Von Alain C. Sulzer
Auf die Frage, ob es moralisch nicht verwerflich sei, wenn deutsche
Steuerfahnder bei einem Bankdaten-Dieb einkauften, meinte Hans
Leyendecker in einem Interview der Basler Zeitung, man habe es hier auch
nach Schweizer Recht nicht mit einem Diebstahl zu tun. Der Angestellte,
der die Bankdaten von Steuersündern auf eine CD überspiele, verletze
lediglich das Geschäftsgeheimnis seiner Bank. Stehlen könne man, laut
Leyendecker, nur eine Sache, nicht aber Daten. Die Bankdaten aber seien
nicht gestohlen, sondern lediglich überspielt worden. „Hätte die CD der
Bank gehört, wäre es Diebstahl. Doch so liegt nur eine Verletzung des
Geschäftsgeheimnisses vor.“ Auf die Frage, ob man also auch ungestraft
urheberrechtlich geschützte Musik herunterladen dürfe, meinte
Leyendecker: “Bei Musik-Downloads sind Vermögensinteressen
betroffen, bei der Daten-CD ist die Privatsphäre oder das
Geschäftsgeheimnis betroffen. Die Fälle sind nicht vergleichbar.“
Die kühne Interpretation Leyendeckers eröffnet Wirtschafts- und sonstigen
Spionen ungeahnte Möglichkeiten und neue Spielräume. Wer fürderhin
Staatsgeheimnisse oder pikante Details aus der Intimsphäre von
Privatpersonen lediglich ablichtet oder fotokopiert, um sie dann
gewinnbringend an fremde Mächte oder einschlägige Presseorgane
weiterzugeben, wird – zumindest in dem Deutschland, das Leyendecker
vorschwebt - mit der Milde des Gesetzes und dem Entgegenkommen der
Öffentlichkeit rechnen dürfen.
Dies bekommt augenblicklich in vollem Umfang bereits Helene Hegemann zu
spüren. Da diese bei den plagiierten Autoren lediglich abgeschrieben hat,
was im Netz und anderen Medien schon zugänglich war, da sie also keine
„Sache“ gestohlen, sondern nur ein paar Ideen kopiert und – dem
Spieltrieb jedes Kindes folgend - sogar gewissen Veränderungen unterzogen
hat, muß auch sie nicht damit rechnen, für ihre Auffassung des
Rechtsschutzes zur Verantwortung gezogen zu werden. Wenn sie am Ende
nicht mit dem Leipziger Buchpreis belohnt werden sollte, dann doch mit
der dauerhaften Aufmerksamkeit des deutschen Feuilletons, dem anders als
zu Herrn Leyendeckers juristischen Auslegungen und dem deutschen
Datenklau zu dieser frommen Helene täglich etwas einfällt.
Siehe auch:
«Daten kann man nicht stehlen»
http://www.nzz.ch/nachrichten/wirtschaft/aktuell/deutsch_cd-debatte_1.4946091.html