Norbert Jessen, Gastautor / 26.06.2017 / 16:54 / Foto: NASA / 6 / Seite ausdrucken

Gewaltspirale in Nahost: Im Norden etwas Neues

Von Norbert Jessen.

Auch am Montag - wie am Wochenende - schlugen wieder Granaten aus Syrien auf dem Golan ein. Entlang des Grenzzauns mussten israelische Soldaten Tausende Ausflügler davon abhalten, die Obsthaine im Grenzstreifen zu besuchen. Premier Benjamin Netanjahu stellte am Sonntag klar: „Kein Beschuss unseres Territoriums wird hingenommen. Nicht durch Mörser, nicht durch Raketen, nicht tröpfchenweise und nicht verirrt. An keiner Front werden wir Angriffe auf unsere Bürger hinnehmen.“  

Am Wochenende ließ sich der Beschuss nicht mehr als „Tröpfeln“ einordnen. 15 Einschläge in drei Tagen in einem gut besuchten Ausflugsgebiet sind auch in Israel keine Routine. Doch Assads Regierungstruppen waren in Panik geraten, nachdem die aufständische Freie Syrische Armee (FSA) von ihren Golan-Stellungen aus die nahe Hauptverbindungsachse Damaskus-Beirut angegriffen hatte. Von hier aus ist nachts der hellere Himmel über der nur 40 Kilometer entfernten syrischen Hauptstadt gut zu sehen. Assads Armee reagierte heftig. Granateinschläge auch jenseits der nahen Grenze zu Israel wurden billigend in Kauf genommen. Das war kein Irrfeuer. 

Israels Armee reagierte ebenfalls nicht mit der üblichen Routine „Sachschaden gegen Ruhestörung“. Zwei fahrende syrische Panzer wurden diesmal von Luftraketen getroffen. Nicht die syrischen, andere arabische Medien berichteten von zwei Toten. In einer Stellungnahme des syrischen Armeesprechers wurde betont, dass dabei der syrische Luftraum durch israelische Kampfflugzeuge nicht verletzt wurde. Wohl als Erklärung für das Ausbleiben einer Abwehrreaktion der syrischen Flugabwehr. Wenige Wochen zuvor, als israelische Kampfflugzeuge einen schweren Waffentransport an die schiitische Hisbollah-Miliz verhinderten, hatte das russische Luftabwehrsystem mit Flugabwehrraketen aus russischen Abschussrampen reagiert. 

Der Minister kommt an die Front

Am Sonntag und Montag waren die Granateinschläge wieder an einer Hand abzuzählen. Auch Israels Reaktion richtete sich wie gehabt gegen militärische Objekte. Alles wieder „im Rahmen“. Trotzdem zeigte sich Syriens Verteidigungsminister Imad al Freij persönlich an der Front. Ist deren „Rahmen“ doch schneller gesprengt als die GPS-Lenkung eines Granatwerfers eingestellt. Schreckensszenarien jenseits jeder Routine sind leichter abzuschätzen als die Streubreite von Granaten.

Was passieren könnte: Im offenen Feld wird eine israelische Familie mit Kindern getroffen. Der folgende massive Gegenbeschuss zieht die syrische Luftabwehr mit in die Kämpfe ein. Was in Sekunden und aufgrund voreingestellter Elektronik passiert. Die Befehlshierarchie hat dann schon nicht mehr die volle Kontrolle. Genauso wenig wie ein Pilot die elektronisch gelenkten Abwehrraketen seiner Kampfmaschine. Auch russische Berater in syrischen Stellungen sind dann bedroht. Mit einer Eigendynamik, in die auch westliche Berater und die US-Marine im nahen Mittelmeer blitzschnell verwickelt sein könnten. Alles läuft schneller ab als die zur selben Zeit stattfindenden Al-Quds-Aufmärsche in Europas Hauptstädten. 

Russische Experten warnen vor möglichen Versuchen der Rebellen gegen Assad, durch grenznahe Aktionen Israels Armee in die Kämpfe hinein zu ziehen. Israelische Experten sehen neuerdings eine weitere Gefahr: Assads schiitische Verbündete arbeiten sich im Bürgerkrieg gezielt zur israelischen Grenze vor. Vom Iran gesteuert, über schiitische Kräfte im Irak nach Syrien bis in den Libanon. Mit schiitischen Freiwilligen aus der gesamten moslemischen Welt. Im Süden steht die vom Iran unterstützte Hamas im Gazastreifen.

Gleichzeitig zur schiitisch kontrollierten Landbrücke entwickelt die Hisbollah in Libanon ihre eigene Waffenindustrie, mit iranischem Know-how. Irgendwann wird auch sie das Ziel israelischer Luftangriffe sein. Wodurch die innere Ruhe in Libanon gefährdet ist. Denn die Bereitschaft von Sunniten und Christen in Libanon, erneut gegen Israel zu kämpfen, wird nicht so ausgeprägt sein wie in den Reihen der Hisbollah. Ein neuer libanesischer Bürgerkrieg wäre dann keineswegs abwegig. 

Eine neue Miliz entsteht

Jordaniens König Abdallah warnte schon 2004 vor der Entstehung eines „schiitischen Halbmondes“ zwischen Iran und Libanon. Jetzt kann er der Entstehung einer neuen internationalen Schiiten-Miliz im Irak längs der Grenze zu Jordanien mit dem Fernrohr zusehen. Sie haben vor wenigen Tagen einen Grenzübergang  am Dreiländereck Syrien, Irak, Jordanien eingenommen. 

Diese Miliz mit Schiiten aus Pakistan, Bangladesh und Afghanistan ist der irakischen Miliz Chaschd a-Schaabi angegliedert, die sich 2014 zum Kampf gegen den Islamischen Staat gründete. Vor allem mit schiitischen Kräften, aber auch mit IS-feindlichen Sunniten, Christen und Jesiden. Bislang eher ein bunt zusammen gewürfelter Haufen. Er wird aber seit Monaten verstärkt von den iranischen Revolutionsgarden ausgebildet. Gelingt es diesen Kräften, besser bewaffnet und besser ausgebildet, längs der jordanischen und israelischen Grenze Stellung zu beziehen, gehen die Alarmlichter in Amman wie Jerusalem an. Mossad-Chef Jossi Cohen spricht von einer „Hisbollah 2“.

Auch in Moskau und Washington spannen sich die Nerven an. Im Kampf gegen den IS verfolgen alle dasselbe Ziel: Die Zerschlagung der Kalifatshorden. Im syrischen Bürgerkrieg verfolgen sie gleichzeitig gegensätzliche Interessen. Wie unterschiedlich die sind, zeichnete sich am Wochenende auf dem Golan deutlich ab. Für Teheran wäre auch ein Sieg im syrischen Bürgerkrieg nicht das Ende aller Kämpfe. 

Ayatollah Ruhollah Chomeyni kannte nur ein Ziel: „Zum Schluss befreien wir Jerusalem.“

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Leserpost

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Karl Eduard / 27.06.2017

Werter Herr Jessen, tatsächlich bekämpft die Assad-Armee den IS. Tatsächlich gibt es keine Freie Syrische Armee, die so etwas wie die Freien Franzosen unter De Gaulle darstellen, die gegen die Okkupation ihres Landes kämpfen und gegen die Kollaborateure, die mit den Okkupanten zusammenarbeiten.  Den Uneingeladenen , beginnend bei den USA über Saudi Arabien bis hin zur Türkei. Tatsächlich ist das nur eine andere Terroristenformation, die den syrischen Staat in ein weiteres Lybien verwandeln will,  die aber Unterstützung durch Israel erhält. Logistische und Medizinische. Tatsächlich befindet sich Israel dadurch bereits im Krieg mit Syrien. Und wer die bekämpft, die den IS tatsächlich bekämpfen, unterstützt den IS. Ob er das will oder nicht ob er das zugibt oder nicht. Wenn Syrien völlig ins Chaos stürzt, auch Dank der Hilfe Israels, muß sich Israel nicht einbilden, daß der IS vor Israel anhält. Und die Freie Syrische Armee wird dann bereits zum IS übergelaufen sein. Mit freundlichen Grüßen

Roland Richter / 27.06.2017

Die Israelis könnten ja mal zur Abwechslung den gewählten Staatschef des Nachbarlandes gegen die Terroristen der FSA beistehen. Nein, Sie sind, wie fast alle, auch amerikahörig. Kommt doch von dort und von den Saudis das Geld. Nein, dafür riskieren sie eine Eskalation gern. Die Juden sind inzwischen auch kein Vorzeigevolk mehr, schade.

Matthias Thiermann / 27.06.2017

Wir sind schon mitten drin im großen Dritten. Und keiner will es wahrhaben!

Bernd Brunnmann / 26.06.2017

Der Iran will Ruhe wie wir alle auch. Wer die Muslime mit Gewalt in Zusammenhang bringt sollte sich vorsehen. Die Menschen sind verzweifelt! Zentrsl ist der Land und Heimat Raub der Israelis an dem palestinsischem Volk. Alle Muslime leiden darunter. Seit 2000 Jahren werden die Palestinser unterdrückt, ausgeraubt und vergewaltigt. Von einem jüdischen Volk, das immer aggressiver wird. Erst war es nur auf der Halbinsel Arabien. Kurz nach dem Tod des jüdischen Mildtäters Mohammed expandierte das Judentum nach Nordafrika, die gesamte Levante; das heutige Pakistan und bald Indien, wurden friedlich judaisiert. Jetzt sind Europa und USA dran.

Wilfried Cremer / 26.06.2017

“Zum Schluss befreien wir euch vom Koran.”

Daniel Oehler / 26.06.2017

Vielleicht sollte man russische Einheiten in einem Streifen syrischen Territoriums entlang der Golanhöhen als Friedenstruppen positionieren. Auf vergleichbare Weise verhindern russische Truppen in Armenien, dass sich der “Sultan” vom Bosporus über Armenien hermacht. Putin ist wie sein Vorgänger Jelzin gerne nach Israel gereist. Dort stammt, ganz im Gegensatz zu Syrien,  ein erheblicher Teil der Bevölkerung aus Russland. Russland wird weder die Vernichtung der syrischen Christen durch Islamisten, noch eine Bedrohung der russischstämmigen Bewohner Israels zulassen. Außerdem will Putin als orthodoxer Christ ab und zu das Heilige Grab in Jerusalem besuchen. Da wirkt ein Krieg Israels mit aggressiven Nachbarn eher störend. EU und USA sollten jede Kooperation mit antijüdischen bzw. antiisraelischen Gruppen und Staaten unterlassen, also auch und gerade mit Saudi-Arabien.

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