Henryk M. Broder / 29.06.2007 / 00:29 / 0 / Seite ausdrucken

Paul Nellen: Piep, piep, die Schura ist doch lieb!

Schurahamburg.de - das ist die Webadresse des “Rats
der islamischen Gemeinschaft Hamburg”, auf der sich
oben links ein sog. “Grundsatzpapier” finden lässt,
das alle Vorbehalte und Vorurteile gegenüber
orthodoxen Muslimen ein für alle Mal aus der Welt
räumt. Eine vertrauensbildende Maßnahme im
interreligiösen Dialog gewissermaßen, eine
“Bringeschuld” obendrein, wie ich heute abend hören
werde, die auch die Muslime gegenüber der deutschen
Mehrheitsgesellschaft hätten. Wir sind neugierig, wie
ein muslimischer Top-Funktionär in Hamburg, der Herr
Mustafa Yoldas von der “Centrum-Moschee” in St. Georg,
sich interreligiös und vertrauensbildend in die
Debatte einbringt. Herr Yoldas und die Muslime
Hamburgs wollen die “Gleichbehandlung” mit anderen
Religionen. In der Rudolph-Steiner-Schule versammeln
wir uns zur Podiumsdiskussion. 

Als Vertreter seines Vereins, der Schura, sitzt Herr
Yoldas heute abend vorne links am Tisch des grünen
Bildungswerkes. Es geht um die Frage “Ein
Staatsvertrag für Hamburgs Muslime?” Dazu ein grüner
Abgeordneter aus der Hamburger Bürgerschaft, ein
grünes Vorstandsmitglied der neu gegründetenen
nordrheinwestfälischen Partei-AG “Muslime in den
Grünen” und eine NDR-Journalistin, die die Fragen
stellt. Einige in der toleranten Welt des Islam als
Sekte verfolgte Alewiten mosern im überschaubaren
gemischt-religiösen Publikum sogleich, dass sie nicht
mit auf dem Podium sitzen dürfen. Doch das scheint
wohl Schuld der Gastgeber, nicht der muslimischen
Konkurrenz. Die berechtigte Frage der Alewiten, ob der
Islam nicht erst einmal - vor Gewährung eines
Körperschaftsstatus nach öffentlichem Recht - seine
“Hausaufgaben” machen müsse (Einübung von Demokratie,
Akzeptanz von Minderheitenrechten, Toleranz,
Gewaltfrage klären etc.) bleibt undiskutiert. Selbst,
als Schura-Mann Yoldas unverholen mit “extremistischen
Kräften in den Gemeinden” droht, die man vielleicht
nicht mehr im Griff habe, wenn es nicht bald zur
Gleichbehandlung des Islam in Hamburg käme, muß er
sich dafür nicht rechtfertigen. Das freut nebenan
natürlich die NPD, die Gewalt und Bomben gegen
Ausländer schon immer “leider kommen sieht” - außer
natürlich, man verwirkliche ohne Verzug ihre verrückte
“Ausländerrückführungspolitik”.

Herr Yoldas ist nicht die NPD, er ist strenggläubiger
Muslim und blättert im Grundgesetz, einer
Liliputausgabe in schwarzrotgoldenem Einband, die er
in der Hosentasche trägt. Er liest uns den Artikel 4
GG vor, Thema “Religionsfreiheit”. Hat er nicht recht,
wenn er überall Moscheen bauen will, gleichberechtigt
wie Christen und Juden auch? Im Dienst der Freiheit
spricht Yoldas sich - wir sind ganz überrascht - neben
islamischem Religionsunterricht auch für einen
überkonfessionellen Religionsunterricht aus. Der
Islam, der rabiate Verbeißer der anderen Religionen!
Wir sind verblüfft. Anfangs noch hatte Yoldas sich als
“orthodoxer Muslim” vorgestellt (ohne zu sagen oder
gefragt zu werden, was das ist). Alle sind angetan von
der unterrichtspolitischen Generosität dieses Herren,
eines sehr verbindlichen, sanft auftretenden Arztes,
volldeutsch integriert und “länger in Deutschland
lebend als Angela Merkel und besser Deutsch sprechend
als Edmund Stoiber”. Muslimischer als die beiden ist
er allemal.

Der Mann rühmt die Verfassung, die sich ganz prima mit
dem Koran vertrüge. Dass die Yoldas’sche Schura noch
im Mai die Baha’i-Religion aus dem “interreligiösen
Dialog” in Hamburg ausgeschlossen hatte, ist wohl bei
Podium und Publikum inzwischen nobler Vergesslichkeit
anheimgefallen - keiner bequemt sich, ihm den
Widerspruch von Worten, Forderungen und eigenen Taten
vorzuhalten. Yoldas singt das Loblied der
überkonfessionellen Religionsunterweisung - jedes
muslimische Kind könne da nämlich seine Moschee und
seine Religion den Kindern anderer Konfession
vorstellen, jedes Judenmädel seine Synagoge und jeder
Christenbub seine Kirche; nichts würde die Toleranz
untereinander besser befördern wie diese
Unterrichtsform. Alles nickt, alles lächelt
migrationshintergründig. Der ultimative
multikulturelle Kindertraum unserer Jugend,
vorgetragen vom bösen orthodoxen “Muselmann” (so seine
ironische Selbstbezeichnung - schau an, auch dazu sind
sie fähig!). Piep-piep, die Schura ist doch lieb!

Nach der Diskussion spreche ich Yoldas an: ob er nicht
ein sehr gemütliches und ziemlich spannungsloses Bild
von Toleranz gezeichnet habe - wirkliche Toleranz
würde doch erst gelernt, wenn das Muslimkind zur Synagoge
gehe, das jüdische in die Kirche oder das christliche
in die Moschee und umgekehrt und sie dann alle sich
über ihre jeweiligen Wahrnehmungen und Vorurteile
austauschen würden. Toleranz lerne man doch nur, indem
man in die Welt und in die Vorstellungsweise des
jeweils anderen neugierig und vorurteilslos eintauche.
Selbst, wenn das irritiere - ja, eigentlich gerade
deswegen!

“Darüber”, so der Funktionär, die Lippe klein wie
seine bundesdeutsche Integrationsstory lang ist,
“darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Muß ich
ehrlich sagen!”

Als ich nach Hause fahre, kommt mir ein japanisches
Haiku-Gedicht in den Sinn:

“Reisend durch die Welt/ hin und her, hin und her/
Bestellend ein kleines Feld”.

Auf dem Acker des Herrn Yoldas habe ich heute abend
ein bißchen umgegraben.

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