Aus meinem neuen Essay-Band “Freiheit in der Krise?”
Gerhard Schulze:
Je mehr sich die Menschen dem Luxus zuwandten, desto geringer wurde die Not. Und das will einem nicht so richtig in den Kopf. Viel eingängiger ist die entgegengesetzte Botschaft der Bußprediger: Schluss mit der Gier, damit alle was vom Kuchen abkriegen. Das Gegenargument lautet: Ohne Gier entsteht erst gar kein Kuchen.
Vielleicht sollten wir deshalb, weniger moralisierend, besser »Begehren« oder »Habenwollen« sagen, auch aus Respekt vor der Freude der Menschen an Dingen, die ihnen gehören. In der Gierdiskussion liegt ein Element von asketischer Menschenverachtung, Neid und Lustfeindlichkeit. Um auf die Finanzkrise zurückzukommen: Natürlich wäre sie uns ohne die Begehrlichkeit der Menschen erspart geblieben, freilich nur deshalb, weil erst gar kein Finanzmarkt entstanden wäre. Wo es kein Geld gibt, ist man bestens gegen eine Finanzkrise gewappnet.
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Eine zu große Schlichtheit waltet in der Gierdiskussion, eine Differenzierungsverweigerung, die ständig falsche Gegensätze heraufbeschwört, zu fruchtlosen Debatten führt und zu wechselseitiger Verdammung. Auf viele Fragen gibt es scheinbar einander ausschließende Antworten. Doch sobald man je nach dem Kontext unterscheidet, auf den man die Fragen bezieht, verschwinden die Widersprüche.
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Der Zorn der Geschädigten richtete sich auch gegen die Neoliberalen, zu Unrecht, denn sie wurden durch die Weltwirtschaftskrise keineswegs widerlegt, sie wurden bestätigt. Seht ihr, könnten sie nun sagen, soweit kommt es eben, wenn man den Markt vor die Hunde gehen lässt. Ihr habt euch systemwidrig verhalten. Ihr habt zugelassen, dass die Transparenz des Finanzmarkts unterminiert wurde, und ihr habt Finanzmarkt und Produktmarkt voneinander getrennt. Zu anderen Zeiten lag das Fehlverhalten im Protektionismus und in der Verstaatlichung, aber das kann ja noch kommen. Auf der Systemebene sind das die wahren Todsünden.
Der komplette Text steht in:
Freiheit in der Krise?
Der Wert der wirtschaftlichen, politischen und individuellen Freiheit
Humanities Online, Frankfurt 2009
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