Aus meinem neuen Essay-Band “Freiheit in der Krise?”
Necla Kelek:
»Freiheit« habe ich als Kind nur als etwas Fremdes, den Männern vorbehaltenes kennengelernt. »Freiheit« heisst auf türkisch »Hürriyet«. Dieses Wort stammt von dem arabischen Begriff hurriya ab, das in seiner ursprünglichen Bedeutung, das Gegenteil von Sklaverei meint, und nicht das, was in der westlichen Tradition mit »libertas« verbunden wird, nämlich die Befreiung des Einzelnen von jedweder, auch religiöser Bevormundung. Hurriya bedeutet, ein Sklave wird »frei«, um Allah zu dienen. Für gläubige Muslime besteht in diesem Sinne Freiheit in der bewussten Entscheidung, »den Vorschriften des Islam zu gehorchen«.
Als ich meine in der türkisch-muslimischen Tradition verhaftete Mutter fragte, wann ich denn – ich war 16 oder 17 Jahre alt – frei sein würde, in dem Sinne, wann ich denn für mich entscheiden könne, sagte sie mir: »Die Freiheit ist nicht für uns gemacht.« Sie verstand meine Frage nicht. Für sie war »frei sein« gleichbedeutend mit »vogelfrei« sein, das heißt ohne Schutz sein.
»Frei sein« ist schutzlos, verlassen sein. Die Frau ist im Zweifelsfall der Gewalt der Männer ausgeliefert, denn die Männer der Familie schützen die Frauen vor der Gewalt fremder Männer. Ist der eigene Mann gewalttätig, so ist das kismet, Schicksal. Männer, das sind in der Lebenswelt immer noch vieler muslimischer Frauen, Beschützer und Bewacher. Die Männer sind die Öffentlichkeit und die Frauen ihre Privatheit. Für viele muslimische Frauen besteht die Freiheit in der Freiheit »von etwas«. Frei vor Anfeindungen Fremder, aber auch frei von Verantwortung für sich selbst, frei von eigenem Willen.
[…]
Für mich ist der Islam als Weltanschauung und Wertesystem, wie er heute von vielen vertreten wird, nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und deshalb nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts anzuerkennen. Es ist keine Frage des guten Willens. Der Islam ist nicht integrierbar. Es fehlen die institutionellen, strukturellen und theologischen Voraussetzungen dafür und seinen Vertretern, wie Habermas sagt, »eine in Überzeugung verwurzelte Legitimation«.
Der Islam ist nicht integrierbar, wohl aber der einzelne Muslim als Staatsbürger. Er kann in Europa seinen Glauben und seine Identität bewahren, denn die europäische Toleranz der Aufklärung begreift die Angehörigen aller Religionen sowie Andersdenkende als gleichberechtigt, verweist den Glauben in die private Sphäre, der öffentliche Raum ist säkular. […]
Wahre Aufklärung ist deshalb auch die Aufklärung des Menschen über seine Grenzen und die Erkenntnis, eigenverantwortlicher Gestalter des Diesseits zu sein und nicht nur als Vollstrecker eines jenseitigen Auftrags zu dienen.
Der komplette Text steht in:
Freiheit in der Krise?
Der Wert der wirtschaftlichen, politischen und individuellen Freiheit
Humanities Online, Frankfurt 2009
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