Henryk M. Broder / 21.01.2007 / 09:31 / 0 / Seite ausdrucken

Kristina Klug: Um 22 Uhr geht das Licht aus

achgut hat jetzt eine China-Korrespondentin: Kristina Klug,
geboren und aufgewachsen in Schmoelln/Thueringen. Nach dem Abitur
Biologiestudium in Greifswald,  Praktikum an der Taiwan
National University und ein Jahr Landarbeit auf einer Farm in Island .
Seit dreieinhalb Lektorin am Deutsch-Kolleg der Tongji Universitaet
in Shanghai. Hier ihr erster Bericht aus dem chinesischen Alltag:

Irgendwann waehrend des letzten Semester erzaehlte ich einigen meiner
Studenten, dass ich gerne mal eine Reise durch Westchina machen wuerde.
Ein paar der uigurischen Studenten luden mich auch gleich zu sich nach
Xinjiang ein und ich beschloss, auf dem Weg dahin noch in Xi’an
Zwischenstation zu machen. Auch hier lud mich eine Studentin zu ihrer Familie
ein.
Und so ging es gestern von Shanghai aus los.
Das Taxi kaempft sich laut hupend durch den
nachmitttaeglichen Stau Richtung Hauptbahnhof und Frau Wang, die Studentin, mit der
ich reise, und ich fliessen im Strom der Menschen durch die erste
Fahrkartenkontrolle, Gepaeckkontrolle, zweite und dritte Fahrkartenkontrolle
und vorbei an bruellenden Zeitungsverkaeufern und mit Megaphon auf sich
aufmerksam machenden Versicherungsanbietern in unser Zugabteil. Hard
sleeper, d.h. 6 Betten pro Abteil, je 3 uebereinander, ausgestattet mit
Kopfkissen und Decke und ausgerichtet fuer Leute mit einer
Koerpergroesse von ca. 160cm, fuer mich schon ein wenig an der Grenze - entweder
stoesst der Kopf an die Wand oder die Fuesse sind schon halb auf dem Gang,
denn diese Abteile haben keine Tuer.
Mit uns reist ein Paerchen, sie ist etwas verschnupft und klaert jede
halbe Stunde hoer- und sichtbar ihre Kehle, Lunge, Nase - was auch immer
sie aus den Tiefen ihrer Atemwege nach draussen befoerdert, wird
wenigstens nicht auf den Boden (auch schon erlebt), sondern in den Muelleimer
gespuckt. Vor uns liegen 17 gemeinsame Stunden…
Mit schoener Regelmaessigkeit kommen Verkaeufer von Keksen, Obst,
nichtalkoholischen Getraenken und Bier vorbei, bis nach Ankuendigung durch
einen Polizisten puenktlich um 22 Uhr das Licht geloescht wird.
Am naechsten Morgen gegen 7 ist allgemeines Wecken - die Neonroehren
strahlen ein deutliches Signal aus und die Dame im Abteil befoerdert als
Morgengruss Atmenwegsinhalte ans Neonlicht.
Draussen geht die Sonne ueber Ziegelfabriken und leeren Feldern auf,
drinnen schieben wieder die Verkaeufer ihre Waegelchen, jetzt mit
Reissuppe und Mantou, eine Art gedaempfter Broetchen.
In Xi’an, nachdem wir nochmal durch eine Fahrkartenkontrolle mussten,
werden wir schon erwartet, Frau Wangs Mutter und ein Arbeitskollege
ihres Vaters erwarten uns am Bahnhof und es werden auf dem Weg nach Hause
das zweitwichtigste besprochen, naemlich was wir in den naechsten Tagen
anschauen werden, und das wichtigste - was wir essen werden. Ich bin
fuer Frau Wangs Mutter die erste Auslaenderin, mit der sie je Kontakt
hat, sie ist entsprechend nervoeus. Hat erstmal wegen meines Besuchs neues
Geschirr, neue Handtuecher und Bettwaesche gekauft und weiss nicht so
genau, wie sie sich verhalten soll. Aber sie sieht, dass mir ihre
selbstgekochte jiaozi (kleine gefuellte Teigtaschen) sehr gut schmecken und
dass ich tatsaechlich mit Staebchen essen kann - Frau Wangs Kommentar:
Mensch Mama, sie ist schon 3 Jahre in China! - das beruhigt sie.
Und so kann ich mich aufmachen, Xi’an zu erkunden…

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