Rot und weiß ist das Leben: rot wie die Höllenglut und weiß wie das leere Blatt, das geduldig auf die nächsten Einfälle des Autors wartet. Rot wie Blut und weiß wie milde Milch. Letzteres ist eigentlich ein Pleonasmus, denn Milch ist immer mild; Milch ist flüssige Mütterlichkeit und darum rundum sanft. In der Milch liegt alles Behutsame und Fürsorgliche, alles Zärtliche und Zukunftsfrohe, womit der liebe Gott sogar Raubtiere ausgestattet hat; und so möchte man wünschen, daß mehr Milchigkeit und weniger Blutigkeit die Weltgeschichte prägen möge.
Hat man jemals irgendwo von Milchrache gehört? Wir können probeweise mit dem Austausch der Körperflüssigkeiten anfangen, dann hieße es: ‚die Milch, die für euch vergossen wurde‘; ‚Milch und Boden‘ usw. – und schon sind wir bei den wütenden Landwirten, die allen Ernstes Milch auf dem Boden vergießen. Aber das war jetzt gar nicht beabsichtigt, nicht um Kämpfe und Kampagnen soll es hier gehen, sondern um Nahrung und Natur.
Sowie um Schönheit und Genuß. Die Vorstellung, daß Milch schön mache, kommt von dem Kindheitsbezug dieses Urgetränks. Unter dem Horizont des herrschenden ästhetischen Verjüngungsideals hat dieser Aspekt enorm an Bedeutung gewonnen. Straffe Babyhaut – die Milch macht’s: so ungefähr lautet die moderne Milchmädchenrechnung.
Beim Thema Genuß wird die Sache schon schwieriger, denn wer traut sich trotz Kindheitstraining und Schulmilchpropaganda ein wirklich freies Urteil zu? Wer wird sich zu der Evidenz bekennen, daß Milch als solche nicht wirklich umwerfend gut schmeckt? Wer Gelegenheit hatte, sie im Rohzustand direkt ab Kuheuter zu verkosten, wird sich an den durch viehische Aromen ausgelösten Würgreiz lang erinnern. Wer aber nur die weiße Industrieplörre aus deutschen Supermärkten kennt, wird zugeben, daß die gustativen Sensationen sehr begrenzt sind. Und dann gibt es noch jene deutsche Spezialmilch, die, vergilbt, viskos und nach altem Pappkarton riechend, vornehmlich zu deutschem Kaffee gereicht und von der übrigen Welt schaudernd als germanische Geschmacksverirrung vermerkt wird: die Dosenmilch. Schlimmer kann sich ein Land nur mit Liebfrauenmilch diskreditieren.
Wohlgemerkt, wenn bei uns von Milch gesprochen wird, ist immer die von der Kuh gemeint. Ein Blauwal-Weibchen produziert zwar 400 bis 600 Liter pro Tag, ist aber schwerer zu melken. Daher ist die Kuh nicht nur zu freundlichen Begleiterin der Menschheit, sondern auch zu einem Sinnbild dummer Duldung geworden. Den Indern ist sie deshalb heilig, während sie vielen Europäern lila erscheint. Aufgeklärte Kinder in unserer Wissensgesellschaft sind sogar darüber informiert, daß Milch nicht aus der Steckdose kommt, sondern von sogenannten Bauern, die mit ihren Kühen irgendwo auf der Milchstraße herumstehen.