Wolfgang Röhl / 28.06.2012 / 08:02 / 0 / Seite ausdrucken

Qualitätsjournalismus. Tools for fools

Ein Phantom geht um in Mediendeutschland. Es heißt „Qualitätsjournalismus“. Alle beschwören ihn jetzt, diesen sagenhaften Qualitätsjournalismus. Ulkigerweise vor allem jene, die ihn längst für sich gepachtet zu haben glauben. In einer Diskussion mit seinem „SZ“-Kollegen Kurt Kister definierte „Spiegel“-Chef Georg Mascolo das Phantom wie folgt (wiedergegeben vom Branchendienst „Horizont“): „Dieser entstehe nur dann, wenn ein Verlag zuerst die journalistischen Fragen stellt und beantwortet - und erst dann die kaufmännischen, sagt Mascolo; Journalismus dürfe niemals zuerst ein Geschäft sein: Wenn man das beherzigt, ist es meist auch ein gutes Geschäft.“ Da schmunzelt der Leser. Vor allem, wenn er erfährt, dass das Gespräch „im exklusiven Kreis wichtiger Anzeigenkunden“ stattgefunden habe: „Rund 60 handverlesene Gäste – die meisten von werbungtreibenden Unternehmen, außerdem ein paar Agenturleute.“

Doch warum wird er seit einigen Jahren überhaupt so heftig angemahnt, dieser ominöse Qualitätsjournalismus, offenbar ein Darling besonders der Werbetreibenden? War alles, was früher gedruckt und gesendet wurde, demnach Schundjournalismus? Oder jedenfalls alles, was außerhalb von Spiegel und SZ erschienen ist? Wer etwas länger in der Branche arbeitet, wird das möglicherweise verneinen. Es gab, zumindest seit Mitte der 1960er Jahre, reihenweise fabelhafte Reportagen, gerichtsfeste Enthüller, luzide Meinungsartikel. Nicht mehr und nicht weniger als heute. Ebenso gab es Flops, Enten, Türken. Es gab die Hitler-Tagebücher (Stern), das gefälschte Waldheim-Telegramm (Spiegel) und, und.

Was sich geändert hat, ist hauptsächlich die Schnelligkeit der Nachrichtenübermittlung, die Qualität von gedruckten und gesendeten Bildern und die Aufmachung der Medien. Ein Fernsehstudio von vor 40 Jahren wirkt heute nur komisch. Bei Tageszeitungen und Wochenschriften haben Grafiker die Blätter bis zur Unkenntlichkeit aufgerüscht, oft auf Kosten der Textlängen. Auf die Qualität der Nachrichten, der Debatten in den Politikteilen oder der Feuilletons hatte die Kosmetik selbstredend keinen Einfluss. Viel Blabla, manchmal kluge Analysen, nichts hat sich geändert. Die literarischen Polemiken - ein zu Unrecht in Verschiss geratenes Genre, übrigens – waren in den Zwanziger und frühen Dreißigern des vergangenen Jahrhunderts sogar leidenschaftlicher und besser formuliert als heutzutage. Man kann das beleibe nicht nur bei Karl Kraus nachlesen.

Nochmals, warum das Gedöns um Qualitätsjournalismus? Es geht um die digitalen Medien, welche die etablierten Presseorgane bedrohen, ihnen Auflagen und Anzeigenerlöse wegnehmen. Tageszeitungen sind Schnee von gestern, wenn sie am Kiosk liegen. Selbst Radio- und Fernsehsender kommen kaum mit, wenn etwas Aktuelles passiert – online ist noch fixer als TV-Nachrichten. Und warum den Spiegel kaufen, wenn es Spiegel online gratis gibt? Die Skandale und Skandälchen laufen den traditionellen Medien immer öfter weg in Richtung Internet. Außer, man hat etwas wirklich exklusiv. Aber exklusiv ist gemäß einem Branchenscherz meist nur die Falschmeldung

Bleiben „weiche“, gefühlvolle Titelgeschichten, wie sie auch der Spiegel immer öfter bringt. Doch auch damit stürzt die Auflage nicht selten krachend ab. Was die in ihren Schnatterzirkeln eingeigelten Redakteure für gesellschaftliches Grundrauschen halten, interessiert die Leser oft nicht die Bohne. Trends setzt im Mediensupermarkt keiner mehr. Undenkbar, dass man mit einer „Midlife Crisis“ – ein an den Haaren herbei gezogenes, aus den USA abgekupfertes Psychokonstrukt – die Bundesrepublik noch heute jahrelang belabern könnte, wie es dem Spiegel 1976 gelang.

Die Idee, einen inhaltlich völlig undefinierten Qualitätsjournalismus zu beschwören, um sich auf diese Weise von konkurrierenden digitalen Medien abzugrenzen, hat daher etwas Verführerisches. Verlage mit Kapital investieren seit einiger Zeit erheblich in Recherche. Überall breiten sich Investigativ-Pools und Recherchiernetzwerke aus, werden junge Journalisten darin geschult, die richtigen Tools für das Ausbuddeln womöglich auflagenträchtiger Skandale zu benutzen. Klingt gut. Gab es bisher so nicht. Für Enthüllungen waren meist die üblichen Verdächtiger zuständig, Wallraff, Leyendecker & Co. Nun soll sich der Nachwuchs mal ein paar Kerben in die Coltschalen schnitzen. Wie gesagt – prima Idee.

Warum davon trotzdem nicht viel zu erwarten ist? Weil es auf die Fragen ankommt, die einer stellt. Dreiviertel aller Journalisten, die in die Medien drängen oder schon ein Weilchen in ihnen wirken - je nach Befragung etwas mehr oder weniger – sind stolze Besitzer eines zartgrünen, dunkelgrünen, rötlichen oder sogar tiefroten Weltbildes. Wer aber mit ideologischem Tunnelblick antritt, den Planeten zu verbessern, wie soll der auf anderes kommen als auf die sattsam bekannte Lieder? Tools hin, Tools her.

Hajo Friedrichs berühmtes Postulat: Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache, geht vielen Journalisten sowieso am Allerwertesten vorbei. Ein Teil der Zunft besteht aus Leuten, die ebenso gut auf evangelischen Kirchentagen predigen könnten. Missionare, die im Glauben fest ihre politische Linie verfolgen.

Paradebeispiel: Die Energiewende der Kanzlerin, obschon für jeden halbwegs wachen, kritischen Geist von Anfang an Murxs, läuft in vielen deutschen Redaktionsstuben unter der Agenda: Augen zu und durch. Der Atomausstieg steht für Redakteure, die bereits als Kinder von ihren Eltern auf Anti-AKW-Demos mitgeschleppt wurden, vollkommen außer Frage. Physik, Ökonomie oder auch nur ein bisschen gesunder Menschenverstand – alles wie ausgeknipst, wenn es um dieses Thema geht. Wer aber den Wald vor Bäumen nicht sieht, weil er ihn nicht sehen will, dem helfen auch keine Recherchierkurse.

Für den Herbst, wenn die Strompreise erneut steigen werden und dies auch chronisch Gutwillige rebellisch machen wird, bereiten manche Medien schon jetzt abwiegelnden Sendungen und Titelgeschichten vor. In denen erklärt werden wird, dass Stromkonzerne und industrielle Verbraucher – letztere bekommen Mengenrabatt beim Strom – Schuld daran trügen, dass deutsche Haushalte immer mehr abgezockt werden.

Oh nein, nicht die vielen Milliarden, die der ökostrom-industrielle Komplex verschlingt, sind Schuld am teuren Saft, dessen Preis in Europa nur das Windradparadies Dänemark überbietet. Es sind, wie immer, die finsteren Mächte des Kapitals. Weshalb der Strompreis über viele Jahre einigermaßen im Rahmen blieb, bis die Ökostromsubventionierung durch das EEG eingeführt wurde, wird uns von findigen Redakteuren sicher clever erklärt werden. Da rauchen schon jetzt die Birnen. Tipp: die richtigen Tools benutzen! Einfach auf Greenpeace online gehen.

Man darf sicher sein: auch die überall im ländlichen Raum unübersehbaren ökologischen Debakel, die der staatlich subventionierte Biogas-Wahn anrichtet – großflächige Vermaisung, Gewässervergiftung, Artensterben, Hofsterben, all dies für eine lächerliche Energieausbeute – sie werden von den Qualitätsjournalismus-Azubis tapfer kleingeredet werden. Die ungeheuerliche Verschandelung von Kulturlandschaften durch immer mehr Windrad-Monster bis zu 180 Meter Höhe ist deren Thema sowieso noch nie gewesen.

Weshalb mir der Qualitätsjournalismus herzlich wurscht ist.

PS: Was der bis heute viel zitierte Qualitätsjournalist Hajo Friedrichs unter einer „guten Sache“ verstand, wäre vielleicht auch mal kritisch zu hinterfragen.

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