Ulrike Ackermann / 12.12.2009 / 13:40 / 0 / Seite ausdrucken

Warum wir mehr Freiheit statt mehr Gerechtigkeit brauchen

Aus meinem neuen Essay-Band “Freiheit in der Krise?”

Vera Lengsfeld
In den gegenwärtigen turbulenten Entwicklungen auf dem Finanz-, und Arbeitsmarkt sieht sich die Politik unter besonderem Handlungsdruck. In allen westlichen Industriestaaten werden Staatsprogramme zur »Rettung« von Banken und Industriezweigen aufgelegt, deren Erfolg mehr als fraglich ist, die mit Sicherheit aber die ohnehin immens hohe Schuldenlast der Industriestaaten in weitere astronomische Höhen treiben. Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung diesen »Rettungsschirmen « skeptisch bis ablehnend gegenübersteht, glaubt die Politik, nicht darauf verzichten zu können. Das frappierende an diesem Phänomen ist, dass die Rezepte, die jetzt zur Bewältigung der Krise zum Einsatz kommen, den gescheiterten sozialistischen Planwirtschaftsmodellen ähnlicher sind als den Wirkungsmechanismen der Marktwirtschaft, denen der Westen seinen beispiellosen Wohlstand verdankt. Nicht dem erfolgreichsten Wirtschaftsmodell der Geschichte wird vertraut, sondern das Heil in bereits gescheiterten Ideen gesucht. Das ist nur mit Unterstützung der Mehrheit der kulturellen und geistigen Elite des Westens möglich.
[…]
Unbeeindruckt durch den Gang und die Lehren der Geschichte, beschäftigen sich die kulturellen Eliten wie zu Zeiten des real existierenden Sozialismus lieber mit der hypothetischen Zukunft der sozialistischen Idee als mit den Folgen ihrer praktischen Auswirkungen. Aus diesem Grund hat sie mehrheitlich die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen den Verfolgten überlassen und die Ergebnisse kaum zur Kenntnis genommen. Die kulturelle Elite konzentriert sich stattdessen auf die Entlarvung der »Gefahren« des Kapitalismus und der Marktwirtschaft. Die Krise scheint ihnen Recht zu geben.
[…]
Der Ausweg aus diesem Dilemma ist die Abkehr von der Versorgungsmentalität. Eine freiheitliche Demokratie kann es nur mit einer Kultur der Selbständigkeit geben. Das durchzusetzen ist gewiss nicht einfach in einem Klima, in dem man schon als Zerstörer des Sozialstaates und der solidarischen Gemeinschaft gebrandmarkt wird, wenn man die eigentlich selbstverständliche Erwartung äußert, alle Bürger sollten im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit die Verantwortung für die Gestaltung ihres eigenen Lebens übernehmen. […]
Vor allem brauchen die Menschen eine Perspektive, für die es sich lohnt, Mühen und Entbehrungen auf sich zu nehmen. Ein solcher Leitfaden des Handelns entsteht nicht über Nacht. Er muss entlang der eigenen kulturellen, politischen und sozialen Traditionen entwickelt werden. Jeder Versuch, ein Reformmodell aus den verschiedenen Bausteinen anderer Länder zusammenzustellen, wird scheitern. Es gibt nirgends ein System, das für alle nur Vorteile bringt und für niemanden Nachteile hat. Die Vollkommenheit des Paradieses wird auf Erden nicht zu erreichen sein. Mehr noch, immer, wenn Menschen versucht haben, paradiesische Zustände auf Erden zu errichten, ist eher eine irdische Hölle herausgekommen.
Statt Vollkommenheit anzustreben, sollten wir unsere Unvollkommenheit anerkennen und mit dieser Tatsache leben lernen. Gelingen wird der größte Reformprozess der Nachkriegsgeschichte nur dann, wenn jedem klar ist, dass er bei sich selbst anfangen muss.

Der komplette Text steht in:
Freiheit in der Krise?
Der Wert der wirtschaftlichen, politischen und individuellen Freiheit
Humanities Online, Frankfurt 2009
Als Print- oder E-Book-Ausgabe zu bestellen bei: https://ssl.humanities-online.de/de/neuerscheinungen.php

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