Henryk M. Broder / 05.07.2007 / 19:53 / 0 / Seite ausdrucken

Heinrich & Wiesengrund: Der Antisemitismus ist für alle da!

Moshe Zuckermann ist ein linker Professor aus Tel Aviv und nach Eigenauskunft Nicht-Zionist“. Derart prädestiniert verbreitet er hierzulande in Zeitung, Funk und Fernsehen, es gebe unter den jüdischen Gemeinden in Deutschland eine vorbehaltlose Israelsolidarität „bis zum letzten Blutstropfen“. Die „Instrumentalisierung der Erinnerung und des Holocaust“ für zionistische Politik sowie der „Israelfetischismus“ deutscher „Israel-Solidarisierer“ verleiten ihn zu markigen Worten. Die Menschen im jüdischen Staat seien „Geiseln der israelischen Regierung und ihrer Gewaltpolitik“, die dem heutigen Antisemitismus eine Legitimation verschaffe, wie sie auch für die palästinensische Variante des fundamentalistischen Islam verantwortlich sei.

Sind solche Äußerungen antisemitisch? Mitnichten, so argumentierte Sergey Lagodinsky kürzlich in der Jüdischen Allgemeinen (Nr. 17, 26. April), denn Zuckermann ist Jude. Hier seien vielmehr „die Schärfe der jüdischen Selbstkritik“ und die „Bitterkeit des jüdischen Selbsthasses“ am Werk. Wer immer noch glaubt, Antisemitismus beschränke sich im Grunde auf völkisch-rassistische Ausprägungen und sei daher ein eher historisches Phänomen, das lediglich unter Ewiggestrigen eine geistige Heimstätte habe, wird in solchen Positionen wie denen Zuckermanns tatsächlich nur eine besonders „kritische“ Haltung gegenüber Israel erkennen – und sonst nichts.

Längst tobt international eine nicht allein akademische Debatte um den Begriff des Neuen Antisemitismus. Die Bestimmung dessen, was als antisemitisch gilt, ist von herausragender politischer Bedeutung, weil das Tabu, offen antisemitisch aufzutreten, gemeinhin noch gilt. Akzeptabel ist dagegen, was sich moralisch einwandfrei als „Kritik“ auszugeben vermag; den klassischen Antisemitismus überlässt man dagegen Rechtsradikalen. Aus der Behauptung, „Israelkritik“ sei nicht per se antisemitisch, spricht schon das schlechte Gewissen solcher „Kritiker“ und das eigentliche Bedürfnis, die „Israelkritik“ als an sich nicht antisemitisch zu bewahren. Denn nur wenn dieses Unterfangen gelingt, kann politisch und moralisch opportun das Ressentiment gegen den jüdischen Staat gepflegt werden. Die institutionelle deutsche Antisemitismusverwaltung leistet dabei ihren Beitrag zur Rettung der „Israelkritik“ und will, bei allem Eifer gegen Rechts, weder linken noch islamischen Antisemitismus mit hinreichender Schärfe erkennen.

Natan Sharansky hingegen, einst Minister im Kabinett von Ariel Scharon, bemerkte schon vor einigen Jahren, die Kritik an Israel sei genau dann antisemitisch, wenn das Land dämonisiert, delegitimiert oder mit doppelten Standards gemessen werde. Mit dieser Definition erscheinen viele „israelkritische“ Statements in einem klareren Licht: Dämonisierung, Delegitimierung und doppelte Standards dienen dazu, Israel als „Juden unter den Staaten“ auszusondern, wie es Hannah Arendt formulierte. Dabei ist es völlig unerheblich, wer derlei Demagogie betreibt: Sie ist antisemitisch, und ihre Vortragenden sind Antisemiten. Die zitierten Bemerkungen von Moshe Zuckermann aus Tel Aviv wären nicht mehr und nicht weniger problematisch gewesen, hätte sie der Palästina-Aktivist Georg Meggle aus Leipzig geäußert. Der Wahnsinn des Gedankens, nicht der „Sprechort“ der Protagonisten, ist dafür entscheidend.

Der antizionistische Antisemitismus kennt viele Formen, er findet aber im eliminatorischen Antizionismus von Hamas und Hisbollah bis zu Mahmud Ahmadinedschad seinen konsequentesten Ausdruck, weil er die zu Ende gedachte „Israelkritik“ ist. Hier geht es um nichts weniger als um die Vernichtung Israels, mithin um die Ermordung von Millionen Juden. Der israelische Historiker Benny Morris fürchtet deshalb einen „zweiten Holocaust“, und er glaubt, dass europäische „Israelkritiker“ den Teheraner Mullahs wohl kaum in den Arm fallen werden.

Das kommt nicht von ungefähr: Der Antisemitismus erfährt seit einigen Jahren seine zweite große Transformation. So wie im 19. Jahrhundert sich der christliche zum völkisch-rassistischen wandelte und bei fortwährend wahnhafter Projektion ganz neue Formen, Codes und Ideologeme hervorbrachte, so wird heute aus dem nach Auschwitz desavouierten völkisch-rassistischen Antisemitismus ein „ehrbarer“ Antisemitismus, wie es Jean Améry bereits Ende der sechziger Jahre formulierte. „Ehrbar” deshalb, weil er sich antifaschistisch gibt und aus Auschwitz gelernt zu haben vorgibt, weil er sich antirassitisch geriert und Partei ergreift für die Muslime, die heute (nicht selten durch Juden) das zu erleiden hätten, was einst den Juden selbst widerfuhr. Der Politikwissenschaftler Lars Rensmann hat einmal von einem „in der Selbstwahrnehmung zutiefst moralischen Wahnsystem“ gesprochen: „Juden werden dabei, insbesondere im Kontext des neuen Antisemitismus, perzipiert als ,neue Nazis‘, die vermeintlich das ,fremde Land‘ ,Palästina‘ besetzen und die Palästinenser ,kaltblütig‘ ermorden. Die Palästinenser seien folgerichtig die ,Opfer der Opfer‘ und Israel so rassistisch wie der Nationalsozialismus.“

Eine Umfrage der BBC ergab vor einiger Zeit, dass 77 Prozent der Deutschen sich eindeutig negativ gegenüber Israel positionieren. Nur Ägypten und der Libanon erzielten noch bedrückendere Ergebnisse. Aus dieser übermächtigen Position der Mehrheitsgesellschaft ergibt sich für Juden ein neues Assimilationsangebot: Macht man sich nicht mit „den Zionisten” gemein, ist man also ein „israelkritischer“, kultur- und werterelativistischer Jude, so kann mit wohlwollender Aufnahme gerechnet werden. Aber wehe, man entspricht dieser Erwartungshaltung nicht. Dann wird man zur Projektionsfläche eifernden Ressentiments. Ralph Giordano hat es in der Auseinandersetzung um den Moscheebau in Köln wieder erleiden müssen.

Wo sich zu Zeiten des christlichen Antisemitismus der Übertritt vom Judentum zum Christentum als Weg der Assimilation anzubieten schien (wenngleich die Hoffnung oft enttäuscht wurde), gab es vor der rassistischen Definitionsmacht der Nationalsozialisten kein Entrinnen. Göring stellte klar: „Wer Jude ist, bestimme ich!“ Der antizionistische Antisemitismus unterbreitet heute, weil er vordergründig auf Gesinnung und nicht auf rassistische Zuschreibungen abzielt, erneut ein Assimilationsangebot. Dabei wird die Pflicht antizionistischer Juden zum Wohlverhalten von diesen in vollem Bewusstsein und mit aller Konsequenz akzeptiert; die antiisraelische Ranküne deckt sich mit jener ihrer nichtjüdischen Geistesgenossen.

Antizionistischen Juden kommt dabei eine besondere Rolle im öffentlichen Diskurs zu: Zunächst lässt man sie, die qua Selbstauskunft und nach Ansicht ihrer Protegés gar nicht antisemitisch sein können, Positionen gegen Israel vorbringen, die man in dieser Vehemenz (noch) nicht selbst zu formulieren wagt. Anschließend kann man sich ruhigen Gewissens auf genau jene „jüdischen Stimmen“ gegen Israel berufen. Und da es der jüdischen Kronzeugen nicht so viele gibt, sind es immer wieder dieselben wenigen Namen, die dem Ressentiment gegen Israel das Prädikat „koscher“ zuzusprechen haben. Deshalb wird einer wie Moshe Zuckermann hofiert; deshalb stimmt man beflissen zu, wenn Uri Avnery der israelischen Regierung vorwirft, mit ihrer Politik den Antisemitismus zu schüren. Deshalb hat Rolf Verleger so viele neue Freunde, wenn er als Direktoriumsmitglied des Zentralrats der Juden an eben diesen schreibt, dass „der jüdische Staat andere Menschen diskriminiert, in Kollektivverantwortung bestraft, gezielte Tötungen ohne Gerichtsverfahren praktiziert, für jeden getöteten Landsmann zehn Libanesen umbringen lässt und ganze Stadtteile in Schutt und Asche legt.“

Solche „jüdischen Stimmen“ sind zumeist nicht an einen innerjüdischen Diskurs gerichtet und haben daher auch nichts mit Selbstkritik zu tun. Wie zum Beweis antwortete Moshe Zuckermann jüngst bei einer Konferenz des Moses-Mendelssohn-Zentrums auf die Frage eines nichtjüdischen Deutschen, wie er sich zu der Instrumentalisierung des Antisemitismus durch den Zionismus verhalten könne, ohne sich dem Verdacht des Antisemitismus auszusetzen: „Sie haben tatsächlich dieses Problem und deshalb müssen Sie mich immer wieder einladen.“ Einer wie Zuckermann ist kein willenloses, entmündigtes Subjekt, ausgenutzt von der antiisraelischen Mehrheitsgesellschaft. So viel Vernunft scheint bei ihm noch auf: Er weiß, was er tut, vor wem und für wen er es tut und welche Implikationen das hat.

Zwei Gründe sprechen also für die strukturelle Möglichkeit eines Neuen Antisemitismus auch unter Juden; der erste Grund ist soziologisch, der zweite psychologisch. Der gruppensoziologische Grund wird in einem Essay ausgeführt, den das New Yorker Büro des American Jewish Committee bei Alvin H. Rosenfeld von der Indiana University in Auftrag gab: „Fortschrittliches“ jüdisches Denken und der Neue Antisemitismus. Rosenfelds Arbeit, die in den USA breite Resonanz fand, zeigt, dass ein postmodernes und kulturrelativistisches Denken – Ideologeme mithin, die in den Palästinensern die neuen Unterdrückten dieser Erde sehen und in den Zionisten deren Peiniger – auch bei linken Juden zu finden ist. Diese sind eben Teil jener Linken, die zu den wichtigsten Protagonisten des Neuen Antisemitismus gehört. Der psychologische Grund wiederum entspringt dem bereits beschriebenen Bedürfnis, sich als Jude vom Zionismus und von Israel als Konsequenz jüdischer Kultur, Geschichte und Politik zu dispensieren und so das Assimilationsangebot der (nichtjüdischen) Mehrheitsgesellschaft anzunehmen.

Um ein Bild Hannah Arendts zu gebrauchen: Die wenigen der Mehrheitsgesellschaft gefälligen jüdischen Parvenüs sind recht wohl gelitten; die selbstbewussten Parias, jene vielen Juden also, die allemal zu Israel halten, trifft dagegen die ganze Wucht des kollektiven Ressentiments. Deshalb ist die Kritik an dieser Mehrheitsgesellschaft und ihrem infamen Assimilationsangebot zu schärfen.

Mehr noch: Zwar war Antisemitismus immer schon das bedrohliche Phänomen eines kollektiven, psychosozialen Wahns. Der Neue Antisemitismus kennt aber keine rassistischen Zuschreibungen mehr. Sein Wahn steht heute allen offen. Das macht ihn umso gefährlicher. Ein Schnellschuss wäre es deshalb, in die Kritik des Neuen Antisemitismus nicht alle Antisemiten einzubeziehen.

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