Von Norbert Jessen.
Schon der Auftakt mit den Nationalhymnen auf dem Ben-Gurion-Flughafen überraschte viele Israelis beim ersten offiziellen Staatsbesuch eines indischen Premierministers. Narendra Modi sang die indische Hymne mit ihrer getragenen Melodie hörbar mit. Israels "Hatikwa" hob sich diesmal nicht von den meist martialischen Klängen der Hymnen aus aller Welt ab. Als Staaten sind Israel und Indien fast gleich jung. Doch die Völker in diesen Staaten zählen ihre Geschichte in Jahrtausenden. Es könnte was mit der hörbaren Trauer in beiden Hymnen zu tun haben.
Modis zweitägiger Besuch erregte mehr Aufsehen als die Visite von US-Präsident Donald Trump wenige Wochen zuvor. Schon die Grußworte auf dem Flugfeld überraschten. Nicht das, was gesagt wurde, sondern das, was nicht erwähnt wurde: Keine Palästinenser, kein Nahost-Frieden, keine Zwei-Staaten-Lösung. Stattdessen erwähnte Modi die Terrorbekämpfung als gemeinames Interesse beider Staaten. Spätestens hier musste auch dem letzten Israeli klar geworden sein, dass Indien nicht zur EU gehört.
„Wir mögen es auch nicht, wenn ausländische Gäste uns erklären, wie wir unsere Probleme zu lösen haben“, kommentierte später ein indischer Diplomat Modis Rede. Für den Gast war es vor allem und allein ein Besuch in Israel. Ohne ausgleichende Stippvisite in Ramallah, ohne rechtfertigenden Erklärungszwang. Israel pur.
Modi zählte immer wieder die Gründe für seinen Besuch auf. Ja, auch Waffen, militärisches Know-how und Methoden der Terror-Bekämpfung, doch genauso Landwirtschaft, High Tech, Solartechnik und Wasserwirtschaft.
Zu Gast bei den Danzigers
Modis erstes Ziel war die Blumenfarm der Familie Danziger zwischen Lod und Tel Aviv. In den 1930-er Jahren kam die Prager Familie nach Palästina. 1950 und mit knapp über einem Hektar Land wurden die Danzigers Bauern. Heute senden sie Schnittblumen in alle Welt. Immer wieder neue Sorten in neuen Farben, die bald in aller Welt mit dem Know How der Danzigers nachgezüchtet werden. Aber dann wächst bei den Danzigers schon wieder was ganz neues. „Immer einen Schritt voraus“, so der Wahlspruch Ernst Danzigers. Ein Familienbetrieb der weltweit agiert. Modi war begeistert: „Ich beneide Sie.“
Neid ist immer auch Anerkennung und die schwang schon mit, als Israel in Indien noch als kolonialistisches Gebilde galt. Das gerade unabhängige Indien stimmte gegen den UN-Teilungsplan 1947, erkannte Israel aber an - ohne diplomatische Beziehungen. Ben Gurion studierte Zeit seines Lebens indische Kultur bis hin zum Yoga-Kopfstand. In seinem Arbeitszimmer hing nur das Bild einer politischen Persönlichkeit: Mahathma Gandhi. Doch alle Annäherungsversuche blieben erfolglos. Auch der über Albert Einstein.
Und doch: Jawaharlal Nehru sprach auch in den 1950er Jahren über Israel niemals gehässig. Im Gegenteil: „Die Juden haben ein heiliges Recht auf ihren Staat.“ Damals entstand Ramat Aviv im Norden Tel Avivs. Mit der Nord-Süd-Verbindung und der Ost-West-Achse auf den Namen zweier Nobelpreisträger: Rabindranath Tagore und Albert Einstein.
Indien und China handeln mit Israel
Jeder Vergleich Israels mit Indien droht als Elefant-Maus-Witz zu enden. Doch gerade die Winzigkeit Israels kann für Staaten wie Indien und auch China anziehend sein. Die Gefahr politischer wie wirtschaftlicher Abhängigkeit zeichnet sich nicht einmal ab. Übrigens: Beide Staaten, die sich in der Vergangenheit schon Grenzkriege lieferten, beziehen Waffen und Know How aus Israel, ohne dass dies als Brüskierung aufgefasst wird.
Israel wird zwar der westlichen Welt zugerechnet, hat dabei aber auch Probleme zu meistern, die eher in der 3. Welt zu finden sind. Etwa die Wasserbewirtschaftung. Israel hält weltweit eine Spitzenstellung in der Aufbereitung von Abwässern. In Indien fließen die Abwässer meist immer noch unaufbereitet auf die Felder. 400 Millionen Menschen erledigen ihre Notdurft noch immer auf freiem Felde. Millionen Haushalte bleiben ohne fließendes Wasser.
Jetzt an den Markt denken, und die sich bietenden Möglichkeiten erstrecken sich bis an den Horizont. Ähnliche Absatzmöglichkeiten bieten sich in anderen Bereichen an. Gerade für den Subkontinent Indien mit der riesigen Distanz zwischen Stadt und Land bieten Online-Zugänge und Netzwerke ungeahnte Möglichkeiten.
Schon jetzt sind eine Milliarde Inder biometrisch erfasst. Was in Deutschland apokalyptische Urängste auslöst, macht 400 Millionen (Mindestschätzung) Analphabeten in Indien Hoffnung. Auch Inder ohne Einkommen erhalten so Zugang zu einem Bank-Konto, auf das auch staatliche Zuwendungen direkt in jeden Haushalt gelangen können.
Make with Indians
Neben Start-up-Brütern besuchte Modi auch einige Solar-Unternehmen in Israel. Bereiche, in denen Israel viel zu bieten hat. „Geht es aber auch etwas einfacher und um 30 Prozent billiger“, ist dann aber die Frage, auf die viele israelische Unternehmen keine Antwort finden. Höher, weiter, schneller ist nicht unbedingt der Rhythmus, in dem Indien schlägt. Bodennah, breiter und preiwerter trifft es da schon besser. Die Antwort: Gemeinsame Fachgruppen zur Entwicklung passender Lösungen. Modi nennt das Anpassung an lokale Anforderungen. Sein Slogan: „Make in India“.
Leichter gesagt, als getan. In Indien herrscht eine Bürokratie, neben der sogar Israels Bürokratendschungel wie eine Schnellstraße aussieht. Für die gemeinsame Entwicklungsarbeit mit dem Ziel der Anpassung werden allzu häufig öffentliche Gelder versprochen, die niemals ankommen. Aber Israel entwickelte bereits eigene Antworten: Fachgruppen zur Entwicklung neuer - eben indischer Ansätze - in israelischer Initiative. „Make with Indians". Auf Kosten der israelischen Hersteller. Nicht vergessen: Die Herstellungsendkosten richten sich l auch nach dem Absatz. Und der ist in Indien schier unendlich.
Trumps Visa-Politik scheint völlig neue Möglichkeiten zu eröffnen. Schon jetzt ist die Zahl der Post-Doktoranten aus Indien an israelischen Forschungsstätten überraschend hoch. Die „Visa-Wende“ in den USA könnte die Zahlen noch einmal springen lassen. Einige der Post-Doktoranten mögen in Haushalten ohne fließend Wasser aufgewachsen sein, gelernt haben sie an indischen Akademien, die ihr eigenes Satelliten-Programm entwickelt haben. Hier hat auch Israel nicht nur etwas zu geben. Auch zu nehmen.
Israel macht es vor
Über Terrorbekämpfung und Waffen wurde hinter zugezogenen Gardinen gesprochen. Auch hier kam es bereits zu Schritten, die enorm weit reichen. Trotzdem aber kaum Medien-Interesse auf sich ziehen. Der Elektronik-Konzern Rafael schloss vor einigen Monaten ein Lieferabkommen mit Indien über Boden-Luft-Raketen ab. Im Wert von über drei Milliarden Dollar. Israels größtes militärisches Geschäft seit es Israel gibt. Als im Juni 19 indische Soldaten in Kaschmir durch einen Terrorangriff getötet wurden, reagierte Indien mit präzisen Gegenschlägen jenseits der Grenze. Modi damals: „Solche Präzisionsarbeit schafft sonst nur noch die israelische Armee. Jetzt machen wir es ihr gleich.“ In Indien machte das Schlagzeilen. In Israel blieb es unbemerkt.
Ein heißes Thema, das während des Besuchs ebenfalls unerwähnt blieb, „aber wie ein indischer Elefant im Raume stand“ (Haaretz), ist die leidige Sache mit Iran. Neu Delhi ist um korrekte Beziehungen zu Teheran bemüht. Ein Terroranschlag gegen israelische Diplomaten 2012 blieb bis Heute ungesühnt. Iran bestreitet die Urheberschaft, aber in Indien wie in Israel wissen die Geheimdienste um den iranischen Hintergrund des Anschlags. Indien dürfte hinter den Kulissen protestiert und gewarnt haben, Teheran hält sich mit neuen Aktionen zurück. Das genügt vorläufig, zumindest der indischen Regierung. Die israelische ließ sich davon den Besuch Modis nicht versalzen. Auch nicht die Zusammenarbeit zur Terrorbekämpfung andernorts.
„Für unsere Völker sind Probleme eben vor allem Herausforderungen, auf die wir unsere eigenen Antworten suchen müssen“, sagte Modi in seiner Rede zu mehreren Tausend Israelis indischer Herkunft in Tel Aviv. Nicht immer und auf alles finden sich dabei auch Antworten. Doch steigen die Chancen, wird gemeinsam gesucht.