Gastautor / 15.06.2015 / 11:12 / 2 / Seite ausdrucken

Logik - das ungeliebte Stiefkind der Politik

Thilo Sarrazin

Drei Themen haben den G7-Gipfel im oberbayerischen Elmau beherrscht: Die Klimapolitik, die Zukunft Griechenlands in der Währungsunion sowie die Unordnung in Afrika und dem Nahen Osten, die zu den Flüchtlingsdramen im Mittelmeer führt.

Was vereint so unterschiedliche Themen wie die Energiewende, den Grexit und die Flüchtlinge aus Afrika? Alle drei sind komplex, kontrovers, und die Meinungen dazu sind emotional eingefärbt. Alle drei sind von größter Bedeutung für die deutsche Zukunft. Zudem kann man bei allen dreien rationale Begründungen für ganz gegensätzliche Positionen finden. Deshalb sind alle drei - zwingend und ganz legitim - Gegenstand politischer Entscheidungen.

Daran liegt es aber nicht, dass man am eigenen Verstand zweifelt, wenn man die Debattenlinien und Entscheidungslagen verfolgt. In allen drei Fällen vergeht sich die Politik an einem Gesetz, das für sie ganz unverfügbar ist und sich politischer Entscheidung definitorisch entzieht, dem Gesetz der Logik. Der Volksmund hat viele Worte dafür: Man kann den Kuchen nicht essen und behalten, man kann nicht gleichzeitig auf zwei Hochzeiten tanzen, wer A sagt muss auch B sagen usw.

Logik ist das ungeliebte Stiefkind der Politik. Diesem Stiefkind wird die geliebte Ziehtochter Wunschdenken gerne vorgezogen:

- Bei der Energiewende unterstelle ich für die Zwecke dieses Arguments, dass die Sorge um den weltweiten Temperaturanstieg berechtigt ist, und dieser nur durch niedrigere CO2-Emissionen bekämpft werden kann. Ferner ist die Tatsache wichtig, dass der gesamte jährlich deutsche CO2-Ausstoß dem jährlichen weltweiten Anstieg von 2 % entspricht. Auch ein CO2-freies Deutschland brächte uns also dem weltweiten Klimaziel kaum näher.

Rational ist es dann, europäische Abbauziele zu unterstützen, den Emissionshandel zu fördern, für weltweite Abbauziele und entsprechenden Emissionshandel zu werben und die knappen Mittel jeweils dorthin zu bringen, wo sie den größten Ertrag erbringen. Es passiert aber das exakte Gegenteil, wenn Deutschland sichere und gänzlich CO2-freie Kernkraftwerke abschaltet, und zudem durch den Einspeisezwang für deutschen subventionierten Wind- und Sonnenstrom moderne Gas- und Kohlekraftwerke so unrentabel macht, dass alte abgeschriebene Anlagen am Netz bleiben. Sie werden ja wieder gebraucht, sobald die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.

- Bei der Gründung der Europäischen Währungsunion hielt man es für angebracht, Geld- und Finanzpolitik strikt voneinander zu trennen, und die Finanzierung von Staatshaushalten durch die Europäische Zentralbank auszuschließen. Beim ersten Wirklichkeitstest 2010 hat man das System suspendiert und europäische Beistandsmechanismen für Staatshaushalte in Schwierigkeiten geschaffen. Solche Mechanismen wurden aber von Auflagen abhängig gemacht. Griechenland will diese Auflagen nicht mehr erfüllen, möchte aber weiterhin finanzielle Haushaltshilfen.

Logisch wäre es, Griechenland vor die Wahl zu stellen, ob es nach den Regeln spielen oder die Währungsunion verlassen will. Diese Logik möchte aber niemand gelten lassen. So werden schleichend vollendete Tatsachen im Sinne Griechenlands geschaffen: Die EZB hat bereits die Einlagelücken der griechischen Geschäftsbanken mit ELA-Krediten in Höhe von über 80 Mrd. Euro gestopft. Diese dürfte es eigentlich gar nicht geben. Fielen sie weg, so wären in Griechenland sowohl die Banken als auch der Staat insolvent.

- Wie das letzte halbe Jahrhundert gezeigt hat, haben die USA und Europa kaum nennenswerte Möglichkeiten, auf die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Afrika sowie Nah- und Mittelost einzuwirken. Interventionen wie in Somalia, Irak, Afghanistan oder Libyen haben nichts verbessert und vieles verschlechtert. Gleichwohl bleibt es richtig, diese Regionen bei der Lösung ihrer inneren Probleme zu unterstützten, wo sie dies wünschen, und politisch Verfolgten Asyl zu gewähren.

Das hat aber nichts zu tun mit Masseneinwanderung aus wirtschaftlichen Gründen. Anreize dazu entfallen erst, wenn der Versuch zur illegalen Einreise chancenlos ist. Das erfordert ein entsprechendes Grenzregime und eine entsprechende Abschiebungspraxis. Beides existiert kaum oder gar nicht. Rational ist das nur, wenn man weitere Masseneinwanderung aus Afrika und Nahost befürwortet. So wird aber nicht diskutiert.

Es gehört quasi zu den ewigen Versuchungen der Politik, die Frage nach dem entweder-oder mit einem kräftigen sowohl als auch zu beantworten. Das ist der Boden, auf dem politische Kompromisse wachsen, und so mancher große Wandel kam durch viele kleine Kompromisse zustande, die über Jahrzehnte aneinandergereiht werden. Das ist ja auch allemal besser als eine Revolution. Oft bilden solche Kompromisse einen gesellschaftlichen Wandel oder eine Veränderung der realen Verhältnisse ab, die ja nach Standpunkt unvermeidlich oder begrüßenswert sind.

Aber der Übergang vom vertretbaren Kompromiss zum gefährlichen Unsinn ist schleichend. In der Politik ist diese Zone da besonders kritisch, wo die sachgerechte politische Debatte sowieso bereits durch die Komplexität des Sachverhalts erschwert wird: Kaum ein Bürger kann die Gefahren der Kernkraft oder die Risiken des Klimawandels selbst beurteilen, und die meisten trauen sich das auch gar nicht zu. Auch die inneren Verbindungen zwischen Geld- und Finanzpolitik und die damit verbundenen Risiken stehen dem allgemeinen Urteil schwerlich offen. Bei der Flüchtlingspolitik wiederum streiten konkrete Gefühle und abstakte Einsichten miteinander.

So bleibt den meisten nur das Vertrauen in die verantwortlichen Politiker. Was aber, wenn diese selbst nicht verstehen, worum es geht, oder sich gerne in Ersatzhandlungen flüchten, statt der Wirklichkeit ins Auge zu schauen?

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

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Leserpost

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Ansgar Ankelmann / 15.06.2015

Diese überaus seltsame Entwicklung führe ich mittlerweile auf einen Zahlenfrust zurück. Die Politik, aber vor allem die sie eigentlich kontrollierenden Medien haben es verlernt zu zählen. Statistiken bemühen, Sachverhalte in ihren quantitativen Folgen abschätzen oder mal selbst etwas errechnen kommt nicht mehr vor, die reine Logiklehre braucht gar nicht erst erwähnt werden. Es sind gefühlte Dimensionen, die heute Kritik und Analyse politscher Sachverhalte beherrschen den Diskurs und entsprechend “bunt” sind die Ergebnisse. Journalisten können vieles, vor allem Twitter und Co, aber sie können nicht mehr rechnen, wollen nicht mehr rechnen und müssen nicht mehr rechnen. Der Blick auf die Lehrpläne deutscher Journalistenschulen verrät es: Mathe? Statistik? Hat man bereits in der Schule abgewählt so weit es ging… Hauptsache man kann die seichte Brühe am Ende professionell (und einem Schuss Emotion) präsentieren. Das gute ist, irgendwann setzt sich Qualität durch. Das schlechte ist, es kann dauern und noch steht da ein >8 Mrd Euro ÖRTV Berg im Weg.

Thomas Rießinger / 15.06.2015

Sarrazins glasklare Logik ist immer wieder ein Vergnügen.

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