Unrecht und Gewalt haben bekanntlich viele Gesichter – gerade bei uns Deutschen! Oft steckt hinter liberalem Getue ein perfider Plan („repressive Toleranz“). Oder hinter der Maske eines TV-Biedermanns verbirgt sich ein gnadenloser Menschenschinder, an dem reihenweise junge Menschen zerbrechen (Dieter Bohlen). All das, und noch viel mehr, ist sehr, sehr traurig.
Aber ist es nicht vergleichsweise harmlos gegen das Leid, was sich hinter „hohen, monotonen Frauenstimmen“ verbirgt? Dem Hamburger Hals-Nasen-Ohrenarzt Niels Graf von Waldersee gebührt das Verdienst, den Zusammenhang zwischen den schrillen Organen nicht weniger weiblicher Menschen und ihrer jahrhundertealten Knechtung und Zurichtung durch Männer aufgedeckt zu haben. Er hat sich nämlich, des ewigen Pulens und Schabens im HNO-Bereich überdrüssig, den Disziplinen „Phoniatrie“ und „Pädaudiologie“ zugewandt und dabei festgestellt: hinter gewissen Frauenorganen, die einen labilen Sittich schon mal von der Stange fallen lassen, „steckt auch eine komplexe Botschaft, oft eine Leidensgeschichte“...
Immer wieder kamen etwa Lehrerinnen oder Unternehmerinnen in seine Praxis, die „sich kein Gehör verschaffen konnten“ und die „wegen ihrer hohen Stimme sogar beschimpft wurden“, wie sich die „taz“ empört. Eigentlich wollten sie vom Doc nur ein Stimmtraining, doch der wies sie auf die tieferen Ursachen ihres Problems hin.
Es handelt sich um frühkindliche Traumata! Vater und Mutter haben versagt, auch übermäßiger TV-Konsum hat wohl geschadet. Doch das ist längst nicht alles. In Wahrheit stecken hinter der „inkomplett mutierten Frauenstimme“ gesellschaftliche Fehlentwicklungen. Denn der männliche Stimmbruch, der die Stimme acht Töne tiefer werden lässt (im Gegensatz zum weiblichen, der es nur auf drei Töne bringt) sei „gesellschaftlich ausdrücklich erwünscht, der weibliche weniger“ – so der gräfliche Phoniater. Frauen werde es schwerer gemacht, sich abzunabeln. Immer noch würden sie häufig zu „braven Mädchen“ erzogen, kurz: seelisch misshandelt.
Er stellte eine „erschütternde Bedürftigkeit der untersuchten Frauen aufgrund seelischer Ängste, Kümmernisse oder Nöte“ fest. Keine individuell-banalen Schicksale! Schon seit den Anfängen der Oper, analysiert der musisch begabte Edelmann, werde das patriarchale Frauenbild mitgeschleppt, werden Frauen auf der Bühne „gefangen, erpresst, verlassen, gequält“. So singen sie auch, und das Publikum applaudiert noch! Letztlich wurden so die „gewaltsamen Rollenzuweisungen entsprechend schöpfungs- und liebesfeindlichen Klischees im Dienste unserer Medien- und Konsumwelt“ konstituiert. Das schaurige Ergebnis zeigt sich zum Beispiel jeden Abend, wenn die Moderatorinnen von „9Live“ auf Sendung gehen, denen allesamt ein ordentlicher Stimmbruch verweigert wurde.
Was tun? Der Graf hat über das verschwiegene Problem ein mutiges Buch verfasst („Ach, ich fühl´s! Gewalt und die hohe Stimme“). Bei den Recherchen musste er laut taz leider feststellen, dass er „in Fachkreisen auf Widerstand stieß. Man hielt das Thema für irrelevant, ohne das näher zu begründen.“ Was selbstredend nur ein Indiz mehr ist „für eine immer noch virulente Benachteiligung der Frau an sich“, wie die taz weiß.
Bleibt die Frage: wann gibt´s die ganze, komplett mutierte Stimme auf Krankenschein? Wir warten. Geduldig, aber gespannt wie ein äußerer Kehlkopfmuskel.