Gastautor / 07.02.2010 / 20:05 / 0 / Seite ausdrucken

Kurze Reise nach Saudi Arabien

Von Thomas Himmel

Die Islamophobiedebatte in den Ohren steige ich ins Flugzeug nach Dubai, wo ich nur eine Nacht bleibe, um weiter nach Jeddah zu fliegen. Mein erster Flug mit einer A380. Geschäftsleute, Techniker und Familien sitzen nebeneinander. Ein arabischer Fluggast hat nicht weniger als zehn Pässe in der Hand. Seine Familie folgt im Gänsemarsch. Die Stewardeß scherzt, wie er die alle auseinander halten könne, zumal Frauen und die mutmaßlichen Töchter allesamt verschleiert sind. Er findet die Bemerkung nur mäßig komisch. Ich frage mich hingegen ob jemand überprüft hat, ob die Pässe und die Personen unter den Schleiern identisch sind. Während des dreistündigen Fluges ziehen sich zwei Dutzend Männer und Jungs, die in meinem Blickfeld sind, auf der Toilette um und tauschen ihre Dischdascha gegen die weißen Hadsch Tücher. Die Oberkörper bleiben halb frei. Nun sind sie bescheidene Pilger. Ich sehe einen Marylin Monroe-Schinken. Die Einreise in Jeddah geht überraschend schnell. Diesmal keine Fragen. Ich akzeptiere ein Privattaxi, dessen Fahrer mir versichert eine Lizenz zu haben. Sicher werde ich den vierfachen Preis bezahlen, aber während des kurzen Gespräches mit ihm vergewissere ich mich, daß er mein Hotel finden wird und sich im Allgemeinen auskennt. So kommt es auch. Das Hotel liegt in einem Goldsouq. Außerdem gibt es zwei ältere Malls für Hochzeitskleider. Ich vertrete mir noch die Beine und versuche irgendwo etwas zu essen zu finden. In den Gängen der Malls ist aber gähnende Leere. Tatsächlich gibt es in zwei Dutzend Läden nichts anderes als Hochzeitskleider.
Am nächsten Morgen lasse ich ein Taxi rufen. Die Orientierung in Saudi Arabien ist schwierig. In Millionenstädten wie Jeddah oder Riadh gibt es nur wenige Verkehrsschilder. Manche sind zweisprachig, arabisch und englisch, viele nur arabisch. Man kann nicht einfach losfahren, der Fahrer muß wissen, wie er zum Ziel kommt. Der Concierge übernimmt die Vermittlung, wobei die Firma, zu der es gehen soll, am besten direkt mit dem Fahrer über dessen Mobiltelefon spricht. Damit sind alle informiert, daß ich unterwegs bin.
Das Unternehmen, bei dem ich zu Besuch bin, hat etwas dreihundert Mitarbeiter und gehört einer Familie, die auch Banken und andere Unternehmen ihr eigen nennt. Der Geschäftsführer ist der einzige Saudi. Einkauf und Buchhaltung machen oft Pakistanis, so auch hier. Im Engineering findet man typischerweise Jordanier, Palästinenser oder Syrer. Natürlich kann es auch einmal anders sein. Die praktischen Arbeiten in der Vorfertigung und auf den Baustellen werden von Asiaten aus verschiedenen Ländern erledigt. Es herrscht multikulti. Die Hierarchie ist streng. Gebetszeiten werden geschlossen eingehalten. Gearbeitet wird an sechs Tagen in der Woche. Die Büros sind äußerst nüchtern eingerichtet. Privates gibt es nicht. Mehrmals habe ich schon Belegschaften von mehr als zehn bis zwanzig Leuten gesehen, die in einem fensterlosen Raum an kleinen Einzeltischen sitzen. Ich spreche meistens mit dem mittleren Management und dem Geschäftsführer. Frauen sind in saudischen Unternehmen nicht sichtbar. Sollten überhaupt welche arbeiten, sitzen sie in einem Großraumbüro und erledigen stupides Zeug. Es ist undenkbar, daß man als europäischer Besucher mit ihnen in Kontakt kommt. Es soll Ingenieurinnen geben. Ich frage mich, wie diese arbeiten, ohne mit dem Planungsbüro oder den Lieferanten zu sprechen und ohne jemals eine Baustelle besucht zu haben.
Der Umgangston gegenüber Besuchern ist immer freundlich. Dies ist ein wesentlicher und positiver Unterschied zu Deutschland, wo der Ton zwischen den Leuten unwirsch, arrogant und vor allem wichtigtuerisch geworden ist. Die Atmosphäre ist meistens offen und konstruktiv. Es gibt Tee und Wasser. Am Ende wird an diesem Tag über Politik geredet. Wir sind die Tochterfirma einer israelischen Gruppe und haben ein Werk in Südeuropa. Manche Gesprächspartner wissen dies, manche nicht. Es gibt auch in Saudi kein Embargo mehr, das Geschäfte in dieser Konstellation verbietet. Natürlich versuchen unser Wettbewerber, uns im Glauben, wir würden damit stigmatisiert, als Israelis darzustellen. In Saudi leben viele Leute tatsächlich im Tal der Ahnungslosen und kennen auch den Markt der Zulieferer nicht. Andere, vor allem Palästinenser, Jordanier und Libanesen kennen unseren Hintergrund. Die Reaktion ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Man trifft selten künstliche Wichtigtuerei, wenn das Wort Israel fällt. Nicht, daß ich jemals der Argumentation meines pakistanischen, libanesischen, oder palästinensischen Gesprächspartners zugestimmt hätte, aber was sie sagen, hat meistens in sich eine gewisse Logik und oft ist der Gesprächspartner persönlich von den Problemen betroffen. Allerdings bin ich auch schon wiederholt mit einem freundlichen Heil Hitler begrüßt worden, oder man bewundert Osama bin Laden. Political correctness ist hier etwas anders.
In Saudi Arabien gibt es mehrere englischsprachige Tageszeitungen. Sie werden zensiert. Jeden Tag gibt es zwei antiisraelische Artikel. Im Stil sind sie vergleichsweise moderat, in der tagtäglichen Wirkung allerdings verheerend, weil sie die Ereignisse verzerrt und einseitig darstellen. Wer nie etwas anderes gelesen und gehört hat, ist unfähig, sich ein realistisches Bild zu machen.
Mein pakistanischer Gesprächspartner ist verbittert über Al-Qaida und den Mißbrauch des Islam. Er erklärt lange, daß dies mit dem wahren Glauben nichts zu tun habe. Er macht sich Sorgen über sein Heimatland.
Am Abend gehe ich durch eine Shopping Mall. Sie ist neu und liberal. Einzelne Männer können eintreten und gehen neben Frauen, die alle verschleiert und in Begleitung ihrer Familien sind, durch die Gänge. Es gibt Familienzonen, zu denen Männer ohne weibliche Begleitung keinen Zutritt haben. Einige Geschäfte und auch MacDonalds im Food Court haben getrennte Bereiche für Männer und Frauen. Ich suche vergebens einen Buchladen oder einen Zeitungsstand. Literatur ist nicht gerade populär auf der Arabischen Halbinsel.
Von halb sechs am Abend bis sechs in der Frühe sind alle Geschäfte geschlossen. Es ist Gebetszeit. Ich gehe im Hotel noch ins Restaurant. Wie löst man dort das Geschlechterproblem? Wie ißt eine verschleierte Frau, wenn fremde Männer im Raum sind? Die Lösung ist eine faltbare Stellwand, mit welcher der Tisch umgeben wird. Ich bin gespannt, wann ich das zum ersten Mal in Deutschland sehen werde.
Am nächste Tag besuche ich einen Energieversorger. Die Containerbüros sind am Stadtrand von Jeddah in der Nähe des Flughafens. Es ist ein sicherer Compound, wie es sehr viele in Saudi gibt, umgeben von Mauern und Stacheldraht. Die Zufahrt hat eine tiefe Fahrzeugschleuse. An jedem Ende MG Nester. Man hat Angst vor Anschlägen. Das Taxi darf nicht einfahren und ich gehe einen weiten Weg zu Fuß. Es wird nichts produziert in diesem Anwesen, hier gibt es ausschließlich Wohn- und Bürocontainer. In der Mitte sind Tennisplätze. Die Bachelors, so werden alleinlebende Männer genannt, wohnen isoliert von den Familien. Hier arbeiten fast nur Asiaten. Sie haben Drei- oder Fünfjahresverträge und bekommen vier Wochen Heimaturlaub im Jahr. Keiner hat je von unserer Firma gehört, was einerseits etwas merkwürdig ist, andererseits die Sache leichter macht.
Am Abend ergattere ich zwei Zeitungen. Wieder wird über die schlechte Behandlung von Frauen berichtet. Gleich zwei lange Artikel erscheinen. Immerhin wird dies thematisiert. Gleichwohl ist die Lage der Gewaltopfer, um die es geht, hoffnungslos. Eine Frau kämpft seit vierzehn Jahren vor Gericht um die Scheidung von ihrem tyrannischen Ehemann. Eine andere wird einmal wöchentlich ohne jeden Grund verprügelt und auf die Straße geworfen. Sie klagt, daß sie nirgendwo hin könne. Ihre Mutter schickt sie immer wieder zurück, sie meint, daß man in einer Familie zusammenhält. Ich denke an den Kopftuchstreit vor deutschen Gerichten und bis zu welchem Extrem sich alles steigern kann. Materielle und soziale Abhängigkeit sind eine schreckliche Waffe.
Das Leben in diesem Land ist einfach zu verstehen und klar strukturiert. Es herrschen die Monarchen, die Klerikalen und der Geldadel. Die soziale Struktur ist ebenso schlicht. Jeder hat seinen Platz. Männer und Frauen, Saudis, andere Araber, Gastarbeiter und Expatriots. Nach außen herrschen Sittlichkeit und strenge Religiosität. Alles scheint stabil und der Staat greift ein, wenn es Störungen gibt. Mal wird ein Bordell ausgehoben, mal Al-Qaida im Jemen bekämpft. Andere Nachrichten gibt es nicht. Vielleicht ist es die Sehnsucht nach einer neuen Ordnung, die frei ist von Selbstzweifeln und die unumstößliche Werte vermittelt, die eine solche Gesellschaft in den Augen der linksliberalen Meinungsführer in Deutschland attraktiv macht und jene, die ihre fanatischen Auswüchse kritisieren, als islamophob und gleichsam intolerant brandmarken läßt.

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