Henryk M. Broder / 30.10.2013 / 20:25 / 8 / Seite ausdrucken

Jeder spült für sich allein

Ein Maßstab für die Kultur eines Landes ist der Zustand seiner öffentlichen Toiletten. Wenn Sie schon mal in Indien oder Italien unterwegs waren, wissen Sie, was ich meine. Deutschland hat sich in dieser Beziehung erheblich verbessert, vor allem dank den Firmen Wall und Sanifair. Weil in Deutschland aber der Analcharakter weit verbreitet ist - “Geiz ist geil!” - regen sich seine Repräsentanten darüber auf, dass sie für die Toilettenbenutzung auf Autobahnraststätten bezahlen müssen, den ungeheuren Betrag von 70 Cent, von denen 50 beim Einkauf angerechnet werden, also netto 20 Cent! Denn sie nehmen ja nix mit, sie lassen was da! Und deswegen nimmt die Zahl der so genannten Wildpinkler zu, es gibt sogar eine Datenbank, in der fast 2000 kostenlose öffentliche Toiletten gelistet werden. Ja, da lohnt sich der weiteste Umweg.

Was machen Sie, wenn Sie mal müssen? Reißen Sie sich zusammen, bis Sie wieder Zuhause sind? Oder gehören Sie zu den Geniessern, die es sich auf der Toilette gerne gemütlich machen? Mit dem Feuilleton der ZEIT, einem Essay von Peter Sloterdijk oder den Memoiren von Boris Becker? In diesem Fall hätte ich was für Sie: Ein Papier der EU-Kommission mit dem Titel “Development of EU Ecolabel Criteria for Flushing Toilets and Urinals” vom Mai dieses Jahres. Ich schwöre es beim Anlasser meines SAAB 96 - ich habs mir nicht ausgedacht, den Technical Report gibt es wirklich. Hunderte von Experten haben an ihm mitgearbeitet, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Sechzig Seiten voll aufregender Details. EU-Bürger sollen künftig nicht mehr als sechs Liter pro Spülung verwenden. Natürlich gibt es die üblichen Ausnahmeregelungen, die der kulturellen Vielfalt in Europa entsprechen.

Ich freue mich schon auf die dazugehörige Debatte im Europa-Parlament. Denn im Gegensatz zu der Öko-Design-Richtlinie “zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung energieverbrauchsrelevanter Produkte”, bei der es um drei Dutzend Produktgruppen geht, darunter Heizkessel, Drucker, Kopierer, Kaffeemaschinen und Klimaanlagen, gehört der Technical Report for Flushing Toilets and Urinals zu den Projekten, die in die Zuständigkeit des Parlaments fallen. Hier können die Abgeordneten ihre Erfahrungen einbringen. Und für die Abstimmung hat sich das Präsidium des Parlaments (Präsident Martin Schulz und seine 14 Stellvertreter) etwas Neues ausgedacht. Einmal kurz spülen bedeutet Nein, lang spülen bedeutet Ja.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

James Taylor / 31.10.2013

Doch ein Lichtblick: Wenn Sie auf sich selbst achten wie auf den Saab, werden Sie noch erleben, dass Sie für Ihren Urin nicht nur nichts zahlen müssen, sondern sogar etwas bekommen. Da ist nämlich neben Gestank bei sommerlichen Temperaturen auch Phosphor in erheblichen Mengen drin, ohne den, wie Sie wissen, die industrielle Landwirtschaft am Ende wäre. Die Phosphorvorkommen (Gestein) sind nur klein und im großen Maßstab an nur 5 Orten der Welt abbaubar. Phosphor ist, real betrachtet, schon heute wichtiger und teurer als Öl. Also Kopf hoch, denn Sanifair und die EU werden Ihnen bald Geld dafür bieten und dann wird es Ihnen gleichgültig sein, mit wie viel Wasser die das vermischen wollen.

Antje Böttinger / 31.10.2013

Man, wäre das toll einen dieser gutbezahlten Jobs im “Europaparlament” als Parlamentarier zu ergattern! Dämliche Ideen “entwicken” und viel Geld dafür zu kassieren, gut mit dem ersten Teil hätte ich meine Schwierigkeiten, denn ich wäre gar nicht in der Lage, so beschränkt zu denken!

Jürgen Decker / 31.10.2013

Lieber Herr Broder, Sie haben es wirklich drauf! Mit Ihrem feinem Humor beleuchten Sie wieder einmal eine krasse Fehlentwicklung innerhalb des Fehlkonstruktes EU. KLASSE und weiter so! P.S. beim Lesen der Texte “höre” ich mittlerweile sogar Ihre Stimme…

Andrea Lauser / 31.10.2013

Vielleicht sollte man anstatt der Staats- und Regierungschefs die EU-Toilettenspülung-Kommission mit der Frage des Flüchtlingsproblems beauftragen. Wer sich auf 60 Seiten mit Umweltkriterien für das Spülen von Toiletten und Urinalen befassen kann, der findet doch sicher auch eine Lösung für die Flüchtlinge!!

Reimund Weismar / 31.10.2013

“EU-Bürger sollen künftig nicht mehr als sechs Liter pro Spülung verwenden.” Bei einem so ernsten wie wichtigen Thema sollte man bei den Fakten bleiben: es sollen nur FÜNF Liter verbraucht werden! Ich beziehe mich diesbezüglich auf den heutigen Artikel “Europäer sollen mit nur fünf Liter Wasser spülen”, veröffentlicht am 30.10.2013 auf Won von Herrn Florian Eder. In dem Artikel -immerhin kann Herr Eder ein “Studium der Geschichte und Romanistik” vorweisen sowie ein “Volontariat bei der “Financial Times Deutschland”- heißt es: “Künftig sollen fünf Liter volles Spülvolumen ausreichen, für Urinale einer. Weniger – ein Vorschlag war drei Liter – sei technisch “nicht machbar…” Demnach will die EU also erreichen, dass pro Spülgang nur FÜNF Liter Wasser verbraucht werden! Wenn wir jetzt mal von 4 Toilettenspülungen/Tag pro Person ausgehen (einmal groß, dreimal klein), dann ergibt das bei 739,2 Millionen Europäern einen zukünftigen Minderverbrauch an Wasser in Höhe von: 2 Milliarden 956 Millionen und 800 Tausend Litern Wasser pro Tag oder:       1.079.232.000.000 Litern Wasser pro Jahr! Wann - wenn nicht in diesem Augenblick - wäre es angebracht, zu sagen: Danke EU, Danke Martin Schulz, Danke ihr 14 Stellvertreter von Martin Schulz, Danke ihr 4365 EU-Beamte, die Ihr mehr verdient als die Bundeskanzlerin, Danke ihr 46000 EU-Beamte, die ihr euch täglich mit diesem Verodnungs-Schwachsinn rumquälen müsst - JA, IHR SEID GROßARTIG UND JEDEN CENT WERT !!!! SO, UND NUR SO KANN DIE WELT GERETTET WERDEN !!!

Bernhard Schiller / 31.10.2013

Kleiner Einwand, Herr Broder. Könnte es nicht eher sein, dass so etwas wie Sanifair gerade beim Analcharakter besonders gut funktioniert? Sauber, sicher und ordentlich pinkeln und dabei auch noch 50 Cent beim Einkauf sparen. Werbepsychologen wissen das. Weshalb sonst sollten 70% vom Pinkelpreis gar nicht an Sanifair gehen? Ist das Führen von Wildpinkler-Statistiken eigentlich auch einer Regression in die anale Phase geschuldet?    

Gerald Winkler / 30.10.2013

Aber Herr Broder! Allgemeine (und allgemein gehaltene ...) Kritik am aktuellen Kurs sowohl der Politik, als auch der Wirtschaft erheben bei sonstig allgemeiner Dissonanz doch unisono den Vorwurf, Politik und Wirtschaft würden sich nicht an den “wirklichen” Bedürfnissen der Menschen orientieren! Jetzt kümmert sich die Politik und in deren Gefolge die (Porzellan?-)Wirtschaft konkret um Diese und Sie sind wieder am meckern! Das ist nicht (Sani?-)Fair! Sie beschrieben die “Hunderte von Experten” in Ihrem Beitrag! Machen wir uns doch nichts vor: Endlich dürfen wir skeptischen Geister zutreffend behaupten, die “Experten” der “EU” sind für den Ar…! Weiter so EU! Wichtiger jedoch: Weiter so BRODER! Mit freundlichen Grüßen, Gerald Winkler

Elisabeth Lahusen / 30.10.2013

Schon allein diesen Schmarrn zu lesen, verursacht chronische Diarrhoea - aber da saßen Dutzende dieser vollkommen überflüssigen Beamten und formulierten in tagelangen Sitzungen 60!!! Seiten nur über den Lokus. Und irgendwelche armen Sekretärinnen müssen das aufschreiben und gedruckt wirds und verteilt wirds und - aber leider wohl nicht perforiert.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Henryk M. Broder / 12.03.2024 / 14:00 / 62

Christian Wulff: Liechtenstein? Nein, danke!

Unser beliebter Ex-Präsident Christian Wulff hat Angst, Deutschland könnte auf das Niveau von Liechtenstein sinken. Das kleine Fürstentum hat auf vielen Gebieten längst die Nase…/ mehr

Henryk M. Broder / 07.03.2024 / 16:00 / 19

Aserbaidschanische Kampagne verhindert Armenien-Debatte

Eine in Berlin geplante Buchpräsentation und Diskussion über bedrohtes armenisches Kulturgut konnte aus Sicherheitsgründen nur online stattfinden. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP)…/ mehr

Henryk M. Broder / 01.12.2023 / 15:00 / 28

Irre ist das neue Normal (7)

Geht es um Israel, die Palästinenser, das Pogrom vom 7. Oktober und den Krieg in Gaza, melden sich immer mehr Experten zu Wort, die beweisen,…/ mehr

Henryk M. Broder / 09.11.2023 / 14:00 / 59

Wehret den Anfängen? Dafür ist es jetzt zu spät!

Es ist alles schon mal dagewesen. In den Protokollen der Weisen von Zion, in den Gesetzen zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre,…/ mehr

Henryk M. Broder / 04.11.2023 / 12:00 / 48

Die Baerbock-Sprünge über den eigenen Schatten

Nach ihren Reisen in den Nahen Osten und nach New York, zur Stimmenthaltung bei einer gegen Israel gerichteten UNO-Resolution, kümmerte sich Außenministerin Annalena Baerbock um…/ mehr

Henryk M. Broder / 01.11.2023 / 14:00 / 112

Irre ist das neue Normal (5): Die Grenzenlose

Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus findet, dass wir eine Grenze zur Aufnahme von Flüchtlingen „noch lange nicht erreicht haben“. Dabei gibt es schon bei uns mehr…/ mehr

Henryk M. Broder / 30.10.2023 / 06:15 / 96

Irre ist das neue Normal (4): Ein deutscher Diplomat

Der deutsche Top-Diplomat Christoph Heusgen stellt sich im „heute journal" des ZDF hinter den UN-Generalsekretär Guterres und phantasiert über eine Zwei-Staaten-Lösung, die er zum „geltenden…/ mehr

Henryk M. Broder / 23.10.2023 / 15:00 / 34

Irre ist das neue Normal (2)

Früher war das Betreten des Rasens verboten, heute ist der „Generalverdacht“ ein vermintes Gelände. Zwei Beispiele aus dem Gruselkabinett der letzten Tage. Vor etwas weniger…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com