Fabian Nicolay / 29.05.2023 / 06:00 / Foto: Fabian Nicolay / 44 / Seite ausdrucken

Mein „grünes“ Glaubensbekenntnis (3) – Vollstreckungsbeamte in eigener Sache

Meine indische Freundin hat mir immer gedroht, dass ich aufpassen sollte, nicht im Hamsterrad der Wiedergeburten zurückgestuft zu werden, auf das Niveau eines Chamäleons oder einer Lebensmittelmotte. Ich bin lieber bei meinem Glauben geblieben. Teil Drei unseres Pfingstdreiteilers.

„Nach der Beschaffenheit der Gegenstände, die du dir am häufigsten vorstellst, wird sich auch deine Gesinnung richten; denn von den Gedanken nimmt die Seele ihre Farbe an.“ (Marc Aurel)

Weltuntergangs-Priester stehen immer an den Opferaltären bereit: zur Sonnenfinsternis mit dem Obsidian-Messer des Aztekengottes, mit dem Erlöser-Kreuz der Inquisition zur feierlichen Massen-Autodafé, mit Sarin-gefüllten Plastiktüten in den U-Bahnzügen Tokios an einem Montagmorgen. Wer den Weltuntergang verhindern möchte, braucht Gefangene, Ketzer, Ängstliche als Opfergaben und neigt der Gewalt zu. Die Klimapriester haben ihre gefügigen Opfer schon gefunden. Sie nennen sich die „Letzte Generation“ und agieren als bezahlte Vollstreckungsbeamte in eigener Sache. Sie werden scheitern, mit ihrer Angst, mit ihrer Zukunftsidee, mit ihren Schuldzuweisungen.

Als ich Anfang der 90er Jahre mit meiner indischen Freundin durch ihr Land gereist bin, haben wir zahlreiche Tempelstätten besucht und viele Feste von Hindus und Buddhisten im Norden und im Süden beobachtet. Natürlich konnte ich nicht entschlüsseln, ob es Transzendenz in unserem Sinn für gläubige Inder überhaupt gibt, wenn sie in die „Puja“ vertieft sind, das Verehrungsritual im Zwiegespräch mit Gottheiten wie Krishna, Shiva, Kali oder Buddha, dem Lehrmeisteridol. Schließlich gibt es bildliche Darstellungen von ihnen, die in ihrer schrillen Buntheit für die Hindus und Buddhisten sichtbare Anwesenheit bedeuten. Aber meine indische Begleitung erklärte mir, dass die Rituale einem Pragmatismus folgen, der sich auf diesseitige Hilfe bezieht. Da die asiatischen Religionen die Wiedergeburt als Dilemma von Wiederholung und Leiden darstellen, ist die Hilfestellung der Gottheiten im aktuell durchlebten Zyklus für die Gläubigen immens wichtig.

Es gibt auch das Versprechen der Erlösung, es ist aber mit weit mehr Anstrengung verbunden als die Einhaltung von Klimazielen: Jeder einzelne Gläubige hat irre viele Wiedergeburtszyklen zu bewältigen und kann sich glücklich schätzen, wenn er nach Jahrhunderten in seiner endlich „letzten Generation“ vor der Glückseligkeit steht und dem Samsara ins Nirvana entfleuchen kann. Meine Freundin hat mir immer gedroht, dass ich aufpassen sollte, nicht im Hamsterrad der Wiedergeburten zurückgestuft zu werden, auf das Niveau eines Chamäleons oder einer Lebensmittelmotte. Ich bin lieber bei meinem Glauben geblieben und damit wenigstens dieser Gefahr entronnen. Aber die munteren Finken, denen wir in Goa begegnet sind, wurden bestimmt eine Stufe höher befördert ...

Auf dem Weg zur nächsten Wiedergeburt

Marc Aurel, von dem das eingangs zitierte Wort stammt, wusste aus seinen „Selbstbetrachtungen“, dass die Gegenstände des Denkens, die Gedanken, Meinungen und Überzeugungen, also das einzige, auf das wir uns sicher beziehen können – nämlich das subjektive, geistige Abbild von äußerer „Wahrheit“ – nichts anderes sind als reflexive Prozesse individueller Wirklichkeitsfindung. Marc Aurel stößt uns in einen Raum, in dem jeder für sich allein ist: Unsere Haltungen, politischen Überzeugungen, unsere Moral und Lebensgrundsätze, sind relativ und färben auf Dauer unsere Seelen. Jeder, der Marc Aurel beipflichtet, muss erkennen, dass es keine reine Wahrheit geben kann, im Angesicht der gefärbten Seele, ob sie nun rot, grün, gelb, schwarz oder blau ist.

Übrigens die Finken in Goa: Sie waren auf dem Weg zur nächsten Wiedergeburt. Wir wollten der schwülen Hitze für eine halbe Stunde entfliehen und betraten eine Kirche in der Nähe von Panjim. Die Finken flogen zwitschernd in der Hallenkirche umher. Dort wurden wir überrascht. Die Kirche war menschenleer, bis auf den Küster, der breitbeinig mitten im Altarraum stand und gerade ein Gewehr nachlud. Wir gingen auf ihn zu, und ich fragte ihn belustigt, was er denn mit der Knarre unter den Augen von Jesus im Gotteshaus mache. Er antwortete mir schlicht und ohne die Annahme, dass seine Aussage seltsam wirken könnte: „I shoot the birds. Because they do shit on the cross.“

Welche Farbe nimmt die Seele wohl an, wenn sie der Transzendenz des Glaubens begegnet? Ich schätze keine.

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Lesen Sie hier auch die Folgen Eins und Zwei:

Mein „grünes“ Glaubensbekenntnis (1) – Bürgerlicher Wohlstand als Stigma
Mein „grünes“ Glaubensbekenntnis (2) – Die kleine Pythia mit starrem Blick

 

Fabian Nicolay ist Gesellschafter und Herausgeber von Achgut.com.

Foto: Fabian Nicolay

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Rainer Irrwitz / 29.05.2023

wenn Sie in Old Goa waren haben sie ja auch die Ahnengallerie der Portugiesen gesehen die über Jahrhunderte dort ihren “christlichen” Terror im Namen des “Herrn” ausübten. Genaus dieses Gruselkabinett hat mir persönlich eine wichtige Lehre in Sachen Religion vermittelt und ich muss zustimmen, der Geist formt sich seinen Körper, und ich habe vorher noch nie so böse und hässliche Körper, wie auf erwähnten Gemälden eben jener Männer die “Christi Wort” mit Folter und Mord nach Goa brachten, gesehen.

Ilona Grimm / 29.05.2023

@Jürgen Fischer: Klar geht das auch anders; man könnte zum Beispiel die Türen geschlossen halten. Auf das Kreuz zu kacken finde ich nicht okay, ob real (wie es heutzutage nicht nur durch Finken geschieht) oder metaphorisch. Im übrigen bezieht sich Ihr Zitat vom „Erde untertan machen“ auf die Zeit vor dem Sündenfall. Sofort danach ging es mit dem Sterben los, ob Tier oder Mensch oder Vegetation. Adam und Eva waren nackt und wurden sich ihrer Nacktheit erst nach dem Ereignis mit der Schlange und dem Verzehr der verbotenen Frucht der Erkenntnis von Gut und Böse urplötzlich bewusst. Und sie schämten sich, die Armen. Nacktheit (aufgedeckt sein) ist also unangenehm, und so machte Gott den beiden Kleider aus Fellen. Woher kamen die Felle? Von Tieren, die bis dahin genau wie die beiden Menschen ungefährdet ihr Dasein im Garten Eden genießen konnten. Aber damit war es dann ein für allemal vorbei. Ich nehme an, der Küster in Goa wähnte sich nicht im Garten Eden. Deshalb bleibe ich bei der pragmatischen Güterabwägung – obwohl ich Finken mag. Es kommt halt auch auf die Menge an; wie mit allen und allem.

GAbriele Klein / 29.05.2023

“Welche Farbe nimmt die Seele wohl an, wenn sie der Transzendenz des Glaubens begegnet? Ich schätze keine.”  Was ist semantisch gemeint? Transzendenz des Glaubens an sich ? oder Transzendenz der letzten Wahrheit,  die zumindest der ethische Monotheismus dem 3 Hauptreligionen angehören gehalten ist zu suchen anstatt nach eigenem Gutdünken festzuschreiben? Der Glaube an sich ist scheint mir alles andere als transzendent und hinterlässt handfeste Fußspuren…..  Schlußendlich scheint mir auch eine jede Religion so unvollkommen wie jene die durch diese eine Beziehung zur letzten Wahrheit u. d. letzten Grund ihres Seins suchen. Ein wichtiger Unterschied zwischen den Hauptreligionen u.ihren ideologischen Rivalen wähn ich darin, dass erstere den Gläubigen anhalten sich selbst zu hinterfragen in Bezug auf die Beziehung zur letzten Wahrheit in Form v. freiwilligen Bußritualen was dem fatalen Festinger Syndrom, (2)das mit dem Nichteingestehen v.Fehlern einhergeht einen Riegel vorschiebt.  Im ideologischen Bereich (2) kann ich diese Hinterfragung nicht erkennen, das Gegenteil ist der Fall mit sämtlichen von Festinger aufgezeigten Konsequenzen (2)ich zähle die Empirie da mit zu, spätestens nach diesem berühmten Brief mit jener   Resolution rund um den Ursprung von Covid in der Lancet, so wie einer seit Hitler mir bis dato unbekannten Zensurwut von allem was politisch i.Wissenschaft/Forschung nicht genehm ist. Siehe die Endzeitstudie von Festinger v. 1956 u.das Festhalten der Sektenmitglieder an ihrer Lehre nach Nichteintreffen d.“Prophetie” od.auch das Verhalten der WHO nach einer gar seltsamen Pandemie,deren erwartetes Ergebnis auch nicht so eintraf wie trotz angeblicher “Unkenntnis"ums Virus dennoch angekündet u. deren Wiederholung statistisch betrachtet sich jenseits der Lebenserwartung v.Dr. Tedros u.Co. bewegen dürfte, der dennoch an einem neuen Pandemie, Lockdown? und “medizinischen” Behandlungsregeln diesbezüglich zu arbeiten scheint.

Klaus Keller / 29.05.2023

Auf dem Weg zur nächsten Wiedergeburt… Jeder Tag ist ein kleines Leben – jedes Erwachen und Aufstehen eine kleine Geburt, jeder frische Morgen eine kleine Jugend, und jedes Zubettgehen und Einschlafen ein kleiner Tod.+++ Arthur Schopenhauer +++ (1788 - 1860), deutscher Philosoph +++ Quelle: Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, 2 Bde., 1851. Erster Band. Aphorismen zur Lebensweisheit. Kapitel 5: Paränesen und Maximen. +++ Bis zu meiner Widergeburten sind es noch ca. 16 Stunden, da es jetzt ca 16.00Uhr ist.

Gabriele Klein / 29.05.2023

“Unsere Haltungen, politischen Überzeugungen, unsere Moral und Lebensgrundsätze, sind relativ und färben auf Dauer unsere Seelen”  Ja, die Seele färben die Lebensgrundsätze schon, und ich meine diese Weisheit findet sich nicht nur bai Marc Aurel. (1) relativ sind sie allerings nicht, denn sonst würde man diese ja selbst nicht als Grundsatz bezeichnen .  Ein kluger Rabbiner dessen Seminar ich einst belegte argumentierte treffend wie folgt:  Denkt man den heute so populären Relativismus konsequent zu Ende gibt es keinerlei Grund für irgendwelche Argumente in Sachen moralisch richtig oder falsch zu argumentieren.  Das beste Argument gegen den Relativismus wäre von daher der Streit mit dem sich ausgerechnet “Relativisten” für dieses oder jenes stark machen, wozu sie,  keinerlei Grund mehr haben. denn, Ihrer eigenen Lehre zufolge erübrigt sich jedes weitere Argument, AUCH IHRERSEITS nicht nur im ethischen Bereich, sondern auch überall da wo dieser Pate steht, d.h. durchaus auch in d. Auswahl wissenschaftlichen Fragestellungen.  Eine andre Überlegung zum “Relativismus”  findet sich bei Peter Berger’s “Rumour of Angels”  an irgendeiner Stelle, meint der Autor sinngemäß: Let us relativise the relativisors. Ähnlich argumentierte (wenn ichs richtig im Kopfe habe: Will Herberg in seinem sehr lesenswerten Werk: Judaism and Modern Man:  Auch dort las ich: dass sich ,, strikt zu Ende gedacht der moralische Relativismus, am Ende selbst negiert.

Paul J. Meier / 29.05.2023

Der Evolutionstheorie folgend ergibt sich die Erkenntnis, dass in der Natur die Tendenz zur Transzendenz von Formen höherer Komplexität herrscht! Selbst wenn alle Menschen das gleiche denken würden, wäre noch nicht gewährleistet, dass dies richtig ist! Hat glaube ich Russell mal so ähnlich gesagt. Wir haben es aber mit dogmatischen Rechthabern und Besserwissern zu tun, egal ob in Religion, Politik oder Wissenschaft usw. Oftmals genügt eine provokante Frage um diese aus der Reserve zu locken und sich selbst zu outen. Die Frage bleibt wie lange der Dogmatiker der Natur widerstehen kann, wie lange er die Wirklichkeit mit seinen Gedanken, seinem Glauben subjektiv kontaminieren kann. Spätestens mit seinem Tod wird dieses Schutzgebilde, nichts anderes ist es, um ihn herum zur Makulatur. Man muss sich stellen, der Atheist genau wie der Religiöse. Warum hat man selbst Todesangst, wenn nichts folgt? Alle machtgierigen Institutionen zielen im Prinzip auf diese Angst hin, um die Menschen gehörig, sie sich untertan zu machen.  Blaise Pascal hat in seinen Pansées geschrieben: Nie tut man Böses so vollkommen und freudig, als wenn man es im Einklang mit seinem Gewissen tut.

Karsten Dörre / 29.05.2023

@Karl-Heinz Münter, Die Lebensmittelmotte hat kein kurzes Leben. Hier wird die menschliche Sicht übergestülpt. Die Lebensmittelmotte hat im Durchschnitt ein genauso langes Leben, wie der Mensch. Die Lebensmittelmotte nimmt Zeit und Raum nur anders wahr. Die Eintagsfliege erlebt und bewegt sich viel, sie kennt nicht Tag und Nacht. So kann man denn auch die buddhistische Wiedergeburt unvoreingenommen betrachten und hinterfragen, dass der Mensch sich lediglich selbst überhöht. Dass Mensch Tiere schützt, indem man sie in Umzäunungen sperrt oder an Leinen hält, ist nur eine humanoide Vorstellung von Schutz. Dass der Mensch sein natürliches Umfeld mehr nutzt und ändert als andere Lebewesen, hat nichts mit Höherentwicklung zu tun. Hätten wir es nicht getan, hätten früher oder später andere Lebewesen dies ähnlich oder auf andere Weise getan. Deshalb finde ich die gewollte Rückentwicklung des Menschen zur “Ganzheitlichkeit” unnatürliche Blödheit.

dina weis / 29.05.2023

Gibt es Gott? Und wenn ja, warum gibt es dann mehrere auf der Welt und verschiedene Religionslehren und welche ist die richtige oder unrichtige? Wer bestimmt das? Fragen über Fragen. Auf jeden Fall dient es zur Beruhigung derer, die sich nicht damit abfinden können, dass das Leben morgen schon vorbei sein kann und es endet im Nichts. Der Mensch ist biologisch gesehen ein weiterentwickeltes Tier, wir unterscheiden uns weniger als 2% vom Menschenaffen und haben den gleichen Stoffwechsel. Wie kann man überhaupt annehmen, dass dann dieser Menschenaffe weniger wert sei als wir selbst und nicht auch in den “Himmel” kommt. Wir wollen uns abgrenzen von Tieren und agieren schlimmer auf der Welt als jedes Raubtier es tun würde. Der Mensch fabriziert die schlimmsten Waffen, um sich gegenseitig umzubringen, tötet Tiere zum Überfluss, rottet sie aus und verdrängt sie aus ihrem Lebensraum, weil er meint das tun zu dürfen. Das alles geschieht nicht mit einem “göttlichen Recht”, dass er sich so hinbiegt, wie er es für nützlich hält. Ein friedfertiger und gutherziger Mensch, der achtsam mit Mensch und Tier umgeht braucht keinen Gott als Alibi. Der “göttliche Funke” lebt schon in ihm.

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