Peter Grimm / 30.05.2019 / 09:51 / Foto: Museumsfotograf / 37 / Seite ausdrucken

Himmelfahrt mit Sachsenkeule

Wer als Uneingeweihter auf den Begriff „Sachsenkeule“ stößt, könnte dahinter ja heutzutage etwas Politisches vermuten. Immerhin wählen die Sachsen schon seit einigen Wahlen in größerer Zahl als anderswo ausgerechnet die Partei, vor deren Wahl die meisten Politiker, Medienarbeiter, Kirchenvertreter, Sprecher von Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaftsfunktionäre und andere volkspädagogisch Engagierte stets warnen.

Nach der Wahl rätseln all diese Ratgeber dann, warum so viele Sachsen ihrem guten Rat nicht folgen wollen. Die einen sagen, sie täten dies aus Trotz gegen gefühlte Bevormundung, andere sehen darin ein Zeichen einer Rückwärtsgewandtheit und Zurückgebliebenheit, wieder andere wissen, dass die Sachsen es den Eliten in Berlin und im Westen einfach besonders deutlich zeigen wollen.

Wäre der Begriff nicht schon besetzt, könnte man also sagen, denen werde einfach die Sachsenkeule gezeigt. Etliche Parteien- und Medienvertreter benehmen sich auch nach jeder Wahl so, als wären sie plötzlich von einer Keule getroffen worden und könnten das gar nicht verstehen. Schließlich gäben sie sich doch alle Mühe mit diesen merkwürdigen Sachsen.

Im letzten Jahr hat sich sogar die Bundeskanzlerin auf den Weg nach Chemnitz gemacht, einer Stadt voller Problem-Sachsen. Deshalb hatte sie ja auch mit ihrem Besuch warten müssen, bis die von ihr dort diagnostizierten Hetzjagden endlich vorbei waren. Als nach dem Tod eines Sachsen durch das Messer eines Asylbewerbers im letzten Sommer noch mehr Zulauf für die AfD drohte, hatten viele engagierte Kulturschaffende bekanntlich das große Konzert „Wir sind mehr“ organisiert, für das zu werben, sich selbst der Bundespräsident nicht zu fein war.

Ich bin so etwas wie ein Teilzeit-Sachse

Statt für solches Engagement dankbar zu sein, haben die Sachsen am letzten Sonntag der AfD sogar mehr Stimmen gegeben, als diese verdauen konnte. Die Partei hatte nicht einmal genügend Kandidaten aufgestellt, um jetzt alle, ihr nach dem beeindruckenden Kommunalwahlergebnis zustehenden Mandate besetzen zu können. Das ist normalerweise ein Problem, das deutsche Parteien nicht kennen.

Wenn das schöne Konzert im letzten Jahr nicht geholfen hat, vielleicht bringt ja eine Wiederholung in diesem Jahr etwas. Solange keiner fragt, wer dafür die Zeche zahlt, ist das eine feine Sache. Engagierte Kulturschaffende haben für den 4. Juli zu einer Neuauflage des „Wir sind mehr“-Konzerts in Chemnitz eingeladen. Es wird sicher wieder einige Prominenz auflaufen und man wird den Sachsen bei dieser Gelegenheit mal wieder zu erklären versuchen, wen man nicht wählen darf. Das hat natürlich nichts mit dem Wahlkampf zu tun. Es ist doch lediglich die Bitte, im Spätsommer die Sachsenkeule stecken zu lassen. Letzteres werden sie natürlich nicht sagen, weil sie vielleicht wissen, was eine Sachsenkeule wirklich ist.

Am heutigen Himmelfahrtstag werde ich in einer kleinen Runde aus Sachsen und Nichtsachsen beiderlei Geschlechts eine kleine Wanderung im Elbtal unternehmen, an deren Ziel einige Sachsenkeulen auf uns warten. So hatte es die gleiche Runde im letzten Jahr auch schon getan und zu dieser Gelegenheit habe ich gelernt, was eine Sachsenkeule ist.

Als Nichtsachse konnte ich mit dieser Bildungslücke leben, aber inzwischen bin ich so etwas wie ein Teilzeit-Sachse. Außerdem habe ich einen sächsischen Migrationshintergrund. Aber der ist vielleicht weniger bedeutsam, denn mein Vater stammt aus dem Vogtland und das ist ja selbst schon „ä bissl speziell“, wie der Sachse sagen würde. Schließlich ist es wie Franken, Kaschmir und Kurdistan von Landesgrenzen zerteilt, verfügt allerdings nicht über ähnlich entschlossene Unabhängigkeitskämpfer.

Ein kleines Protestsaufen

Doch ich schweife ab. Wir waren beim Himmelfahrtstag. Der wird ja, nicht nur in Sachsen, gern mit Wanderungen verbunden, an deren Ziel eine Wirtschaft steht, die zu mehr oder weniger gepflegtem Alkoholgenuss einlädt. In der DDR, insbesondere nachdem der Himmelfahrtstag von der SED 1968 als Feiertag abgeschafft worden war, wurde an diesem Tag weiterhin – auch in den Betrieben – viel mehr getrunken als gearbeitet. Ein kleines Protestsaufen, allerdings ging es nicht mehr um Christi Himmelfahrt, sondern es wurde auf den Herren- oder Vatertag getrunken. Wie der Name es erahnen lässt, war das eine vor allem männlich dominierte Veranstaltung. Und der Alkoholkonsum erreichte an diesem Tag bestimmt Dimensionen, die sogar die trinkfreudigeren Vertreter der sowjetischen Besatzungsmacht beeindruckt haben dürften.

Heutzutage gehen auch die Sachsen mit der Zeit. Inzwischen wird weniger, gepflegter und immer mehr gemischtgeschlechtlich getrunken und gefeiert. Die oben schon angedeutete kleine Gruppe aus Sachsen und Nichtsachsen beiderlei Geschlechts steuert heute eine Wirtschaft in den Meißner Weinbergen an, in der zu Livemusik die ortsansässigen Weine ausgeschenkt werden. Und für die gibt es die Sachsenkeule, eine spezielle Weinflaschenart in Keulenform, die angeblich nur von sächsischen Winzern genutzt werden soll.

Der Inhalt ist dort, wo wir sein werden, unbedingt empfehlenswert. Und wer die Sachsen für rätselhafte Wesen hält, könnte sich zu solch einer Gelegenheit wahrscheinlich viele offene Fragen beantworten lassen. Auch Menschen aus der geographischen und/oder mentalen Ferne werden nach einigen Sachsenkeulen nicht nur die Sprache, sondern auch das Verhalten der Sachsen zu verstehen beginnen. Gerade diejenigen, die sich politisch wie von der Sachsenkeule getroffen fühlen, sollten lieber zu selbiger greifen. Auch miserable Wahlergebnisse lassen sich mit ihrem Inhalt viel besser verdauen und vielleicht gelangt mancher dann auch zu der Erkenntnis, dass am Verlust von Wählerstimmen nicht zuerst die Gewinner derselben Schuld sind, auch dann, wenn es sich um die AfD handelt, sondern vor allem die eigenen Taten und Unterlassungen. Prost!

Foto: Museumsfotograf CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Dietmar Blum / 30.05.2019

Herr Johannes Schuster / 30.05.2019:  SIE müssen sich ja gut auskennen!

Marie-Jeanne Decourroux / 30.05.2019

@Dr. Ralph Butoni: Danke! Sie ersparen mir an diesem - bei uns in Bayern - schönen sonnigen Nachmittag einen längeren Kommentar ähnlichen Tenors. Den Sachsen Dank für ihr unabhängiges Denken und Wählen!

Dr.Roland Mock / 30.05.2019

Meistens stimme ich mit der Mehrheit der Kommentatoren in diesem Forum überein. Diesmal nicht. Insbesondere nicht mit jenem, der meint, die Sachsen hätten „sich noch nie verbiegen lassen“. Das habe ich, der ich in Thüringen aufwuchs und in Ost-Berlin studierte, anders in Erinnerung. Zumindest die nach Berlin exportierten Sachsen waren kommunistische Säcke vor dem Herrn. Okay, vielleicht waren das keine sächsischen Durchschnittsexemplare. Aber auch nach der Wende: Die heutigen Hochburgen der AfD im Osten waren noch vor 10 und vor 20 Jahren Hochburgen der PDS. Insofern: Ich finde es gut, daß die AfD im Osten eine starke Basis hat. Aber die in der ehemaligen DDR lebenden als einzige, die Durchblick haben, zu glorifizieren, liegt für mich neben der Wahrheit.

Wolfgang Richter / 30.05.2019

@ B. Jacob—Es sind ja nicht nur die Gläubigen der Greta - Sekte, die Wissens basiertes Denken aufgegeben haben. Es sind auch die selbst ernannten Politgranden, die wie das Karnickel vor der Schlange auf ein linksgrüne Wahlvorschläge verbreitendes Rezo- oder was auch immer Video starren. Merkwürdigerweise thematisiert niemand, daß dieses Video ein Machwerk des in Köln ansässigen Medien- und Werbekonzerns Stöer ist. Und wer nicht nachvollziehen kann, daß da knallharte monetäre wirtschaftliche Interessen hinter stehen, der steht erkennbar ratlos mit der Kneifzange in der Hand vor seiner Hose und weiß nicht weiter.

Wolfgang Richter / 30.05.2019

@ Ursula Horvath—Es gibt auch außerhalb von Sachsen Leute / Bürger, die ihre Sinne noch beisammen und nicht mittelt Hüpforgien o. ä Aktionen irreparabel beschädigt haben. Leider ist es wohl zutreffend, daß je weiter gen Westen, desto weniger.  Die Ursache(n)  zu ergründen, könnte eine wissenschaftliche Untersuchung wert sein.

Anders Dairie / 30.05.2019

Lieber Herr GRIMM.  Ich komme heute aus DRÄÄSDN.  Und habe jede Menge Himmelfahrt-Wanderburschen gesehen. Überwiegend ohne Familien, auch ohne Generations-Abstfungen.  Bei “WATZKE” nahe der Prager Straße war Blas-Platzkonzert.  Jede Menge Feier-Biester.  Alle Sorten Bier und Schnaps.  Wein auch dem Anbaugebiet an der Elbe habe ich nicht gesehen, auch keine Flaschen in Keulenform.  Das ist ja die Gemeinheit:  Sachsenkeulen sieht man nicht,  außer bei Entscheidungen.  Da werden die Dinger überraschend ausgepackt.  Was der Bundespräside dazu sagt, scheint denen dort völlig ECHAAL !

sybille eden / 30.05.2019

Herr Arning !—- ich muss es noch einmal betonen, der Mann heisst Karl Eduard von KLEBER !!! Schönen Tag noch.

Anders Dairie / 30.05.2019

Was die SACHSEN unterscheidet?  So ist es:  Sachsens Glanz und Preussens Gloria !  Im Norden Brandenburg, im Westen Thüringen,  beide Preussen.  Im Osten und Süden Polen und Tschechen.  Soviele Grenzen hat sonst keiner, soviele Unterschiede auch nicht.  Bis 1994 dann noch die innere Grenze zur Westgruppe der Roten Armee.  Sowie die Distanz zu den eigenen SED-Genossen.  Tagsüber im Dienst der Republik.  Und ab 20 Uhr dann die Tagesschau.  Was soll daraus werden, als:  “...nej,  mit mir nich määhr… !”  Die Experten sind die Kaberettisten.  Das Wort “Comedian”  geht dagegen schwer über die Zunge.  Das überlässt man den Wessis,  die sich international fühlen—und damit heimatlos in einer befremdlichen EU sind.

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