 1933 darauf wartet, sich zu artikulieren, die späte Rache der Geschichte.
Es hat lange gedauert, und es war nicht immer einfach. Ab sofort kann der Prozess der Entnazifizierung als erfolgreich abgeschlossen gelten.
Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 21/09