Der Hessische Kulturpreis hat seine friedens- und toleranzfördernden Ziele für dieses Jahr schon jetzt erreicht. Er muß gar nicht mehr wie geplant im Juli feierlich verliehen werden, und wahrscheinlich wird er das auch nicht. Denn die Peinlichkeiten und Verletzungen sind einfach zu groß: Zwei christliche Kirchenfunktionäre nahmen Anstoß an einem eleganten und einfühlungsreichen Feuilletonartikel eines Muslims, der seine Probleme mit der Kreuzestheologie im Zusammenhang mit einer Kunstbetrachtung in einer römischen Basilika zur Sprache brachte.
Diese Sprache haben die beiden Oberchristen offensichtlich nicht verstanden; sie lasen nur den Satz: „Kreuzen gegenüber bin ich prinzipiell negativ eingestellt.“ Dann erklärten sie, auf den Hessischen Kulturpreis verzichten zu wollen, wenn ihn auch jener Muslim erhalte, woraufhin das Kuratorium des Kulturpreises nicht etwa nach zwei neuen christlichen Preisträgern Ausschau hielt, sondern in einer sonderbaren Volte dem Muslim den Preis „aberkannte“, wie es so schön heißt, als hätte Navid Kermani etwas ausgefressen.
Peinlich ist das Verhalten der beiden Oberchristen, von denen einer allen Ernstes das Kuratorium aufforderte, Kermani aufzufordern, irgendwelche besänftigenden Erklärungen über seinen Feuilletonartikel abzugeben, während es doch jederzeit möglich gewesen wäre, wenn denn ein ehrliches Interesse am klärenden Gespräch bestanden hätte, Kermani einfach anzurufen. Es ist sogar so peinlich, daß es schon wieder lustig ist: eine „Staatsposse“ nannte Bundestagspräsident Lammert das Ganze – und zu recht.
Und genau in dieser religiösen Hochkomik liegt der friedens- und toleranzfördernde Aspekt dieser Affäre. Denn bittesehr: wann sind schon höchstrangige Vertreter der römisch-katholischen sowie der evangelisch-lutherischen Kirche in einer nicht etwa karitativen oder politischen, sondern strikt theologischen Angelegenheit derart einmütig gewesen? Es geht ja immerhin um nichts Geringeres als den harten Kern des christlichen Glaubens, nämlich die Vorstellung des sich am Kreuz opfernden Gottessohns.
Ob Kreuz oder nicht – für solche Kern-Überzeugungen wurden bisher und werden immer noch Kriege geführt, Menschen verfolgt, gefoltert und getötet. In Hessen aber reduziert sich diese ungeheure Wucht der Religiosität zu der Pennäler-Frage, wer neben wem sitzen oder bei der Preisvergabe auf der Bühne lieber nicht sitzen möchte. Das ist doch, im westgeschichtlichen Maßstab betrachtet, ein beglückender Zivilisationsfortschritt!
Die Verwalter des Hessischen Kulturpreises aber hätten sich den ganzen Eklat ersparen können, wenn sie nur mit dem göttlichen Wesen der Zeit vertrauter wären. Statt alle vier Religionsvertreter auf einmal auszuzeichnen, hätte es genügt, jedes Jahr einen von ihnen zu ehren. Kein Preisträger wirft auf seine Vorgänger solch einen mäkeligen Blick, sonst könnten überhaupt keine Preise mehr vergeben werden. Das wäre also ein Vorschlag zur Güte: Verteilt die vier Mann bis zum Jahr 2012! Wenn wir bis dahin Ruhe vor dem Hessischen Kulturpreis haben, wäre das eine echte Gnade.