Millionen von Brasilianern demonstrieren. Doch ohne Gewerkschaften und linke Gruppen. Denn diesmal revoltiert der neue Mittelstand gegen eine korrupte, linke Steuerverschwender-Regierung. Das Modell könnte Schule machen
Europas Linke hatte zunächst sichtlich Freude an den Protesten in Brasilien. Das sah nach 1968, Apo, Attac oder Occupy aus – schön links und also badete man in der vermeintlich nächsten Welle anti-kapitalistischer Revoluzzerflut. Doch die rote Freude währte nur kurz, denn plötzlich entdeckte man - beim näheren Blick auf die Brasilienrevolte – etwas ganz Überraschendes: Hier demonstrieren weder Gewerkschaften noch linke Gruppen, keine Kapitalismus- oder Börsenhasser, keine Sozis, Spontis und auch keine Arbeiterkampfgruppen. Es ist just der neue, junge Mittelstand Brasiliens, der auf die Straße geht. Und er protestiert nicht gegen den Kapitalismus, Konzerne oder Banken – sondern gegen eine sozialistische Regierung. Der korrupte, von linken Politikern zur Beute genommene Staat und seine unfähige Bürokratie entfachen die Wut des neuen, selbstbewußten Bürgertums. Das ist die Konfliktlinie in Brasilien.
Seit 10 Jahren regiert in Brasilien der “PT - Partido dos Trabalhadores” (Arbeiterpartei). Sein Symbol ist der fünfzackige rote Stern, seine Leitlinie ist das sozialistische Ideal eines umfassenden Etatismus. Seine Präsidentin Dilma Rousseff stammt aus der marxistisch-leninistischen Guerillaorganisation “VAR Palmares”, die einst gegen die Militärdiktatur kämpfte. Heute sucht sie ihr Heil im “demokratischen Sozialismus”. Doch der Sozialismus der “PT “ ist weniger demokratisch als vielmehr korrupt.
Die linken PT-Netzwerke haben einerseits ein politisches Genossensystem mit weiträumigen Vetternwirtschaften, Begünstigungen und Stimmenkäufen eingerichtet: Die Regierung zahlte Abgeordneten der verbündeten Parteien sogar monatliche Beträge, damit sie wichtige Abstimmungen nicht blockierten. Dieses Bestechungssystem, “Mensalao” genannt, ist inzwischen aufgeflogen und Keim der Wut gegen die roten Machthaber. Andererseits hat die PT-Regerungsclique den von ihr kontrollierten Staat immer dreister in die Taschen seiner Bürger greifen lassen, die Steuern und Gebühren (bis hin zum Busticket) allenthalben erhöht, dafür aber nur eine dürftige Gegenleistung an Infrastruktur und öffentlicher Dienstleistung geboten.
Das Ausmaß der PT-Korruption, die den Staat zusehends zum Selbstbedienungsladen linker Parteien gemacht hat, zeigte sich im Bundesstaat Parát und der illegalen Genehmigungen für das Fällen von gewaltigen Mengen Regenwaldholzes durch Mitglieder der PT. Die Einnahmen und die Gegenleistungen der Begünstigten wurden wiederum dazu benutzt, PT-Kandidaten im Wahlkampf zu helfen.
Nun wehrt sich der Mittelstand, dass er mit Steuerlasten ausblutet und dafür vom Staat miserable Lebensbedingungen zugemutet bekommt. Straßen, Krankenhäuser und Schulen sind in trostlosem Zustand, und auch die innere Sicherheit – eine klassische Forderung der bürgerlichen Mitte – wird von der linken Regierung systematisch mißachtet.
Unter dem Druck der Massenproteste des Mittelstands bewegt sich der rote Apparat in Brasilia nun ein wenig. Doch Rousseffs hastige Versuche, auf die Anliegen der Demonstranten einzugehen, dürfte sie nicht mehr retten. Im kommenden Jahr sind Wahlen in Brasilien und die PT-Macht wird wohl gebrochen werden.
Die fatale Schwäche der Infrastruktur Brasiliens ist eine direkte Folge der sozialistischen Eingriffe in den Markt, denn die Investitionserschwernisse, Gewinnbeschränkungen für Bauunternehmer und eine ausufernde Steuer- und Planungsbürokratie hemmen das Land zusehends in seinem Aufstieg. Die Investitionsquote ist nicht einmal halb so hoch wie in China und auch deutlich unterhalb der von Indien. In der „Doing Business“-Rangliste der Weltbank belegt unter 183 Ländern Brasilien gerade einmal Platz 126 – Tendez fallend. Bei „Steuern“ liegt Brasilien auf einem dramatisch unternehmensfeindlichen Rang Nummer 150, bei den Vorgaben für Firmengründer auf Rang 120 und bei Baugenehmigungen auf 127. Die linke Regulierungs- und Besteuerungspolitik der vergangenen Jahre zeigt tiefe Spuren im Land. Kurzum: Dem Bürgertum ist einfach der linke Kragen geplatzt.
In Anbetracht der bürgerlichen Protestbewegung sprechen erste Beobachter schon von einem neuen Modus für das 21. Jahrhundert. Denn während im 20. Jahrhundert die Protestbewegungen auf “mehr Staat” und “mehr Gleichheit” zielten, dürfte in vielen Teilen der Welt “weniger Staat” und “mehr Freiheit” das große Thema der Zukunft werden. Von Überwachungs- und Abhörfragen, autoritären Regierungen bis zu Überbesteuerungen, Überschuldungen und Bevormundungen wehren sich Bürger zusehends gegen allerlei Sozialismen, die den Staat als Beute ihrer Ideologie und Parteienpfründe ansehen. Die Linken sollten Brasilien gerne noch eine Weile studieren, vielleicht werden sie darob ein Stück klüger, dass Revolutionen auch liberal daher kommen können.
Zuerst erschienen auf Handeslblatt Online