Fabian Nicolay / 27.05.2023 / 06:00 / Foto: Fabian Nicolay / 69 / Seite ausdrucken

Mein „grünes“ Glaubensbekenntnis (1) – Bürgerlicher Wohlstand als Stigma

Ich hege keinen generellen Groll gegen Grüne. Umweltschutz, Artenschutz und allumfassenden Respekt vor der Schöpfung halte ich für vernünftig. Ich habe es von meiner Mutter. Teil Eins unseres Pfingstdreiteilers.

„Nach der Beschaffenheit der Gegenstände, die du dir am häufigsten vorstellst, wird sich auch deine Gesinnung richten; denn von den Gedanken nimmt die Seele ihre Farbe an.“ (Marc Aurel)

Ich empfinde Grüne und Linke nicht als meine politischen Intimfeinde. Mich interessiert, wie sie denken und argumentieren. Mich amüsieren ihre Irrtümer und in manchen Gesprächen auch die Unkenntnis ihrer eigenen Materie – wenn sie es überhaupt zulassen, dass ich mit ihnen diskutiere. Linke sind heute so empfindlich. Sie nehmen es schnell übel, wenn man andere Konzepte von Gerechtigkeit, Leistung und sozialer Verantwortung bevorzugt, wenn man kein Kollektivist und Konformist sein will und hingegen individuelle Freiheit für das Nonplusultra hält. Ich muss kein Marxist sein, um Unterdrückung, Rassismus und jegliche soziale Niedertracht abzulehnen. Doch glaube ich nicht, dass politische Ideologien überhaupt tauglich sind, diese Probleme nur ansatzweise zu lösen. Wenn die Linken einen Glauben haben, dann den, dass ihre Ideologie und Haltung alles ist. Das lässt sie fantasielos erscheinen.

Unvoreingenommene Bildung, individueller Wohlstand und persönliche Freiheit sind meiner Meinung nach bessere Wege aus postmodernen Miseren. Aber diese Wege führen eben nicht in die Labyrinthe der Planwirtschaft, des Überwachungsstaats, der erzwungenen Bekenntnisse und des Sozialneids, wo sich Linke traditionell wiederfinden. Demut und Empathie sind auch nicht unbedingt Eigenschaften von dogmatisch veranlagten Menschen; das Problem ist der Vernichtungswillen gegen alles, was ihnen politisch fremd erscheint. Das ist leider die abstoßende identitätsstiftende Seite.

Denn in der Dialektik der materialistischen Ideologie steckt schon der Impuls neuer Feindschaften, was gleichbedeutend mit einem Fehler im System ist. Es ist absurd – aber Linke traktieren mit Vorliebe Andersdenkende, was so wirkt, als wollten sie sich selbst „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ progressiv attestieren. Der cancelnde Fingerzeig auf Andersdenkende ist jedoch definitiv die „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ von undemokratischen Verpetzern.

Bürgerlicher Wohlstand als Stigma

In den 70er-Jahren, als ich um die 10 Jahre alt war, kam mein Cousin oft noch spätabends zu Besuch zu meinen Eltern. Schnell war das Wohnzimmer dicht verqualmt, nächtelang wurde erhitzt aufeinander eingeredet – auch wegen der Ereignisse im sogenannten Deutschen Herbst '77. Irgendwann in der Nacht wachte ich vom Lärm auf, weil der Cousin, ein überzeugter Kommunist, meinen Eltern nicht einreden konnte, dass nur eine Revolution den Kapitalismus beseitigen könne und das Schweinesystem jetzt gewaltsam wegmüsse. Er schrie es förmlich heraus. Ich fand das komisch, denn er war der älteste Sohn eines reichen Verlegers, dessen Vater in den 50ern ein eigenes, kleines Wirtschaftswunder geschaffen hatte. Ich fragte mich, warum ausgerechnet der Sohn, dem es doch so gut ging, seine Scham vor dem elterlichen Reichtum so gewaltsam und laut zum Ausdruck bringen musste.

Ich beneidete ihn um das Segelboot auf dem Comer See, den Verleger-Bungalow mit den weiten offenen Räumen, wo irgendwo die große, sabbernde Dogge herumlag; ich hätte gern solche Flugreisen über den Atlantik gemacht wie er, als wäre das Aufsuchen von Sehnsuchtsorten eine Selbstverständlichkeit. Schon damals wurde in linken Kreisen bürgerlicher Wohlstand als Stigma begriffen, dessen sich die Bürgerkinder zumindest symbolisch entledigen wollten. Sie ächteten ihre Eltern – im Rundumschlag mit den Ungeheuerlichkeiten des geschichtlichen Erbes, das die Eltern wie eine Hypothek mit ins Wirtschaftswunder eingebracht hatten. Was damals der Wohlstand auf den Trümmern der Nazizeit war, ist nun der Kapitalismus auf der Hitzekurve des Kohlendioxids.

Heute ist mein Cousin einer der freundlichsten Menschen, die ich kenne, ein Philanthrop, der das Uneins-Sein mit sich und der Welt still und in sich gekehrt mit französischen Zigaretten aushandelt und letztlich sich damit zu Grunde richtet. Die rote Färbung seiner Seele ist verblasst, ein Pastellton noch: Er muss sich nicht mehr für seinen toten Vater schämen, den er heute nur vermisst.

Relikte gescheiterter Konsumbeziehungen

Ich hege keinen generellen Groll gegen Grüne. Umweltschutz, Artenschutz und allumfassenden Respekt vor der Schöpfung halte ich für vernünftig. Ich habe es von meiner Mutter. Sie war als frühe Grünsympathisantin davon überzeugt, dass Bioprodukte diesem Anspruch am besten nachkommen und weder Rückstände von Pestiziden noch andere Chemikalien, die den Boden belasten, in Lebensmitteln etwas zu suchen hätten. Sie hielt es für folgerichtig, Nutztieren ein würdevolles Dasein zu ermöglichen, bevor man sie zu Schnitzel, Wurst und Hackfleisch verarbeitet. Weil das schon immer seinen Preis hatte und es ernährungstechnisch für ausreichend erachtet wurde, gab es bei uns zuhause meist nur an Wochenenden einen Braten. Meine Mutter kaufte Selbstversorger-Bücher wie das „Leben auf dem Lande“, das „ein praktisches Handbuch für Realisten und Träumer“ sein wollte. Sie gehörte zu den Realisten, sie legte Hochbeete an und besorgte eine Kornmühle.

Sie wusste allerdings, dass wir uns den ganzen Selbstversorger-Budenzauber nur leisten konnten, weil wir einen großen Garten hatten und mein Vater Alleinverdiener war. Sie wäre nicht auf den Gedanken gekommen, konventionell hergestellte Lebensmittel mit einem Bannfluch zu versehen, schließlich kauften wir oft genug auch selbst beim Discounter ein. Die Kornmühle war jedoch ein Wendepunkt für mich. Der Appetit auf den kalten schleimigen Getreidebrei am Morgen verging mir recht schnell. Ich fand es einleuchtend, dass man Kühlschränke und Autos nicht einfach im Wald „verklappen“ sollte. Damals war der Wald ein geduldiger Ort für Relikte gescheiterter Konsumbeziehungen, die irreparabel erschienen – Recycling war ja noch gar kein Wort. Die Kornmühle hätte ich hingegen gern mit meinem Bruder schnell in den Wald gebracht.

Was damals kein Thema war: Grüne Hypermoral. Es gab bei uns keinen Ökologismus, der alles nur aus dem Blickwinkel von Nachhaltigkeit, Wohlverhalten und globalen „Effekten“ betrachtet. Umweltschutz war pragmatisches, tägliches Handeln ohne Verzichtszwang. Es wurde uns zuhause kein holistisches Lebensmodell ökologischer Imperative übergestülpt. Das hätten mein Bruder und ich auch nicht mit uns machen lassen. Auch keiner unserer Freunde. Ökologisch sinnvolles Handeln begann für uns direkt vor der Haustür, hatte aber keinen ideologischen Beigeschmack. Wir wären nicht auf die Idee gekommen, über den Lebensstil unserer Nachbarn die Nase zu rümpfen opder sie zu maßregeln. Allerdings war damals die telepräsente Jutta Ditfurth auch ein ausreichend abschreckendes Beispiel für grünideologische Besessenheit und Schurigelei und spielte bei der Frage, was zu wählen sei, für mich eine ähnlich große Rolle wie später Renate Künast oder Claudia Roth. Das nebenbei zum Thema „Ahnung, was kommt“.

Ein Atavismus: Flucht oder Kampf

Wir begannen unterdessen den Wald zu säubern und es wurde die Straßennachbarschaft mobilisiert mitzumachen. Wer wollte, machte mit. Es war Freiwilligkeit angesagt und es machte gute Laune. In diesen Jahren hat es uns Deutschen gutgetan, darüber nachzudenken, warum die Natur als Teil unserer direkten Umgebung so wertvoll und schützenswert ist. Dass heute grüne Energiepolitik kontrafaktische Effekte fördert (Windkrafträder in Wäldern und Naturschutzgebieten, Abschaltung CO2-freien Atomstroms bei gleichzeitiger Beibehaltung der Kohleverstromung) zeigt, wie politische Dogmen eine Politik der Vernunft verhindern.

Meine Mutter war nicht dogmatisch. Als sie im Bioladen arbeitete, waren ihr die Ökofundis suspekt, die der Illusion verfallen waren, dass jeder Mensch in Deutschland Produkte mit dem Demeter-Siegel kaufen müsse, um endlich etwas grundlegend zu ändern. Die kamen nicht auf die Idee, dass Menschen bei Aldi einkaufen, weil das eine Frage ihres Geldbeutels ist, und dass die Vollversorgung der Deutschen mit Biolandbau allein anbauflächentechnisch nicht machbar ist. Mein Cousin – er wurde selbst „Biobauer“ – hatte die Sache mit dem knappen Geld kapiert, er wusste, dass Biokost hauptsächlich eine Sache des bürgerlichen Mittelstandes war, dessen „schwarzer“ Wertekonservativismus doch ganz gut deckungsgleich auf die grüne Umweltbehütung passte. Der grüne Materialismus hat die Sache dann forciert: Das Sein bestimmte das Bewusstsein. Und so nahm die Seele des Mittelstandes langsam, aber sicher eine grünliche Farbe an.

 

Lesen Sie in der nächsten Folge morgen:

Mein „grünes“ Glaubensbekenntnis (2) – Die kleine Pythia mit starrem Blick

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Fabian Nicolay ist Gesellschafter und Herausgeber von Achgut.com.

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Sabine Heinrich / 27.05.2023

@Thomas Szabó: Ganz herzlichen Dank für Ihre auf den aktuellen Stand gebrachte Version der Fabel “Die Grille und die Ameise” von La Fontaine! Genial! Danke! Schade, dass sie keinen Eingang in die Schulbücher finden wird!

W. Renner / 27.05.2023

Der allumfassende Respekt vor der Schöpfung beinhaltet auch, dass Mensch sich nicht anmasst, das Klima zu steuern. Dabei sind die meisten Politiker welche letzteres für sich beanspruchen, nicht in der Lage, die Müllabfuhr in Posemuckel effizient zu steuern.

Elias Schwarz / 27.05.2023

Es ist gut, von Kommunismus zu träumen, wenn Gastarbeiter alles erledigen. Es ist aber dumm zu glauben, daß Gastarbeiter die gleichen “Werte” teilen. Nein, sie arbeiten auf rein kapitalistischer Basis. Sobald man man diese Tatsache ignorieret, gibt es Leichen. Das beste Beispiel sind die Überschwemmungen von 2021.

T. Merkens / 27.05.2023

Frau Ilona Grimm und Herr Thomas Szabó, kennen Sie den Kinderfilm “A Bug’s Life” über Ameisen und Grillen von Pixar? Falls Sie ihn nicht kennen sollten, und nicht irgendwelche grundsätzlichen Vorbehalte haben (Kinderfilm, albern, Animation, Mainstream u. dgl.), möchte ich Ihnen den Film gerne empfehlen. Vielleicht hat Herr Szabó das Drehbuch geschrieben :-)

Elias Hallmoser / 27.05.2023

Hypermoralische, verbalradikale und jakobinische Kleinbürger [‘68er’, K-Gruppler, Maoisten, Grüne] waren und sind keine ‘Linken’ sondern eben hypermoralische, verbalradikale und jakobinische Kleinbürger. Sozio-ökonomisch stammten/stammen sie überwiegend aus leistungslos wohlversorgten Mittelschichtsfamilien, einige aus der oberen Mittelschicht oder der unteren Oberschicht. In der Regel waren/sind sie naturwissenschaftlich-technisch-mathematisch ungebildet.

M. Buchholz / 27.05.2023

Was waren das für nachhaltige und umweltschonende Zeiten. Flicken auf dem Knie, den Oberschenkeln und am Gesäß meiner Wrangler Jeans. Das mach ich heute nicht mehr, aber der Kern ist geblieben. Kühlschrank kühlt nicht mehr, dann wird ein neues Thermostat eingebaut. Was macht denn da bitte die Zigarettenmiliardärs Erbin oder ihre Cousine? Die kaufen doch bestimmt einen Neuen. Im Übrigen liebe ich grünen Filz. Er ist super geeignet um sich die Schuhe abzutreten.

Ilona Grimm / 27.05.2023

@Thomas Szabó: Ihre Adaption von La Fontaines Fabel von der stinkfaulen Grille und der fleißigen und vorausschauenden Ameise gefällt mir ausgezeichnet. Die Grillen sind aber auch am A…, wenn die Ameisen nicht mehr liefern können, weil sie ausgeblutet sind. Das ist doch irgendwie tröstlich.—- Die „pragmatischen Philosophen“ um William James (1842-1920) haben damals um des sozialen Friedens willen den kleinen Leuten wenigstens noch ein bisschen Spaß und Freiheit und bescheidenen Wohlstand gegönnt. Heute herrscht die blanke Gier verbunden mit Kadavergehorsam gegenüber den WEF-/Bilderberger- und sonstigen selbsterschaffenen Göttern.

M. Neland / 27.05.2023

Ist ja erst der erste Teil, aber vielleicht wird es noch thematisiert, dass die ökologisch-grüne Bewegung und die dazugehörige Partei gekapert wurde von Linksextremisten, die aus dem Maokommunismus kamen. Ähnlich wie die Piratenpartei, die daran zugrunde gegangen ist. Auch die Asten an den Unis sind sozialistisch-kommunistisch besetzt, unterwandert. Dazu die linksgrüne deutsche Lehrerschaft, die die Jugend indoktriniert und radikal-kommunistisches Gedankengut implantiert und gleichermaßen ein fleischfreies Ernährungsregime. Wozu noch Proteine, wenn Denken unerwüscht ist, da kann das Hirn ruhig schrumpfen. Dank Habecks Nötigungen des Mittelstandes wird nun hoffentlich jedem bewußt, dass sich hinter allem grün eine totalitär-faschistische Technokratie verbirgt.

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