Cora Stephan / 17.05.2009 / 15:02 / 0 / Seite ausdrucken

Ja, so sieht Qualitätsjournalismus aus!

Ich kann das gut verstehen, wenn einem nichts Vernünftiges einfällt zu ausrastenden jungen Männern, die mordend und sengend durch die Gegend ziehen. Was sollte es für Gründe dafür geben oder auch nur Anlässe, die man (sich) erklären könnte?
Doch soviel Nihilismus tut den meisten Menschen weh.

Noch schmerzender empfinden sie die damit verbundene Vorstellung, „nichts dagegen tun“ zu können. Schließlich beschäftigen sich Deuter, Denker und Soziologen ohn’ Unterlaß mit der Suche nach Gründen, um aus ihnen abzuleiten, was zu tun sei, damit „soetwas nie wieder passiert“. Es hieße ja sonst, in eine Welt zurückgestoßen zu sein, in der man hinnehmen muß, was man nicht ändern kann. Das aber ist nicht vorstellbar in einem Universum, in dem an der Wurzel des Übels die Verhältnisse walten und nicht die Menschen.
Unerträglich für die denkende und deutende Klasse, für Experten und Journalisten. Gottlob haben wir Qualitätsjournalismus, der investigativ nach Gründen forscht, damit wir wissen, was demnächst abzuschaffen ist. Ganz oben auf der Liste, gleich nach Waffen und Ballerspielen: ein Vater wie Hansjürgen Häussler.
Häussler, so haben es fünf (5!) Weltklassejournalisten des „Stern“ herausgefunden, stand einer perfekten Familie vor. Einer „scheinbar so perfekten Familie“, denn erklärungsbedürftig ist, warum Häussler, seine Frau und seine beiden erwachsenen Töchter vom einzigen Sohn Andreas und dessen Freund Frederik in der Nacht zum Karfreitag erschossen worden ist. Mutmaßlich. „Hingerichtet mit 30 Schuß aus zwei Kleinkaliber-Pistolen.“ Warum? Warum „ausgerechnet die Häusslers, die so nett waren, so höflich, so perfekt?“
Die Frage suggeriert die Antwort: darum. Hinter einer so perfekten Familie kann sich nur das Grauen verbergen. Unter dieser Fragestellung gingen unsere Journalisten „auf Spurensuche“: „die Reporter sprachen mit engen Freunden, Schulkameraden, Kollegen aus dem Schützenklub und der DLRG, Nachbarn, der Polizei, der Staatsanwaltschaft.“
„Heraus kam ein Bild der Familie Häussler, das so gar nicht dem entsprach, das sie nach außen vermittelte.“ Wer hätte das gedacht. Es gab – Konflikte! Im Zentrum: Hansjürgen Häussler. Engagierter Bürger, in der CDU, half im Pfarramt, war nett zu seinen Patienten, joggte dreimal die Woche, sah verdammt gut aus, hatte seltsame Vorstellungen vom gesunden und richtigen Leben, nämlich recht vernünftige: Die Kinder wuchsen ohne Fernseher und Computer auf und durften keine Süßigkeiten essen. Der „Stern“ schließt auf anderes: Vorne ist Häussler ein Saubermann, „dem Herrn zum Wohlgefallen, den Nachbarn ein Vorbild“, gehorsam und ordnungsversessen. Und hinter der Fassade waltet seelische Grausamkeit.
Der Vater ist in der Kirche dominant aufgetreten? Wie schlimm muß er erst zu Hause gewütet haben! „Mit strengen Regeln und Vorschriften“, mit „seiner Tugendhaftigkeit“ hat er die Familie geknechtet: der Sohn mußte zweimal die Woche ins Fitnesstudio. Zwischen 12 und 13.30, während des Mittagsessens, durfte bei Häusslers nicht angerufen werden. Frau Else wurde einmal dabei erwischt, wie sie „mitten in einer Diskussion“ hastig aufsprang, um zu Hause das Essen zu machen. Ihr Mann habe sie einmal angebrüllt, weil sie nicht das versprochene Essen auf den Tisch stellte. Der „wilde Choleriker“ habe die Familie rücksichtlos zum Wandern gezwungen, nur mit Wasserflasche und Apfel bewaffnet, was die Ehefrau am Wegesrand habe zusammenbrechen lassen.
Dabei war Papa Häussler früher mal ein Langhaariger, der Kondome verkaufte und auch schon mal einen durchzog. Aber - kennen wir das nicht? Sind Renegaten nicht die Schlimmsten?
Die Folgen? Schrecklich. Die Töchter waren superbrav, studierten, hatten je einen festen Freund – verdächtig angepaßt also. Andreas aber hat keine Freundin gehabt. Nur einen Freund. Eine homosexuelle Beziehung? Nichts genaues weiß man nicht, nur eins: Sich outen ging nicht. Denn: Eislingen ist ein „Kaff, in dem jeder jeden beobachtet und es Leute gibt, die Leserbriefe an die Zeitung schreiben, weil sie sich über moderne Skulpturen ereifern.“
Ein Ort des Schreckens also, denn kein Weltklassejournalist kann sich offenbar vorstellen, daß es den einen oder anderen verdammt guten Grund geben könnte, um sich über moderne Skulpturen zu ereifern oder dagegen zu protestieren, daß sie nutzlos und blöde den öffentlichen Raum vorstellen.
Egal. Im spießigen Eislingen bei den superoberspießigen Häusslers nahm das Schicksal seinen Lauf: Andreas besaß heimlich einen Computer „mit Ballerspielen“ (gehören verboten) und schwänzte Familienaktivitäten (kann man ja verstehen!). Knackte den Tresor im Schützenhaus (18 Waffen umd 1000 Schuß Munition, verbieten!). Und ging dann mutmaßlich gemeinsam mit Frederik ans Werk.
Warum? Und warum mußten auch die beiden Schwestern dran glauben? Wir wissen es nicht, aber nach der Lektüre vermuten wir, daß das alles mit dem Tugendterror des Vaters, mit Joggen und Fitneßstudios und den skulpturenfeindlichen Schwaben zu tun hat.
Ja, so sieht moderner Journalismus aus! Was man nicht weiß, muß man eben insinuieren, wenn man 4 mager illustrierte Seiten zur Verfügung hat und die vielen befragten Quellen nichts wesentliches ergeben haben.
Nur Spaßbremsen nennen den Artikel ein Machwerk voller Klischees und Ressentiments. Eine Schmähung des Familienvaters, eines der Opfer, post mortem. Das bißchen bürgerliche Wohlanständigkeit, das der Vater erstrebte, findet sich denunziert als einen möglichen Grund für seine Auslöschung. Perfider geht’s nimmer.
So wird Boulevardjournalismus zu Propaganda. Diffamiert werden nicht Rasse oder Abstammung, sondern Geschmack (Skulpturen!) und Lebensweise (gesund!) sowie ein Erziehungsstil, den man dieser Quellenlage zufolge noch nicht einmal als autoritär bezeichnen könnte.
Das einzig Echte an diesem Stück Revolverjournalismus sind die beiden Schlußsätze: „Warum die Familie Häussler sterben mußte, wissen nur sie (Andreas und Frederik). Wenn überhaupt.“
Danke. Diese Erkenntnis hätte völlig gereicht.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Cora Stephan / 06.02.2016 / 17:29 / 8

Der postheroische Mann und andere Verlustanzeigen

Die Masse macht’s. Selten ist der Einzelne das Problem, ob er nun Kriegsflüchtling ist oder sich ein besseres Leben wünscht. In der Silvesternacht aber hat…/ mehr

Cora Stephan / 12.12.2015 / 16:11 / 7

Operettenkrieg

Ich bin keine Pazifistin – und genau deshalb ist mir das moralische Argument für militärische Aktionen suspekt. Es gibt keinen guten Krieg, höchstens ist er…/ mehr

Cora Stephan / 07.12.2015 / 15:24 / 3

Nur noch schnell die Welt retten

Politiker sind Menschen mit ganz wahnsinnig viel Lust – Lust auf Politik, auf die Macht, aufs Regieren, aufs Gestalten. Darauf, etwas „für die Menschen“ zu…/ mehr

Cora Stephan / 26.11.2015 / 09:58 / 11

Wenn Syrer unter den Linden Kaffee trinken…

Polens neuer Außenminister hat sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit gewaltig in die Nesseln gesetzt. Witold Waszczykowski von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis)…/ mehr

Cora Stephan / 20.11.2015 / 10:07 / 1

Staatsversagen, Teil 2

Ich bin in Frankreich, während ich dies schreibe, nicht in Paris, sondern in tiefster Provinz, wo die Hauptstadt fern ist. Vielleicht liegt es auch an…/ mehr

Cora Stephan / 16.11.2015 / 17:28 / 5

Staatsversagen

Es war ein strahlender Sommer und ein wunderbarer Herbst. Doch dann hatte er uns wieder, der November, der deutsche Schicksalsmonat. Weltkriegsende und Novemberrevolution, Reichskristallnacht und…/ mehr

Cora Stephan / 04.11.2015 / 16:28 / 3

Deutschland - vom Ende her gedacht

Was will Angela Merkel? Wo ist ihr Grand Design, wo der Entwurf einer Außenpolitik, die diesen Namen verdient? Was sind ihre Ziele – bei der…/ mehr

Cora Stephan / 26.10.2015 / 18:43 / 3

Keine Toleranz den Intoleranten

An den westdeutschen Universitäten wurde lange Jahre gelehrt, Deutschlands zwölf dreckige Jahre verdankten sich einem „deutschen Sonderweg“, der es vom „Westen“ ab- und in die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com