Die grössten Geisseln der Menschheit sind Ansteckungskrankheiten. Gegen einige dieser Bedrohungen kann man immun werden, gegen andere nicht. Schwierig ist es, gegen geistige Ansteckungen immun zu sein. Als Kind hat es die meisten von uns erwischt, so dass wir blindlings daran glauben, dass es einen Dualismus von Körper und Geist gibt. Diese Krankheit wird meistens nicht therapiert, obwohl die Verbreitung ein fast beängstigendes Ausmass angenommen hat.
Menschen, die an diesem Dualismus leiden, haben in der Folge zwei Bereiche im Gehirn. Im Bereich «Körper» sitzt die Rationalität. Sie erlaubt uns, den Knopf am Fernseher zu bedienen, auf die Bremsen zu treten oder eine Pizza in den Ofen zu schieben. Im «Geist»-Bereich wüten die Geister. Dieser Teil scheint beliebig ausdehnbar zu sein. Bei Theologen ist er fast unendlich gross. Sie können damit sogar Gottes Wege erklären, die ja bekanntlich unergründlich sind…
Zauberer sind auch imstande, unseren geistigen Teil des Gehirns zu beeindrucken. Zauberer sind aber liebenswürdige Menschen, weil sie niemanden betrügen. Wir wissen immer, dass hinter ihrem unglaublichen Tun bloss ein Trick steht. David Copperfield steht im obersten Olymp der Zauberer. Er hat es sogar mehrmals geschafft, über Wasser zu laufen, ganz im Gegensatz zu Jesus. Die Leichtgläubigen verwirrt so etwas, weshalb man Copperfield nachsagt, mit Satan in Verbindung zu sein. Solche Vorwürfe können nur in unserem geistigen Teil entstehen.
Die Mentalisten sind eine besondere Form der Zauberer, und sie tummeln sich zurzeit auf deutschen Fernsehkanälen. Es sind meistens schlechte Zauberer und zudem solche, die uns glauben machen wollen, dass sie mit einem Teil des Dualismus per du sind. Auch wir Schweizer haben in der Zwischenzeit einen berühmten Mentalisten mit einem Vogel. In diesem Fall ist es ein Rabe, und es geht darum, ob der Mensch oder der Vogel mehr Geist hat. Der Dualismus hat somit nun endlich auch den Sprung ins Tierreich geschafft, was niemanden verwundert, gibt es doch Menschen, die glauben, Tiere könnten mit Homöopathie behandelt werden. Homöopathen sind somit eigentlich die Steigerungsform von Zauberern und Mentalisten. Sie schaffen es sogar, den Geist, der sonst nur sein Unwesen in unserem Hirn treibt, in die tote Materie hineinzudynamisieren. Wer also in seinem Gehirn einen ausgedehnten Geistbegriff hat, für den ist es kein Problem, in Globuli oder Wässerchen Informationen zu speichern.
Auf die paar Unverbesserlichen, die darauf drängen, dass die «Körperseite» im Gehirn auch hin und wieder zu Wort kommt, warten schwierige Zeiten. Es könnte ja sein, dass das Schweizer Fernsehen ebenfalls neue geistreiche Sendungen plant, z. B. ein Jungle-Camp der Mentalisten-Superstars, die für ihren Vogel eine Partnerin suchen. Das läge im Trend und wäre neu. Obschon das Schweizer Fernsehen in dieser Beziehung bereits eine unvergessliche Vergangenheit hat, weil unser TV dem David Copperfield der Mentalisten die Steigbügel gehalten hat. Das war Uri Geller, der im Schweizer Fernsehen 1974 seinen Auftritt hatte und bei dem die Leute gebannt vor der Mattscheibe hingen. Weil es so schön war, hat das Fernsehen 2004 ein Remake davon gemacht. Der Moderator lag buchstäblich zu Uri Gellers Füssen, obwohl in der Zwischenzeit die ganze Welt wusste, dass hier nicht nur ein gewöhnlicher Scharlatan, sondern ein Oberspitzbube am Werk war. Es wäre nett, wenn das Fernsehen wenigstens im Nachhinein feststellen würde, dass es sich um eine Parodie gehandelt hat und dass die Schweizer ihre verbogenen Gabeln wieder zurechtbiegen dürfen.
In der Zwischenzeit wird aber Uri Geller von der Realität abgelöst, dies von einem noch schillernderen Superstar. Herr Ratzinger, mit Künstlernamen Papst Benedikt XVI., kümmert sich intensiv um unseren geistigen Bereich. Zurzeit lässt er Exorzisten ausbilden, was verständlich ist, da niemand will, dass sich im Geistbereich das Böse einnistet. Auch innerhalb der Kirche sorgt er für Ordnung im Geistlichen. Es ist schwierig, eine Exkommunikation zu verstehen, aber noch schwieriger, wie man so was rückgängig macht. Zudem hat Bischof Koch im «Club» die Sicht der Kirche erklärt, wonach feststeht: Wer einmal getauft ist, kann eigentlich gar nicht zur Kirche austreten. Getauft ist getauft.
Wer in der heutigen Zeit auf physikalische Gesetze und Naturkonstanten pocht, hat es schwer. Nehmen wir beispielsweise die Entropie, die ganz eindeutig dem Körperteil des Gehirns entsprungen ist. Was tun wir mit dem geistlichen Teil, wenn Propheten mit Haut und Haar und einem Pferd davonfliegen oder Gottes Söhne ins Nirwana entschwinden? Jeder vernünftige Menschenbürger müsste eigentlich einsehen, dass dabei etwas passiert sein muss. Wer die Entropie zerstört, verursacht ein Armageddon. Als Rationalist kann man sich in dieser Situation bloss das Wohlfühlhormon Oxytocin verabreichen, damit es leichter wird, die Andersgläubigen zu lieben.
Zuerst erschienen in Die Weltwoche, 04.03.2009, Ausgabe 10/09